Mittwoch, 3. November 2010

Cannabis als Substitutionsmittel bei Alkohol- und Opiatabhängigkeit

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Es gibt einige Einsatzgebiete für Cannabisprodukte, die zwar breite Anwendung finden, für die es aber kaum klinische Untersuchungen gibt. Dabei ist es wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass eine Anzahl von medizinischen Indikationen für Cannabisprodukte noch nicht sehr lange akzeptiert sind. Das gilt vor allem für psychiatrische oder neuropsychiatrische Störungen, wie beispielsweise Tourette-Syndrom oder posttraumatische Stressstörung.

Ich würde kürzlich durch die Geschichte eines 60-jährigen Mannes, der seit seinem 20. Lebensjahr täglich Alkohol konsumiert hat, daran erinnert. Vor 15 Jahren habe er erstmals versucht, vom Alkoholismus loszukommen. Er hab eine Vielzahl von Versuchen des Alkoholentzugs unternommen, zum Teil allein, zum Teil unter Inanspruchnahme offizieller Hilfsangebote für Alkoholkranke, wie Selbsthilfegruppen, Ärzte und Psychotherapeuten. Zur Unterstützung habe er auch eine Anzahl verschiedener Medikamente eingesetzt. Alle diese Bemühungen hätten nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Im Jahr 2000 habe er schließlich den Eindruck gewonnen, dass die offizielle Medizin ihm nicht helfen könne, und dass er nur auf seinen eisernen Willen und absolute Abstinenz bauen könne. Er habe eine stationäre Entgiftung durchführen lassen. Eher zufällig habe er dann die Erfahrung gemacht, dass Cannabis ihm dabei helfe, abstinent zu bleiben. Er schreibt: Bald verstand ich, dass Cannabis zusammen mit meiner eigenen Arbeit (ich besuchte auch einmal pro Woche eine Selbsthilfegruppe) an meinem Suchtproblem, den inneren Druck, Alkohol saufen zu müssen, vollkommen verschwinden lässt. Es gibt mittlerweile einige klinische Daten, die solche Erfahrungen untermauern. Auch aus der tierexperimentellen Forschung gibt es Unterstützung.
In einer Untersuchung aus dem Jahr 2003 mit 408 Heroinabhängigen, die an einem Methadon-Programm teilnahmen, war die zusätzliche Verwendung von Cannabis nicht mit einer erhöhten Rückfallrate während oder nach der Therapie, also nicht mit der Verwendung von Heroin oder Kokain assoziiert.

Nach Forschung der Klinik für Psychiatrie der Columbia-Universität in New York verbesserte moderater Cannabiskonsum die Fortführung einer Naltrexon-Therapie bei Patienten, die an einer Abhängigkeit von Opiaten wie beispielsweise Heroin litten. 63 Opiat-abhängige Patienten, die zur stationären Entgiftung und zum Beginn einer oralen Naltrexon-Behandlung, begleitet von einer sechsmonatigen Verhaltenstherapie, aufgenommen worden waren, wurden auf der Basis von in zweiwöchigen Abständen durchgeführten Urinuntersuchungen in drei Grade des Cannabiskonsums während der Behandlung eingeteilt: abstinent (0 Prozent Cannabis-positive Urinproben), intermittierender Konsum (1 bis 79 Prozent Cannabis-positive Proben) und konsistenter Konsum (80 Prozent und mehr Cannabis-positive Proben). Naltrexon ist ein Opiatsrezeptor-Antagonist, der vor allem bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit und der Opiatabhängigkeit verwendet wird. Intermittierende Cannabiskonsumenten wiesen eine bessere Fortführung der Naltrexonbehandlung auf als die beiden anderen Gruppen.
1970 erschien ein Bericht des kalifornischen Psychiaters Dr. Tod Mikuriya, der vor wenigen Jahren verstorben ist und einer der engagiertesten Kämpfer für die medizinische Verwendung von Cannabis in USA war, in einer Fachzeitschrift über die Behandlung einer 49jährigen Alkoholikerin. Ihr Arzt registrierte, dass sie weniger Alkohol trank, wenn sie Cannabis rauchte.
Er ermunterte sie schließlich, immer dann Cannabis zu nehmen, wenn sie das Bedürfnis nach Alkohol verspürte. Sie versuchten gemeinsam, die richtige Dosis zu finden, damit sie einerseits, vom Alkohol lassen konnte, aber anderseits wieder nach und nach aktiv am sozialen Leben teilnehmen konnte, was auch gelang: Fünf Monate nach Beginn der Cannabis-Substitutionsbehandlung hat sich ihre Einsichtsfähigkeit verbessert und sie ‚besucht‘ die sozialen Situationen, in denen sie sonst exzessiv trank und ihr zwanghaftes Spiel trieb. Sie raucht nun statt dessen Hanf und registriert, dass sie dabei nicht ihre Selbstkontrolle aufgibt. In der gleichen Zeit hat sich ihr körperlicher Gesundheitszustand verbessert und sie findet sich weniger reizbar; sie könne besser denken und sich konzentrieren.

Nach einer Studie aus dem Jahr 2009 an der Medizinischen Fakultät der Yale-Universität in New Haven (USA) mit 28 täglichen Cannabiskonsumenten verstärkten Konsumenten mit früherem Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit ihren Alkoholkonsum während einer Cannabisabstinenz-Periode. Die Teilnehmer wurden einem 13-tägigen Cannabisabstinenz-Zeitraum unterworfen, und solche mit früherem problematischen Alkoholkonsum verstärkten ihren Alkoholkonsum um durchschnittlich 52 Prozent. Die Autoren stellten fest, dass diese Studie eine empirische Bestätigung der Drogensubstitution in einer Untergruppe täglicher Marihuanakonsumenten darstellt.

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