Mittwoch, 28. September 2005

Giusto Catania hat das Wort

Ein Interview zum Catiania-Report

Am 8. Juli 2005 wurde der neue aktuelle EU-Drogen-Aktionsplan 2005 bis 2008 veröffentlicht. Wie nicht anders zu erwarten war, sind wichtigsten Aspekte der künftigen Drogenpolitik: Nachfragereduzierung und Angebotsreduzierung. Schlussendlich soll “eine messbare Reduzierung des Drogenproblems in der Gesellschaft” erreichen werden. Deshalb ist auch das oberste Ziel des Aktionsplans, “den Drogenkonsum erheblich zu verringern sowie die sozialen und gesundheitlichen Schäden aufgrund des Gebrauchs illegaler Drogen und des Handels damit zu reduzieren”. Für die europaweite Koordinierung ist die horizontale Gruppe “Drogen” (HGD) zuständig. Erstes Ziel der Umsetzung ist, dass bis 2007 die Mitgliedstaaten “unter gebührender Berücksichtigung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Verwaltungsstrukturen eine nationale Gesamtstrategie und einen oder mehrere Drogenaktionspläne verabschieden und sicherstellen, dass die nationalen Strategien/ Aktionspläne mit der EU-Strategie/den EU-Aktionsplänen in Einklang stehen”. Grundlage ist – von einigen kleinen Veränderungen abgesehen – die im Dezember verabschiedete Drogenstrategie. Nicht erwähnt wird der Catania-Report, der eine andere Art von Drogenpolitik eingefordert hat. Aber lassen wir Guisto Catania selbst zu Wort kommen.

1. Was ist für Sie persönlich von entscheidender Bedeutung in einer vernünftigen Drogenpolitik?
Gegenwärtig fehlt in Europa eine gemeinsame Vorstellung zur Drogenpolitik. Ich glaube, dass im weiteren Sinne die auf das soziale und wirtschaftliche Verständnis basierende Drogenstrategie die wesentlichen Erfolgsaussichten der Drogenverbreitung verursacht. Die Voraussetzung für eine effektive europäische Drogenstrategie sollten auf einer “wissenschaftlichen Herangehensweise” und nicht auf einer emotionalen oder ideologischen Sichtweise basieren. Mit anderen Worten, wir sollten praktische Schritte unternehmen und gezielt das “wirkliche Problem” angehen, anstatt “ideologische Kriege” zu unterstützen, deren zerstörerischen Effekte für die derzeitige Situation mitverantwortlich sind.

2. Was ist Ihre persönliche Meinung zu Drogen und Drogenpolitik?
Aus einer repressiven und prohibitionistischen Perspektive gibt es keinen klaren Unterschied zwischen Drogen-Kategorien und die Konsumenten werden in unseren Gesellschaften als “Außenseiter” erfasst: Es wird keine besondere Anstrengung für ihre soziale Rehabilitation unternommen, was einem Verstoß gegen ihre Menschenrechte gleichkommt.
Meiner Meinung nach beginnt die wahre Prävention mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen und die Hauptverantwortlichen für den internationalen Handel, deren Haupteinnahmequelle aus dem illegalen Drogenhandel kommt.

3. Welche Forderungen würden Sie durchsetzen, wenn Sie es könnten?
Im Allgemeinen befürworte ich eine tiefgehendere Mitwirkung von Zivil- und Regierungsakteuren, um eine Strategie zum Abbau von Vorurteilen in Gang zu setzen, Leben und Gesundheit von Verbrauchern verbotener Substanzen zu schützen, Rehabilitationsprogramme für Täter und Verbraucher als Alternative zum Gefängnis. Außerdem die soziale Rehabilitation und wirkungsvollere Präventionsmaßnahmen. Alle diese Maßnahmen sind darauf gerichtet, der Kriminalisierung von Drogen-Verbrauchern entgegen zu wirken. Außerdem kann nur eine effektivere Koordination unter den Mitgliedstaaten die Hauptursachen bekämpfen.

4. Was halten Sie persönlich für die schlimmsten Fehler der vorangegangenen Strategien zur Bekämpfung von Drogen, die durch eine emotionale Betrachtungsweise hervorgerufen wurden und bei einer rationaleren und wissenschaftlicheren Betrachtung nicht begangen worden wären?
Bis heute ist die Drogenangelegenheit ohne Nachhaltigkeit behandelt worden. Das Ziel der bisherigen europäischen Politik gegen Drogen war, die allgemeinen und offensichtlichen Effekte zu “verdecken”, ohne eine klare Definition darüber, was ein Drogenkonsument wirklich braucht. Eine solche Politik will den Menschen treffen, anstatt ihm zu helfen. Darüber hinaus gibt es viele, den Drogenkonsum betreffende Probleme, wie HIV-Verbreitung oder die soziale Rehabilitation, die auf eine andere Art behandelt werden sollten. Man darf nicht glauben, dass ein Drogen-Verbraucher rehabilitiert wird, indem man ihn ins Gefängnis steckt oder ihm keine angemessene medizinische Behandlung zukommen lässt.
Neueste Gutachten haben gezeigt, dass die den Drogenhandel betreffende Kriminalität nicht verringert wurde. Auch das gegenwärtige Wachstum der Verbreitung von Hanf unter jungen europäischen Menschen demonstriert das Versagen der Strategie von Unterdrückung und Verbot. Ich glaube, dass eine gute Strategie unterschiedliche soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigen sollte, um die gesellschaftlichen Probleme in der EU zu lösen und mit der ganzen europäischen ökonomischen und diplomatischen Kraft in Verhandlungen mit den drogenproduzierenden Ländern zu treten.

5. Welcher Nutzen könnte durch eine Erforschung illegaler Stoffe für medizinische und soziale Zwecke entstehen?
Die Erforschung der Pflanzen, die zurzeit illegal sind wie Hanf, Opium oder Kokain-Blätter, hat alternative Einsatzmöglichkeiten für diese Substanzen gezeigt. Dazu gehören unter anderem die medizinische Applikation, Lebensmittelsicherheit, umweltverträglicher Ackerbau, Erzeugung alternativer Energiequellen. Die Intensivierung der Forschung in diesen Bereichen und eine effiziente Entwicklungshilfe könnten den drogenproduzierenden Ländern helfen, sich von dem Einfluss krimineller Netzwerke zu emanzipieren. Dies schafft eine neue Situation mit der Möglichkeit, ein legales Wirtschaftswachstum zu sichern und somit den Abbau der Armut fördern.

6. Was würde nach Ihrer Meinung zu einem Rückgang des Drogenkonsums und -handels an europäischen Schulen führen?
Ein Schwerpunkt meines Reportes beinhaltet die Einführung von Informations-Maßnahmen in Schulen. Durch eine angemessene wissenschaftliche Betrachtungsweise werden junge Leute sich aller Effekte und Konsequenzen, die durch den Konsum der verschiedenen Drogen entstehen, bewusst werden. Eine weit gefächerte Aufklärungsarbeit über den wirklichen Stand des Drogenproblems wird helfen, ein neues Bewusstsein in der europäischen Gesellschaft zu etablieren und zu fördern, was ein guter Start für die zukünftige Drogenpolitik wäre.

7. Die Kosten einer Verbotspolitik sind in Betracht der hohen Zahl der strafrechtlich zu verfolgenden Delikte in finanzieller wie personeller Hinsicht horrend hoch. Halten Sie es für sinnvoll, die Strategie der Prohibition aufzugeben und europaweit eine Legalisierung nach niederländischem Modell einzuführen?
Die hohen Kosten der Verbots-Strategien stehen in keinem Verhältnis zu den Erfolgen, die mit diesen erreicht werden sollten, weil unter der Berücksichtigung, dass keines der sechs ehrgeizigen Ziele, die in der “Eu Drugs Strategy” (2000-2004) gesetzt waren, irgend ein positives Ergebnis erzielten. Die Wirklichkeit und Zukunfts-Aussichten sind völlig entgegengesetzt. Eine Legalisierungs-Politik würde bestimmt weniger Kosten verursachen und mehr Erfolge sichern (besonders im Hinblick auf den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den illegalen Drogenhandel).

8. Für wie groß halten Sie die Auswirkung einer neuen Drogenbekämpfungs-Strategie auf der Grundlage Ihres Berichts für die Drogenpolitik der Mitgliedstaaten?
Jedes europäische Land hat seine eigene Gesetzgebung auch in Drogenangelegenheiten. Nach der EU-Erweiterung wurde eine besser aufeinander abgestimmte Drogenstrategie notwendig, um dem Drogenproblem auf europäischer Bühne entgegen zu treten. Die EU-Strategie sollte auf einer fachübergreifenden Vorgehensweise basieren, die durch das Erreichen bestimmter Ziele (Abstimmung, Gestaltung, Einschätzung und internationale Zusammenarbeit) zu einer sachgerechten Bewertung und politischen Mechanismen führt, die sich für eine veränderbare Situation eignen, so wie es der Drogen-Abhängigkeit tatsächlich entspricht. Dies hat dann zweifellos eine wesentliche Bedeutung für die Politik der Mitgliedstaaten – sowohl politisch als auch im konkreten Handlungsbedarf.

9. Was für eine Prognose würden Sie über die Entwicklung der Drogenpolitik in Europa in den nächsten Jahren abgeben? Welches werden die grundlegendsten Veränderungen sein?
Eine wirkliche Debatte über die repressive Politik scheint langsam in Gang zu kommen. Selbst Kommissions-Mitglied Frattini zeigte in seiner Presseerklärung vom 21. April eine offene Einstellung. Ich denke und hoffe, dass eine neue Phase beginnt, und wir werden unser Bestes im Europäischen Parlament und in der bürgerlichen Gesellschaft tun, um diese Debatte sich mehr und mehr entwickeln zu lassen.

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