Mittwoch, 27. April 2011

Cannabis und Träume

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Säuglinge schlafen etwa 16 Stunden täglich, ein Erwachsener verschläft ungefähr ein Drittel seines Lebens. Ein gesunder, erholsamer Schlaf ist eine unverzichtbare Quelle der körperlichen Erholung und der seelischen Verarbeitung von Erlebtem. Cannabisprodukte wirken sich auf das Schlafbedürfnis bei verschiedenen Personen unterschiedlich aus. Einige Menschen, die an Schlafstörungen leiden, wenden Cannabis erfolgreich an, während andere keinen relevanten sedierenden Effekt verspüren. Geträumt wird vor allem während der so genannten REM-Schlafphase.

Träume und Schlafphasen

Der Schlaf verläuft in mehreren Stadien, die durch unterschiedliche elektrische Gehirnwellen charakterisiert sind. Nach dem Schließen der Augen und mit zunehmender Entspannung verlangsamen sich die Gehirnwellen, und sie werden regelmäßiger. Diese Gehirnwellen sind als Alpha-Wellen bekannt. Nach einigen Minuten tritt der Schlaf ein. Das Stadium 1 ist durch die so genannten Theta-Wellen charakterisiert. Dieses Stadium kann zwischen zehn Sekunden und zehn Minuten dauern. Wenn man in dieser Phase geweckt wird, denkt man eventuell, man habe noch gar nicht geschlafen oder im Halbschlaf gelegen. Im Stadium 2 werden die Theta-Gehirnwellen durch spitze Hirnwellen und Aktivitätsausbrüche unterbrochen. Dieses Stadium dauert zehn bis zwanzig Minuten. Das Stadium 3 ist durch eine Kombination aus Theta- und Delta-Wellen gekennzeichnet. Delta-Wellen sind sehr langsame Wellen. Im Stadium 4, dem Tiefschlaf, findet man nur noch Delta-Wellen. Das Stadium 4 ist sehr wichtig für die körperliche Erholung. Nach etwa 30 bis 40 Minuten im Stadium 4 treten erneut Theta-Wellen wie im Stadium 2 und 3 auf. Danach folgt allerdings nicht erneut das Stadium 1, sondern der so genannte REM-Schlaf. REM ist die Abkürzung für Rapid Eye Movement (englisch: Schnelle Augenbewegung). Dieses Stadium ist von schnellen Augenbewegungen unter den geschlossenen Augenlidern begleitet. Während des REM-Schlafes wird intensiv geträumt. Träume können in allen Schlafstadien auftreten, sind aber vor allem für den REM-Schlaf charakteristisch. Der REM-Schlaf ist wichtig für die Speicherung, Bewahrung und Neuorganisierung von Erinnerungen und neu Gelerntem sowie für das Vergessen unwichtiger Gedankeninhalte. Nach einigen Minuten bewegt man sich wieder durch die Stadien 2 bis 4, bevor es erneut zurück zum REM-Schlaf geht. Dieser Zyklus wiederholt sich etwa alle 90 bis 110 Minuten.

THC und Träume

In einigen Untersuchungen wurden Veränderungen der Hirnströme während des Schlafes durch Cannabis beobachtet, ein Hinweis auf eine Beeinflussung der Schlafmuster. Bei Cannabiskonsumenten, die 70 oder 210 mg THC am Tag erhielten, reduzierte das Cannabinoid die Dauer des REM-Schlafes, d.h. die Zeit, in der intensiv geträumt wurde. Allerdings entwickelte sich gegen diese Wirkung nach einigen Tagen eine gewisse Toleranz, so dass dann nur noch wenige Unterschiede zu Nichtkonsumenten bestanden. Die Dauer des Tiefschlafes (Stadium 4) nahm tendenziell zu. Nach abruptem Absetzen von THC nahm die Dauer des Tiefschlafes dann vorübergehend signifikant ab. Plötzliches Absetzen von Cannabis führte in dieser Untersuchung zudem zu einer Zunahme und Intensivierung der REM-Phasen bzw. des Träumens. Dieser so genannte „REM-Rebound“ bedeutet, dass in den ersten Tagen des Cannabis-Entzuges möglicherweise intensiver geträumt wird. In der Literatur ist gelegentlich von „seltsamen Träumen“ die Rede. Nach lang dauerndem und starkem Cannabiskonsum kann dieses Entzugssymptom auch einige Wochen anhalten. Ein REM-Rebound ist auch von Schlafmitteln bekannt. In einer anderen Studie, in der allerdings nur geringe THC-Mengen von täglich 30 mg verabreicht worden waren, fand sich kein relevanter REM-Rebound nach dem Absetzen. Die Wirkung von Cannabis auf die Traumphasen ist also offensichtlich dosisabhängig.

Cannabis und Albträume

In einer kanadischen Studie, die 2009 veröffentlicht wurde, verringerte Nabilon, ein synthetischer THC-Abkömmling mit einer ähnlichen Wirkung wie THC, bei Patienten mit posttraumatischer Stressstörung die Neigung zu Albträumen. Von 47 Patienten, die teilgenommen hatten, wurde bei 34 ein vollständiges Verschwinden der Albträume oder eine Reduzierung ihrer Intensität festgestellt. Bei einem Teil der Teilnehmer wurde auch eine insgesamt verbesserte Schlafqualität und eine Verlängerung der Schlafdauer beobachtet. Cannabis bzw. THC stellen viel versprechende Substanzen für die Behandlung von Patienten mit posttraumatischer Stressstörung dar, weil die verstärkte Aktivierung von Cannabinoid-1-Rezeptoren das Vergessen unangenehmer Erinnerungen fördert. Menschen mit einer posttraumatischen Stressstörung leiden jahrelang oder sogar dauerhaft beispielsweise an den Folgen von Gewalterfahrungen, und die verfügbaren Behandlungsmethoden sind oft unzureichend.

Schlussfolgerung

THC bzw. Cannabis reduzieren dosisabhängig die Dauer des REM-Schlafs, also der Schlafphase, in der besonders intensiv geträumt wird. Gegen diese Veränderung entwickelt sich bei regelmäßigen Konsumenten eine gewisse Toleranz. Beim plötzlichen Absetzen des Konsums tritt eine Verlängerung der REM-Phasen mit intensivierten Träumen auf. Cannabis ist möglicherweise ein gutes Mittel bei Personen, die an starken und belastenden Albträumen leiden.

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