Donnerstag, 3. Februar 2011

Ein Plätzchen an der Sonne

Text: Sadhu van Hemp

Neulich war es soweit, der Bus war da und hat unseren Vater abgeholt. Nun ist er weg, eingewiesen in den Knast, wo er voraussichtlich seine letzten Jahre zubringen wird. Und wir sind glücklich, wissen wir doch den Alten Herrn gut untergebracht. Und der liebe Papa ist ebenso glücklich. Endlich hat er ein ordentliches Zuhause, geregelte Mahlzeiten, frische Luft und fürsorgliche Menschen, die sich rund um die Uhr um ihn kümmern.
Ich will die Umstände seines Umzugs ins Kittchen etwas näher erläutern, damit Sie, werter Leser, nachempfinden können, weshalb uns ein Stein vom Herzen gefallen ist, als die Handschellen klickten und unser Vater ins ehemalige Konzentrationslager nach Groß-Hesepe deportiert wurde. Alles begann vor etwas mehr als einem Jahr, als unser Paps nach fünfzig Jahren Maloche seinen Rentenbescheid bekam. Sie können sich vielleicht vorstellen, was für ein Schock das war, als wir feststellten, dass seine Rente noch weit unter unserer Sozialhilfe liegt. Meine Frau und ich leben in erster Linie vom Kindergeld unserer fünf Buben, das gerade so reicht, um die wucherische Miete unserer feuchten Souterrainwohnung zu bezahlen. Würden unsere Jungs nicht die Schule schwänzen und als Kinderdealer den Hartz-IV-Regelsatz aufstocken, wären wir längst verhungert in diesem unseren Wohlfahrtsstaat.
Und nun dieser niederschmetternde Rentenbescheid! Das war eine Katastrophe, denn wir hatten fest mit dem Geld gerechnet und schon Anschaffungen geplant. Stattdessen hatten wir jetzt die viel zu teure Miete der Einzimmersozialwohnung unseres Vaters an der Backe. Blieb also nichts anderes übrig als ein staatliches Altersheim. Nachdem meine Frau spaßeshalber auf dem Amt nachgefragt hatte, wie das mit einer vom Pflege-TÜV geprüften Unterbringung so sei, wurde ihr kurz und knapp mitgeteilt, dass von Amtswegen nur dann eine menschenwürdige Sonderbehandlung gewährleistet wird, wenn die Kosten dafür die Angehörigen übernehmen. Diese Aussage kam einem Todesurteil gleich.
Sie müssen wissen, lieber Leser, wir sind zwar arme und geistig bescheidene Menschen, vielleicht auch ein bisschen asozial und arg den Süchten zugetan, aber das Herz lassen wir uns deshalb noch lange nicht aus der Brust reißen. Das Armenpflegeheim mit fristgerechter Entsorgung der Insassen kam selbstverständlich nicht in Frage. Blieb also keine andere Wahl, als unseren armen alten Vater zu uns zu nehmen, wo er sich schließlich in der Küche neben dem Koksofen das Lager mit den Schäferhunden teilen musste. Das Problem war nur, ihn von meinen Pflanzen fernzuhalten, denn schon bald stellte sich heraus, dass uns der Alt-Hippie die Haare vom Kopf kiffte. Aber nachdem ich ihn zum Maniküristen und Erntehelfer ausgebildet hatte und er sich nach getaner Arbeit die Finger ablecken durfte, renkte sich auch das ein. Nur seine nächtlichen Fressflashs sprengten weiterhin unser Fressalien-Budget.

Eine Tages, es war am Heiligen Abend, wurde der liebe Gott auf unser Leid aufmerksam. Ich war gerade im Keller bei meinen Hänflingen, als plötzlich das missratene Söhnchen unseres Hauswirts in der Tür stand und ein mehr als dämliches Gesicht machte. Einen Moment lang glaubte ich fest daran, dass der Groschen bei dem Bengel nicht fallen würde, doch dann fiel er. Noch heute klingt mir dieses „Das sage ich!“ in den Ohren, und der Knabe hatte wirklich großes Glück, dass ich ein Herz für Kinder habe – sonst hätte ich ihn, so wie er da stand und glotzte, mit einem Haps aufgefressen.
Ein paar Stunden später stürmte ein umsichtiges Sondereinsatzkommando der Staatsgewalt das Haus, erschoss versehentlich unsere südländisch aussehenden Hauswartsleute und durchwühlte alle Wohnungen. Im Keller wurden die Schnüffler natürlich fündig. Das Söhnchen des Hauswirts zeigte ganz ungeniert mit dem Finger auf mich und bellte:
„Der da! Das ist der Drogendealer, der Kindern Haschgift in die Nase spritzt!“
„Das ist eine Lüge“, brüllte ich verzweifelt, doch als einer der Polizisten wortlos auf die Pflanzenpracht zeigte, blieb mir die Spucke weg. Ich wollte schon losheulen, doch dann kam er angeflogen, der rettende Gedanke. Es war wie eine Eingebung von ganz oben, als ich den Drogenfahndern geradeheraus in die verblüfften Gesichter sagte, dass unser Väterchen der Eigentümer und Betreiber der Cannabisplantage ist.
So kam es, dass das Fachpersonal der Polizei unseren siechen Vater von seinem Lager zerrte, in Handschellen legte, etwas misshandelte und in Untersuchungshaft steckte. Unser Papa hielt sich an die Absprache und blieb die ganze Zeit über stumm wie ein Fisch. Doch als man ihn nach zwei Wochen wieder auf freien Fuß setzen wollte, widersetzte er sich und gab völlig überraschend die ihm zur Last gelegte Straftat zu. Das führte dazu, dass man ihn in die Klapsmühle verfrachtete. Das war kein guter Ort, zumal er von den etwas spleenigen Seelenklempnern geradezu mit Psychopharmaka gemästet wurde, was ihm gar nicht gut bekam und ihn nur noch störrischer machte. Er wollte unbedingt zurück in die Kiste, dort hatte es ihm gefallen. „Nur hinter Gittern habe ich einen würdevollen Lebensabend“, betonte er mit einem zu allem entschlossenen Blick. Es war schließlich seine Idee, für mich in den Bau zu gehen – ein Vorschlag, dem man nur schwer widersprechen kann.
Ja, den Rest können Sie sich denken, werte Leserschaft. Unserem Vater wurde eine tüchtige Freiheitsstrafe aufgebrummt, aber erst, nachdem er der Richterin unmissverständlich klargemacht hatte, dass er nichts bereut und die Straftat jederzeit wiederholen würde. Zum Glück habe ich den schlechtesten Anwalt der Stadt engagiert, der gar nicht begriffen hat, worum es eigentlich ging. Und das war auch gut so – kampflos beugte er sich dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft und forderte wie diese eine empfindliche Haftstrafe. Nur die dusselige Richterin wollte nicht richtig mitspielen – aus Sympathie und Respekt vor dem Alter des Angeklagten, wie sich die dämliche Kuh ausdrückte. Doch als unser Vati lauthals verkündete, sich mit dem Urteil den Allerwertesten abzuwischen, war es um ihn geschehen. Zur Freude aller gab es sogar noch einen kleinen Zuschlag inklusive anschließender Sicherungsverwahrung bis zum Jüngsten Gericht.
Jetzt ist unser Papa ein rundum glücklicher Mensch. Man hat ihm eine schöne, geräumige Zelle gegeben, Südseite mit Blick über das ganze Straflager. Sein Zellenkumpan ist ein netter und gesitteter Sittenstrolch, der scharfe Geschichten über seine vielen Lausemädchen zu erzählen weiß. Der Gefängnisdirektor, ein freundlicher und harmoniesüchtiger Alt-68‘er, hat seinem „Stubenältesten“ mit einem dezenten Augenzwinkern versprochen, ihn entsprechend seiner floristischen Vorkenntnisse im Gefängnisgarten einzusetzen – damit er eine sinnvolle Beschäftigung findet. Täglich besucht unser Paps die Anstaltsärztin, eine attraktive, wollüstige Junggesellin in den Fünfzigern, die sofort einen Narren an dem ollen Zausel gefressen hat und ihm Massagen, medizinische Bäder und Orthopädisches Turnen verordnet hat, damit er im Lendenbereich seine alte Beweglichkeit zurückgewinnt. Der Speiseplan ist auf seinen empfindlichen Magen abgestimmt, und es gibt wirklich nichts auszusetzen. Morgen hat er Geburtstag, da werde ich ihm ein paar Jamaican Pearl für den Frühling schenken – und natürlich die vorbestellten Nepal-Brownies für die übrigen Insassen.
Ja, unserem Papa geht‘s die nächsten Jahre gut. Umringt von jungem, agilem Leben tut er Buße und bereut seine Sünden, insbesondere die, mit ordentlicher Arbeit sein Leben verschwendet zu haben. Zudem genießt er als Methusalem der Besserungsanstalt hohes Ansehen. Bereits am ersten Tag hat sich eine kleine Anhängerschaft um ihn geschart, die in ihm den niedergekommenen Messias sieht, der sich selbst geißelt und brüderlich Brot und Plätzchen teilt. Ich denke mal, die Entscheidung von meiner Frau und mir, unseren lieben Vater statt ins Pflegeheim ins Zuchthaus zu geben, war eine gute. Dort bleibt er gefordert und geistig aktiv, und er führt ein behütetes und wahrscheinlich langes Leben. Wir können jedem ins Siechenheim abgeschobenen Menschen nur empfehlen, der Hölle der Freiheit zu entfliehen und ein neues Zuhause dort zu suchen, wo ruckizucki der Koch erschlagen wird, wenn der Pudding nach Salmonellen schmeckt.

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