Donnerstag, 30. Juni 2005

Wer steckt eigentlich hinter der Parade?

Hier erfahrt ihr etwas mehr von Steffen Geyer, einem der Hauptakteure der Hanfparade. Da Steffen ein Unterstützer der „Ich habe gekifft und das ist auch gut so“-Kampagne (www.gekifft.de) von der Grünen Hilfe ist, wurde er von deren Pressesprecher, Jo Biermanski, interviewt.

Jo: Wann, wo und wie hast du erstmals Cannabis konsumiert?
Steffen: So mit 13 oder 14 habe ich zum ersten Mal von einer Droge namens Gras gehört. Als Nichtraucher kam mir die ganze Sache etwas suspekt vor und mein Interesse hielt sich zunächst in Grenzen. Mit 15 habe ich dann zum ersten Mal Kiffer live erlebt und war von ihrer Gelassenheit, ihrer augenfälligen Zufriedenheit mit allem anderen überrascht. In meinem Umfeld kannte ich bis dahin nur die Wirkung, die Alkohol auf Menschen hat. Die latente Aggressivität, die auch mich unter Alkoholeinfluss befällt, gefiel mir nicht. Gras schien da ganz anders zu sein. Weil ich mich alleine nicht getraut habe, habe ich mit einem Freund bei einem Bekannten etwas gekauft, das mir mit verschwörerischem Augenzwinkern als richtig gutes Zeug angeboten wurde. Was soll ich sagen? Nachdem wir das Problem Joint-Bauen („Ich hab Papier, Tabak und Gras. Weiß jemand, wie man baut?“) gelöst hatten, erlebte ich meinen ersten Cannabis-Rausch. Nie wieder war die Raucher-Insel unserer Schule so interessant!

Jo: Wann konsumierst du Cannabis und welche Wirkung schätzt du am meisten?
Steffen: Cannabis ist für mich in erster Linie eine Entspannungsdroge. Mit Freunden zum Feierabend genossen, das perfekte Mittel, um Alltagssorgen abzustreifen und mal Fünfe grade sein zu lassen. Aber ich genieße auch das Gefühl von Kreativität (sonst nicht meine Stärke), das sich nach ein paar Joints einstellt. Gedanken, die in alle Richtungen davon eilen, fast kann man sich beim Denken zusehen …

Jo: Hattest du (oder Freunde) auch schlechte Erfahrungen?
Steffen: Ich habe einen Freund, der Gefallen daran findet, nach einer Bong einen Kreislaufkollaps zu kriegen und gern mal nach hinten umkippt. Das macht mir schon Angst. Ich weiß aber, dass er diese Reaktion bewusst herbeiführt und maße mir nicht an, über sein Rausch-Empfinden zu urteilen. Wichtiger scheint mir, in seinen schwachen Momenten für ihn da zu sein, um so Schlimmeres verhindern zu können. Ich selbst leide mitunter unter Husten, besonders wenn das Wochenende mal wieder etwas anstrengender war. Das liegt sicherlich auch, wenn nicht sogar im Wesentlichen, an meinem Zigarettenkonsum.

Jo: Hattest du bereits Ärger mit dem Prohibitions-Apparat?
Steffen: Wenn man so will, war es die Polizei, die mir die Augen über Sinn und Unsinn der Drogen-Gesetze geöffnet hat. Die Geschichte ist mir 1997 zugestoßen, als die Legalisierung von Cannabis nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten zu sein schien. Eines Tages, ich war gerade auf dem Weg zur Bundeswehr, geriet ich in eine Razzia am Nürnberger Hauptbahnhof. Am Stadion war ein Mann mit einem ganzen Kofferraum voller Drogen ertappt worden und nun suchten die Polizei seine Kunden. Ich stand also mit zwei Freunden inmitten einer typisch bayrischen Überreaktion. Unsere Angst war uns anzusehen, hatten ich doch geschätzte fünf Gramm Haschisch in der Tasche, die ich kurz vor der Abfahrt noch erworben hatte. Und alle vom Säugling bis zur Oma wurden gefilzt. Und niemand regte sich auf, als sei es das Normalste auf der Welt, in aller Öffentlichkeit wie ein Krimineller durchsucht zu werden und das in den geheimnisvollen Untiefen der Taschen gewühlt wird …
Als ich an der Reihe war, zog mein Gesetzeshüter (ich hatte seinen Oberlippenbart und den Bierbauch sofort ins Herz geschlossen) mit einem süffisanten Lächeln meine Pfeife aus meinem Rucksack. Genug, um mich vorläufig fest- und in einer ruhigeren Ecke völlig auseinander zu nehmen. Schnell hatten sie auch mein Dope gefunden und fuhren mich aufs Revier. Für meine 3,9 Gramm Haschisch (hatte mein Dealer mich doch glatt beschissen) hab ich dann ne ganze Latte von „Strafen“ gekriegt. Zunächst hat mich die Bundeswehr für drei Wochen in Einzelhaft gesteckt, ich hatte nämlich den Befehl „Keine Drogen nehmen“ missachtet und mich durch den Konsum von Rauschgift selbst verstümmelt. Es folgte das normale Strafgericht. Die haben mein Verfahren zum Entsetzen der extra angereisten Beamten gegen 100 Arbeitsstunden und 350 DM an eine gemeinnützige Organisation eingestellt.
Das hat meinem Polizisten wohl keine Ruhe gelassen, also hat er nacheinander drei Führerschein-Stellen in meiner Wohngegend angeschrieben, bis er eine fand, die mir wegen des Besitzes von 3,9 Gramm Haschisch auf einem Bahnhof den Führerschein wegnahm. Richtig gelesen, ich habe meinen Führerschein verloren, weil ich mit dem Zug gefahren bin. Damals war der Besitz von Cannabis Grund genug, „die Fähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen dauerhaft abzusprechen“, wie es im Amtsdeutsch so schön heißt. Wenn man es eng sieht, habe ich den Führerschein verloren, weil ich lieber nicht breit fahren wollte.

Wäre ich mit dem Auto gefahren, wäre ich nie in die Bahnhofs-Razzia gekommen, hätte keinen um meine Gesundheit besorgten Freund in Nürnberg und die Führerschein-Stelle würde mich noch heute für einen vorbildlichen Fahrzeugführer ohne Punkte in Flensburg halten. Weil ich aber 1997 Zug gefahren bin, gehen bis heute bei meinem Namen im Polizei-Computer die roten Lichter an und auch wenn ich schon wieder jahrelang ohne Punkte, Unfall oder so fahre, können Polizisten mich ohne weiteren Grund zu einer Blutprobe verdonnern.

Mittlerweile haben sich meine Probleme mit der Staatsmacht etwas verlagert. So beschäftigt mich heute zum Beispiel die Frage, wie ich so viele lebende Hanf-Pflanzen, wie nur irgend möglich, auf die Hanfparade kriege und wo bekomme ich die Genehmigung her, sie als Dekoration zu verwenden … Was aber nicht bedeutet, dass mir nicht morgen schon wieder eine neue Bahnhofsgeschichte blühen kann …

Jo: Warum beteiligst du dich an der „Ich habe gekifft …“-Kampagne?
Steffen: Ich mag die „Gekifft-Kampagne“ aus zwei Gründen. Zunächst steht sie in einer Tradition mit vielen erfolgreichen Selbstbezichtigungsaktionen. Ob nun Frauen, die abtreiben, Lesben und Schwule oder antirassistische Skinheads, die Geschichte beweist, dass es sinnvoll ist sich zu zeigen, um auf das erlebte Unrecht hinzuweisen. Das hilft, das Ohnmachtgefühl zu überwinden, das die vermeintlich Machtlosen so leicht befällt. Es ist der erste schwerste Schritt eines Weges. Jeder weitere ist dann viel einfacher. Die „Gekifft“-Kampagne kann der erste Schritt auf dem Weg zu einem Engagement für eine vernünftige Drogenpolitik sein! Auf der anderen Seite kenne ich das Gefühl, der einzige „bekennende“ Kiffer in einem kleinen Dorf zu sein und kann mich noch gut erinnern, wie viel mir zum Beispiel die „Leser für Legalisierung“-Aktion in der Hanf! bedeutet hat.

In einer Umgebung, die vom Hass und den Lügen des „War on Drugs“ beherrscht wird, zweifelt man leicht an den gewonnenen Wahrheiten. Wer immer für verrückt erklärt wird, fängt an, an seiner geistigen Gesundheit zu zweifeln. Da noch nicht alle den Mut aufbringen sich zu outen, ist es umso wichtiger, dass wir bekennenden Kiffer Aktionen wie die „Gekifft“-Kampagne unterstützen. Vielleicht kann ich so dem einen oder anderen einsamen Kiffer zeigen, dass er doch ganz normal ist. Und schon fällt mir noch ein Grund ein, aus dem ich diese und ähnliche Aktionen unterstütze. Sie kostet fast nichts! Mit ein paar Cent Kopierkosten kann jeder die „Gekifft“-Kampagne erfolgreich machen.

Jo: Was war für dich ein ganz besonderes oder wichtiges Cannabis-Erlebnis?
Steffen: Die erste Fahrt nach Amsterdam? Die allererste Hanfparade? Schwere Frage! Etwas Besonderes sind für mich auch die letzten Stunden einer Party. Wenn im Chill-Out die Tüten kreisen und keiner sich rechtfertigen muss, weil er jetzt kifft oder es lässt. Dann träum’ ich mich gern in eine Welt, die einem Chill-Out ähnelt. Eine Welt mit Menschen, die sich respektieren statt sich zu verurteilen, in der das Miteinander und nicht das Gegeneinander dominiert.

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