Donnerstag, 27. Januar 2005

Von Null auf Hundert

Erfahrungsbericht eines Hobby-/Profi-Growers

Eines war sofort klar, als ich die kleine Vorratskammer in meiner
damals noch neuen Wohnung sah, „hier muss unbedingt was growen“ und das
sollte nicht der Schimmel auf dem Brot sein. Leider ging die Idee für
drei verschenkte Jahre verloren. Erst durch einen Zufallskauf bei EBAY
(zwei Leuchtmittel 400 W, Netzteil für 17 €) kam die Sache wieder in
Schwung.
Nun ging es los. Lichtdicht machen, Isolieren, Erde anschleppen und
stundenlanges Surfen, wie man die Samen den nun am besten zum Keimen
bringt, ist wohl normal. Trotz allem kamen von 15 Samen dann leider nur
vier durch und nur einer war weiblich.
Diese eine Lady sollte aber sollte der Grundstein für eine lange Beziehung werden.

Aber dann kam erst mal die Stromrechnung. Fette Rechnung plus dicke
Abschlagserhöhung führte erst mal zu heftigen Diskussionen mit meinem
Mitbewohner. Davon würde er keine fünfzig Prozent zahlen, denn es war
ja mein Hobby. Und auch mir wurde klar, dass der Dauerbetrieb so einer
Lampe nicht umsonst ist. Das hieß: Wenn der Spaß weitergehen sollte,
müsste er rentabler ablaufen. Denn 75 Euro bloße Stromkosten für 25
Gramm Gras Endergebnis ist ja wohl nicht so das Wahre.

Tja, was tun? Da blieb nur eine Möglichkeit: Häufiger ernten, am
liebsten jede Woche. Wie wir ja alle wissen, brauchen Pflanzen in der
Blütephase zwölf Stunden und in der Wachstumsphase 18 Stunden Licht.
Das geht natürlich nicht in einem Raum. Also wurde die heiß geliebte
Vorratskammer erst mal wieder stillgelegt und ich musste eine neue
Lösung finden. Unsere Küche war eh viel zu groß. Also aufteilen. Die
eine Hälfte für die menschlichen, die andere Hälfte für die
pflanzlichen Bewohner. In den Teil für die pflanzlichen kam noch eine
zweite Ebene. Oben wird gewachsen, unten geblüht. So war das Konzept.
Und dann sollte per Stecklingszucht immer soweit Nachschub hergestellt
werden, dass jede Woche eine Generation in die Blüte gehen kann. Das
ist dann zwar doppelter Stromverbrauch (eine Lampe pro Ebene), aber
klingt schon viel eher nach effektivem Growing.

Aus Samen zog ich ein paar hübsche Pflanzen, entnahm ihnen Stecklinge
und schickte die in die Blüte. Die beiden Pflanzen, die über die
Stecklinge ihr Geschlecht als weiblich offenbarten, wurden die
zukünftigen Mütter. Die beiden waren übrigens unterschiedliche Sorten,
was dann später meine Ernte nicht ganz so eintönig werden ließ. Die
Mutterpflanzen standen anfangs noch bei den wachsenden Pflanzen. Später
habe ich dann auch sie in die Blüte geschickt (so eine Riesenpflanze,
das war einfach zu verlockend) und jeweils eine ihrer „Töchter“ zur
neuen Mutter gemacht. Das kann über 20 Generationen lang gut gehen,
hab’ ich so gehört.

Als die „Fabrik“ dann soweit stand, kamen die ersten Zweifel. Das ist
einem gar nicht so bewusst, wenn man sich langsam von null auf hundert
steigert, aber plötzlich hatten wir ein ernstzunehmendes Problem im
Haus. Mit fünfunddreißig Pflanzen in drei Entwicklungsstadien wird es
vermutlich schwer die Staatsanwaltschaft zu überzeugen, dass sie es
hier nur mit Eigenbedarfsgärtnerei zu tun hat. Es war zwar nach wie vor
wunderschön, den Babys beim Wachsen zuzusehen, aber ab dann geschah das
mit gemischten Gefühlen. Aber jetzt das alles wieder stoppen? Nachdem
so viel Liebe, Mühe und auch Geld investiert wurde? Nein, das ging mal
gar nicht, erst mal mussten ein paar ordentliche Ernten eingefahren
werden.

Also immer weiter schön den Kreislauf in Schwung halten. Stecklinge
nehmen, wurzeln lassen, wachsen lassen. Parallel die fertig Gewachsenen
in die Blüte schicken und die fertig Geblühten ernten. Dazu immer noch
gießen, pflegen, beobachten. Was das für ein Arbeitsaufwand ist, denkt
man sich am Anfang gar nicht. Aber am Ende ist das schon ein kleiner
Nebenjob.

Das ganze System sollte natürlich aus Gründen der Effizienz (wir
erinnern uns: Strom kostet Geld) immer an der obersten Grenze der
Kapazität laufen. Also so viele Pflanzen wie möglich im Wachstumsraum,
so viele wie möglich im Blüteraum. Das durchzukalkulieren und dann die
benötigte Menge Stecklinge zu bestimmen, war auch ein aufwändiger
Vorgang. Aber so ein System muss sich ja auch immer erst mal einlaufen,
bis es perfekt funktioniert.

Große Spannung kam auf, als dann die erste Blüte anstand. Die Buds
wurden immer fetter, brauner und aromatischer, aber ich zwang mich
trotzdem noch relativ lange zur Zurückhaltung. Als es dann soweit war,
zeigte sich, dass sich die Zurückhaltung gelohnt hatte. Harzig, duftig,
lecker anzusehen war das Ergebnis. Hier kam übrigens die Kammer wieder
zum Einsatz, die mich damals zum Growen verführt hatte. Sie durfte dann
den Trocknungsprozess übernehmen.

Und am Ende kam raus: Selbstgezogenes Gras schmeckt einfach am
leckersten. Schon allein der Liebe wegen, die drinsteckt. Und teuer ist
es, wenn man es effektiv anbaut, tatsächlich auch überhaupt nicht mehr.
Aber vielleicht kriegt man hier noch am ehesten einen Bezug zum wahren
Wert der Sache. Denn es ist ja ein Naturprodukt. Wär’s nicht verboten,
wär’s so gut wie umsonst.

Als größenwahnsinniger Hobby-/Profi-Grower macht man sich natürlich
auch so seine Gedanken für die Zukunft. Anonym eine Wohnung mieten,
komplett mit Erde auffüllen und soweit selbstversorgend installieren,
dass man nur einmal die Woche vorbeigucken muss? Oder warum nicht
gleich sieben Wohnungen, für jeden Wochentag eine?
Na ja, wie auch immer, die Grower-Tätigkeit wird so schnell nicht mehr
aus meinem Leben verschwinden. Außer natürlich die Kriminalisierung des
Natürlichen schlägt wieder zu.

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