Montag, 3. November 2008

Das Scheitern der Schweizer Drogenpolitik

Oder wieso Hanf plötzlich zu den harten Drogen gezählt wird

Die Drogenpolitik der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten durch ein pragmatisches Vorgehen ausgezeichnet. Man sass zusammen, diskutierte und suchte Lösungen, um den betroffenen Menschen zu helfen. Die Bilder vom Lettenpark schockierten – und mit den daraufhin eingeführten Heroinabgabe-Programmen begab man sich auf neue Wege: international zuerst äusserst kritisch beobachtet, fand dieser durch wissenschaftliche Ergebnisse bestätigte Ansatz viele Nachahmungen.
Die akzeptierende Haltung, die Sucht als Krankheit und den Drogenkonsum als eine gesellschaftliche Realität anerkennt, erhielt breite Zustimmung. Die vier Säulen der Drogenpolitik (Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression) bekamen ihre Konturen, und das BAG bereitete eine Gesetzesrevision vor, unterstützt von allen in der Drogenpolitik involvierten Kreisen und Fachleuten. Mit entsprechenden Vernehmlassungen ging diese in die nächsten politischen Phasen. Der Bundesrat, der sonst eher konservativere Ständerat und die vorberatenden Kommissionen waren mehrheitlich für die Umsetzung auf Gesetzesebene. Der Nationalrat, der sich sonst durch rasche Lösungen anstehender Probleme auszeichnet, ging erst aufgrund wahlpolitischer Umstände nicht auf das Geschäft ein. Erste Verunsicherungen machten sich breit. Hanf wurde zunehmend zum eigentlichen drogenpolitischen Thema. Mit Hanf-Duftkissen und weiteren neuen Verkaufsideen wurde das noch gültige Gesetz umgangen oder neu interpretiert. Die rechtliche Unsicherheit seitens der Behörden war gross; man stand dem schnell aufkommenden Phänomen der professionellen Hanfvermarktung zuerst ohnmächtig gegenüber. Die je nach Kanton unterschiedliche, mehrheitlich jedoch tolerante Haltung wurde mit einer zukünftig gesetzlich abgestimmten Praxis gerechtfertigt. Die Hanfkonsumenten wie auch die Hanfproduzenten fühlten sich zunehmend bestätigt, insbesondere dadurch, dass vom Hanfhandel Mehrwertsteuer eingefordert und in einzelnen Kantonen diesen Betrieben Arbeitslose vermittelt wurden – sogar im sonst drogenpolitisch repressiven Kanton Aarau. Die Hanfshops genossen mehrheitlich eine Duldung, die einer vorweggenommenen Legalisierung gleichkam. Dies erzeugte spezielle Blüten, nicht nur die des Hanfes: Mit sämtlichen Vorteilen des illegalen Marktes – keine Qualitätskontrollen, bis auf wenige Ausnahmen keine Steuerbelastungen, kein einschränkender Konsumentenschutz etc. – konnte ein noch illegalisiertes Produkt von einem legalen Marktzugang in einer besonderen rentablen Art profitieren. Die Ausgangslage konnte nicht besser sein, um gewiefte Geschäftemacher anzuziehen – zunehmend auch mafiaähnliche Organisationen -, und wurde entsprechend genutzt, um enorme Gewinne in diesem sich schnell wachsenden Markt zu erzielen. War es ihnen zu verübeln, wenn die Rahmenbedingungen derart vorteilhaft waren? Wieso war dies möglich und wurde zugelassen? Wo wurden die Weichen für diese Fehlentwicklung gestellt?
Erstens hat es das BAG verpasst, frühzeitig entsprechende Präventionskampagnen zu planen und umzusetzen, wie dies bei jedem legalen Genussmittel der Fall ist, um dem Missbrauch entgegenzutreten und insbesondere dem Jugendschutz gerecht zu werden. Bei einer quasi ‚neuen‘ Substanz wie dem Hanf sollten, um die Ängste der Bevölkerung zu entkräften, noch viel umfassendere Kampagnen geführt werden. Die Zurückhaltung ist teilweise verständlich, da sich das BAG in dieser Zeit auf einer Gratwanderung befand – zwischen konservativen Kreisen, die jeden nur erdenklichen Vorwand aufgriffen, um den eingeschlagenen Weg zu kritisieren und in Verruf zu bringen, und Drogen-Fachleuten, die eine rasche Umsetzung des Vier-Säulen-Modells vorantreiben wollten. Es bestand auch eine Verunsicherung darüber, ob ein illegales Genussmittel bereits wie die legalen behandelt werden könne.
Zweitens hätte eine Übergangsregulierung politisch umgesetzt werden sollen und wäre zwingend gewesen, um den Hanfmarkt nicht einem unkontrollierten freien Markt zu überlassen, der in der Folge die Stimmung im Volk negativ beeinflusste und das Desaster in der Drogenpolitik einleitete. Aber auch hier stellte sich die Frage der Machbarkeit: Darf einer erst beabsichtigten Gesetzesrevision mit einer Übergangsregulierung vorgegriffen werden? Wäre der Wille tatsächlich vorhanden gewesen – wie es bei der kontrollierten Heroinabgabe, bevor sie gesetzlich verankert wurde, der Fall war –, hätte sich eine solche Lösung auch beim Hanf realisieren lassen. Der unkontrollierte Markt wurde international immer heftiger kritisiert, die Schweiz kam unter Druck.
Süddeutschland und Teile Westfrankreichs wurden durch die Nordschweiz mit Hanf versorgt, und Norditalien deckte sich im Tessin ein. Auch in der Schweiz verstärkten sich die Probleme: In liberalen Städten wie Basel entstanden innert kurzer Zeit über 100 Hanfläden – für Basel selbst eindeutig zuviele. Für Eltern minderjähriger Jugendlicher stellte sich die Frage, ob drei bis vier Hanfläden im Umkreis einer Schule noch akzeptierbar sind. Diese Umstände trugen dazu bei, die tolerante Haltung gegenüber dem Hanf zu verändern. Als die Situation von Lehrern thematisiert wurde – allerdings ohne Absicht, die laufende Revision zum Kippen zu bringen -, war das für die Prohibitionisten ein gefundenes Fressen. Die durch den professionalisierten Hanfanbau gestiegenen THC-Werte wurden mit einer fragwürdigen Inszenierung durch einen gewissen Werner Bernhard von der Uni Bern dramatisiert und in einer Kassensturz-Sendung als hochpotenter Hanf, vergleichbar mit harten Drogen, dargestellt. Die höchst zweifelhaften THC-Messmethoden durften in der Folge nicht ein zweites Mal analysiert werden, im Wissen darum, dass sie falsch waren. Denn nicht alle im Hanf messbaren THC-Inhalte sind auch psychoaktiv; sie wurden aber ebenso gemessen und als solche vermittelt.
Wer sind aber diese Prohibitionisten, die offenbar gut organisiert und mit viel Geld einiges bewegen konnten?
Es sind dies in erster Linie fundamentalistisch orientierte Moralisten, selbsternannte populistische Saubermänner und nachahmende Frauen, die in den üblichen Schwarzweiss-Rastern denken. Selber geben sie vor, die Gesundheit der Jugendlichen stehe im Mittelpunkt ihres Interesses. Das mag von einigen tatsächlich auch gut gemeint sein, aber sie verkennen, dass sie mit ihrer Politik das Gegenteil erreichen: Durch die erneute Illegalisierung des Handels ist ein bewusster Umgang mit der Droge unmöglich, und dem Missbrauch wird dadurch erst recht Tür und Tor geöffnet. Mit ihrer Politik der absoluten Repression spielen sie dem Schwarzmarkt und dessen Exponenten, konkret der Mafia und ähnlichen Organisationen, erst recht in die Hände. Deren Dank ist ihnen sicher …
Auffallend ist, dass diese Anti-Drogen-Krieger (deren Vorbild die amerikanische «Krieg-den-Drogen»-Hysterie bildet) gut organisiert sind. Die professionelle Lobbyarbeit innerhalb des Bundeshauses (massenhafte E-Mail- und aufwändige Broschüren-Propaganda) und ihr systematisches Vorgehen erinnert an die Arbeit ehemaliger VPM-Aktivisten. Hat sich schon einmal jemand gefragt – insbesondere engagierte Journalisten –, wo diese ehemaligen VPM-Vertreter heute aktiv sind? Diese in psychologischer Menschenkenntnis Erprobten haben gelernt, geschickt versteckt zu agieren. Aber könnte es auch sein, dass diese Leute die Fäden im Hintergrund ziehen? Dass die Nationalräte, die einen Entscheid hätten fällen sollen, massiv von Propagandisten beeinflusst wurden, ist mir von diversen Nationalräten bestätigt worden.
Ebenso ist ein internationaler Druck, insbesondere aus den USA, belegbar. Es durfte nicht sein, dass eine relativ harmlose Substanz in einem kleinen Land wie der Schweiz legal wird – es wäre ein falsches Zeichen in die falsche Richtung, das die massiven Gewinne der internationalen Profiteure der Drogenverbote schwinden lassen würden. Oder anders ausgedrückt: Wer heute gegen die Legalisierung der Drogen ist, steht im Verdacht, an der Prohibition zu verdienen!
Tatsache ist: Seit die Hanfläden verschwunden sind und die Verfolgung der Betreiber verstärkt wurde, hat sich die Marktsituation extrem verschlechtert. Die Preise sind gestiegen, eine Qualitätskontrolle wird verunmöglicht, gestrecktes und verunreinigtes Grass (u.a. mit Blei und Pestizidien kontaminiert!) taucht auf dem Schwarzmarkt auf. Man behandelt heute Hanf analog zu den harten Drogen, und Konsumentenschutz scheint bei illegalisierten Genussmitteln sowieso ein Fremdwort zu sein.
Roger Liggenstorfer, im Juni 2008

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