Mittwoch, 27. Juli 2011

„Ich habe genug mit dem Virus zu tun, die Staatsgewalt fehlt mir da gerade noch.“

Ein Patienten-Gespräch

Ich hatte Andreas* schon 2006 und 2009 getroffen, um über seine Indoor-Apotheke zu berichten. Andreas wohnt irgendwo in Deutschland, hat seit 1991 Aids, wobei der Virus seit 1994 ausgebrochen ist. Dank guter Ärzte, anti-viraler Medikamte und nicht zuletzt Cannabis, ist sein Zustand seit 1998 stabil. Einen Antrag auf die Versorgung mit Blüten hat er noch nicht gestellt, da Andreas mehr Angst vor dem Papierkrieg als vor einer eventuellen Enttarnung hat. Trotzdem empfindet Andreas die Situation als belastend, besonders seit Medien und Strafverfolgungsbehörden versuchen, die Bevölkerung in Sachen Growing zu sensibilisieren. So hat es sich ergeben, dass wir bei meinem letzten Besuch im vergangenen Jahr ein wenig vom Thema abgekommen sind, eigentlich wollte ich von unserem Interviewpartner ein paar Details zu seiner neuen Sorte in der Growbox, „Rock Star“, erfahren. Beim ersten Joint und dem obligatorischen Minztee sind wir dann aber ein wenig vom Thema abgekommen, weil mein Gastgeber gerade damit beschäftigt war, einen Termin zum Wasserablesen, der genau in die Erntezeit fallen sollte, telefonisch zu verschieben:

„ …bin ich im Urlaub, könne Sie nicht bitte drei Wochen später kommen?“
„ …nein, der Nachbar hat keinen Schlüssel und bekommt auch keinen, weil wir uns noch nicht einmal kennen.“
„…dann bin ich auch noch weg, wie gesagt, erst ab dem 21….“
„…schick ich Ihnen, ja, sicher. Danke für Ihr Verständnis, Wiederhörn“

Diese kurze Telefonat war die Grundlage für den folgenden, sehr aufschlussreichen Dialog zwischen dem Autor und dem Patienten. Die nächste Stunde haben wir dann nur noch über ein Thema geredet: Das Doppelleben eines Hanfgärtners, das so manch seltsame Situation entstehen lässt. Kranke fühlen sich wie Schwerverbrecher, weil sie gezwungen werden, ob fehlender erschwinglicher Alternativen ihre Medizin selbst anzubauen. Auch gesunde Menschen, die einfach nur ab und zu einen Joint rauchen wollen, ohne die Gefahren des Schwarzmarkts in Kauf nehmen zu wollen, werden selbst für eine Hanfpflanze wie ein Dealer bestraft. Deshalb müssen Indoor-Gärtner in Deutschland selbst den kleinsten Grow tarnen wie eine Großplantage, Freunde und Nachbarn werden aufgrund von Paranoia erst gar nicht eingeweiht. Das ist bei der Gesetzeslage auch verständlich, führt aber oft zu skurrilen Erlebnissen und Situationen. Gerade weil Kiffen kein Randgruppenphänomen mehr darstellt, sondern in allen Schichten der Gesellschaft angekommen ist, betrifft das Katz und Maus- Spiel viele, die mitten im Berufs-und Familienleben stehen. Das Gespräch wurde dann mindestens genauso interessant wie sein Grow, den ich dann in einer kommenden Ausgaben vorstellen werde.

Andreas: Pfff, kotzt mich jedes mal an. In der Erntezeit will ich niemanden hier haben.

Kimo: Aber Dein Filter funktioniert doch prima?
Andreas: Trotzdem, man hört die Box halt doch und die ist direkt neben dem Wasserzähler, sicher ist sicher. Vor fünf, sechs Jahren habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Aber seit der Hausmeister beim Fenster reparieren einmal verständnisvoll gelächelt hat, ist mir sehr unwohl.

Kimo: Das ist dann schon das nächste Problem. Besuch, oder?
Andreas: Genau, ich kann wirklich nur meine besten Freunde empfangen. Wenn auch nur einer jemanden mitbringt, den ich nicht oder nur flüchtig kenne, fange ich an zu rotieren: Die Box steht zur Zeit im Bad und da kann ich ja schlecht hinterher gehen. Bleibt der Besuch nur kurz, mache ich das Licht und Lüfter aus, bleiben sie lange, mache ich ihn nach einer Stunde wieder an, damit es nicht stinkt. Das nervt und stresst außerdem die Pflanzen.

Kimo: Kinder hast Du ja zum Glück nicht. Ich war neulich bei einem Grower zu Besuch, der zwei Kinder hat und mit seiner Freundin einen kleinen Schrank mit einer 400 Watt Lampe für den Eigenbedarf betreut. Der muss sich doppelt tarnen. Nach außen vor Nachbarn und Besuch, intern vor seinen Kindern. Erkläre mal Kindern, dass eine Pflanze böse und verboten ist. Der Kollege passt halt auf, dass die Kinder gar nix mitbekommen und hat zur Sicherheit ein Schloss am Schrank angebracht. Aber gerade deshalb wollen die wissen, was da drin ist. Noch reicht als Antwort „Arbeitsunterlagen“, aber sind die Kinder erst 12, 13 oder 14 Jahre wird auch das zum Problem.
Sein Nachbar säuft und setzt seine Kinder den ganzen Tag vor die Glotze. Das ist legal. Da kann kein Jugendamt was gegen tun. Würde mein Bekannter erwischt, könnte es ganz dick für ihn kommen. Denn der baut ja laut Gesetz Drogen in einer Wohnung an, in der Schutzbefohlene wohnen. In Bayern würde den jedes Gericht in den Knast schicken, obwohl er ein verantwortungsvoller und vorbildlicher Familienvater ohne kriminelle Energie ist, der niemanden schadet und noch nicht einmal Zigaretten vor seinen Kindern raucht, geschweige denn eine Tüte.

Andreas: Ich habe eine Bekannte, die hat auch zwei Kinder. Als sie sich von Ihrem Lebensgefährten getrennt hat, fing er an, Sie mit dem gemeinsamen Grow zu erpressen. Es ging um Sorge- und Umgangsrecht und die Frau musste dann ihren Schrank erst einmal stillegen, um ihre Kinder behalten zu können.

„Bei einem Einbruch oder Überfall kann man die Polizei nicht rufen“

Stecklingskammer Foto: Archiv

Kimo: Wenigstens ist nichts passiert. Ich habe mal eine völlig verzweifelte Lesermail bekommen, in der die Betroffene mich nach einem kompetenten Anwalt in Sachen BtMg gefragt hat. Ihr Ex hatte sie nach einem Streit direkt denunziert. In Baden-Württemberg. Acht Pflanzen unter 250 Watt- dafür gab es zwei Jahre auf Bewährung, Sorgerecht zum Ex und eine fette Geldstrafe. Die Kinder wollten lieber zur Mama, aber die musste erstmal eine Kifftherapie nachweisen, obwohl nie ein problematisches Konsummuster vorgelegen hatte.
Überhaupt ist es das Schlimmste die Recht- und Hilflosiglosigkeit in den eigenen vier Wänden. Bei einem Einbruch oder Überfall kann man die Polizei nicht rufen, bei einem Brand oder Wasserschaden muss man eher drüber nachdenken, seinen Grow zu verstecken, als sich um den eigentlichen Schaden zu kümmern. Kommt die Verwandtschaft zu Besuch, ist es aus mit der Ehrlichkeit:
‚ Hi Oma, das ist mein begehbarer Kleiderschrank. Bitte nicht reingucken, ist gerade unordentlich‘.
‚Junge, ich räum ihn Dir schnell auf‘.
‚Äh, danke, lass mal, komm in die Küche, Kaffee is‘ fertig‘.
Selbst ein Bagatellschaden wie ein tropfender Wasserhahn wird zur lauernden Gefahr, denn der Vermieter könnte ja auf die Idee kommen, mal selbst nachzuschauen.

Andreas: Genau das. Der worst case ist bei einem meiner Kumpels eingetreten, als er auf der Arbeit war. Es war Winter, in der Außenwand sind Wasserleitungen eingefroren und genau auf der Höhe seiner Growkammer geplatzt. Alle dachten, der Schaden komme von ihm, die Feuerwehr ist in die Wohnung und das war‘s dann. Noch nicht mal die Feuerwehr drückt ein Auge zu sondern ruft stattdessen die Kollegen. Obwohl der Wasserschaden nix mit dem Mini-Grow zu tun hatte.

Kimo: Ich kenne einen Krebspatienten, der seit seiner Chemo-Therapie Cannabis anbaut. Bei seinem Nachbarn ist der Kühlschrank abgefackelt. Die Feuerwehr wollte dann ein Stockwerk drüber nachschauen, ob eventuell ein Schwelbrand in der Decke entstanden ist. Auch hier wurde postwendend und ohne Not gepetzt. Bingo. Strafverfahren im Haus und Medizin weg, der Kollege kotzt seitdem im wahrsten Sinne des Wortes richtig ab und sucht gerade einen Arzt, der ihm ein Dronabinol Rezept ausstellt. Das kann dauern, wie man weiß.

Andreas: Hast Du je von einem Polizisten gehört, der beide Augen zugekniffen hat?
Kimo: Ich bekomme durch die redaktionelle Arbeit schon eine Menge mit, weiß aber auch nicht immer, ob es 100 Prozent wahr ist, weil ich mich ja ausschließlich auf Erlebnisberichte verlassen muss. Wenn‘s um Gras geht hinterlässt ja niemand schriftliche oder anders geartete Aufzeichnungen, es sei den er ist dümmer als die Polizei erlaubt.
Ich habe in Bundesländern mit liberaler Regelung schon gehört, dass die Polizei ein kleines Stück Gras oder Hasch einfach weggeworfen hat, anstatt eine Anzeige zu schreiben. Zweimal haben mir Leser berichtet, dass der Dorfpolizist, der ihre Pflanzen entdeckt hatte, sie zum Abschneiden und Vernichten aufgefordert hat, anstatt eine Anzeige zu schreiben. Beim einen Outdoor, beim anderen sogar Indoor. Aber von so richtig „kifferfreundlichen“ Polizisten habe ich bisher noch nix mitbekommen. Kifferfreundliche Richter wie der Müller aus Bernau werden versetzt und kriegen Ärger. Das Problem ist ja auch die komische Regelung, die ein ordentliches Rauchpiece als Geringe Menge ansieht, eine einzige Pflanze jedoch als Anbau. Und der ist weitaus strafbarer, weil es dabei keine Geringe Menge gibt. Aber dafür kenne ich einen Polizisten, der regelmäßig und gerne kifft. Seit nunmehr 20 Jahren. Seine Kollegen rauchen ab und zu mit.
Es wird Zeit, dass es auch für kleine Grower eine ähnliche Regelung gibt, in der Schweiz, Österreich, Spanien, Belgien, Tschechien und den Niederlanden ist das bereits der Fall.

Dummheit wächst auch ohne Dünger

Andreas: Was ich auch ziemlich ätzend finde sind beratungsresistente Grower-Kollegen. Eine Schande für die Gilde und für alle, die dieses Hobby verantwortungsbewusst und ambitioniert betreiben. Wenn ich lese, dass eine/r gebusted wurde, ist meist die eigene Nachlässigkeit Schuld. Entweder stinkt das halbe Haus, es gibt einen Wasserschaden, weil bei der Bewässerung geschlampt wurde, der Gärtner prahlt bei Fremden oder die Polizei hat einen Grund, die Wohnung zu betreten, der mit dem Grow nichts zu tun hat…..

Kimo: ..so wie bei den Typen aus Berlin, die ‘ne fette Party gefeiert haben, während im Nebenzimmer zehn 600 Watt Brenner liefen. Die Nachbarn hatten aufgrund der Lärmbelästigung immer wieder mit der grün-weißen Trachtentruppe gedroht. Statt Ruhe zu bewahren haben die Vollpfosten so lange weiter gefeiert, bis die Polizisten im Growraum standen. Bis zu diesem Zeitpunkt unbemerkt vom Rest der Party hatten sie sich gewaltsam Zutritt verschafft, weil niemand das Klingeln oder Klopfen wahrgenommen hatte.
Oder ein Kunde eines mir bekannten Shops: Der wollte trotz mangelhafter technischer und gärtnerischer Kenntnis unbedingt auf die teuerste Hydro-Anlage. Wie ein Fahranfänger auf einer Rennmaschine.
Also hat er mal schnell 1000 Euro für einem Quadratmeter investiert, fürs Buch hat dann das Budget wohl nicht mehr gereicht. Foren waren ihm zu nervig, eine kurze Einweisung der Herstellerseite des Hydro-System musste trotz Bedenken seitens des Shopbetreibers reichen.
Das Ende vom Lied: Erste Ernte 100 Gramm völlig überdüngtes Weed, bei einem möglichen Ertrag von 600 Gramm plus x.
Zweite Ernte: Es klingelt in der dritten Blütewoche, vor der Tür stehen zwei Beamte… Wasserschaden aufgrund falsch installierter Wasserrohre, 60 Tagessätze zu 55 Euro und Anlage ade.

Andreas: Eigentlich ist das sehr traurig, auch wenn man über die Blödheit schon schmunzeln muss. Aber genau diese Typen, ohne Liebe zur Pflanze, ausschließlich auf Gewinn oder dicke Tüten voller Gras zur Hebung des eigenen Selbstwertgefühls fixiert, schaden uns in fast dem gleichen Maße wie die derzeit verfehlte Hanfpolitik. Anstatt sich nur um die Pflanzen zu kümmern, geraten die kommerziellen Gierschlunde nicht selten im Zusammenhang mit weitaus schweren Straftaten in den Fokus der Öffentlichkeit. Die ruhigen, netten und korrekten Vertreter unserer Spezies werden auch deshalb nur selten, und wenn dann von Kommissar Zufall, erwischt und sind so selten eine Meldung wert. Und den Behörden ist das sehr recht, weil sich die Prohibtionslüge prima aufrecht erhalten lässt, wenn Cannabis nur oft genug im Zusammenhang mit Waffen, Frauen- oder anderen, schweren Straftaten erwähnt wird.

Kimo: Ab und an entwickeln sich aber auch lustige Begebenheiten. Ein mir bekannter, etwas paranoider @home Gärtner aus der Schweiz hat seinen Nachbarn im Growshop beim Einkaufen getroffen. Bis dahin dachte er, der Nachbar sei Polizist, seit dem Zusammentreffen beim Besorgen des Hobbybedarfs haben beide eine vertrauenswürdige Urlaubsvertretung.
Oder den Vater, der seinem Sohn die erste Lampe kauft und ihm bei Tarnung, Sortenwahl und Pflanzenpflege behilflich ist, kennt jeder Growshopbesitzer. Schließlich verkauft man ja nicht an Minderjährige.

Andreas: Was wir noch gar nicht erwähnt haben, sind die Probleme von Patienten meines Kalibers. Also solchen, die eine eindeutige Indikation haben, der Arzt über die begleitende Behandlung informiert ist, die aber aus schon erwähnten Gründen über kein Rezept verfügen. Ich kann nicht in denn Urlaub fahren, ohne mir Gedanken zu machen, ob ich am Urlaubsort THC bekomme. Das geht Patienten mit Rezept übrigens genauso, im Gegensatz zu Metahdon gibt es für legale Cannabismedizin noch kein Abkommen zur Mitnahme in Drittländer. Muss ich aus irgendwelchen Gründen zu einem anderen Arzt als meinem Hausarzt, kann ich mir nicht sicher sein, wie sie/er auf meine illegale Medikation reagiert. Bin ich auch nur einen Tag weg von zu Hause, muss ich mir immer menschenunwürdige Plätze suchen, um zu kiffen, damit ich meine Aids-Medikamente anschließend nicht auskotze. Oft wie ein Junkie auf‘m Klo. Widerlich. Last but not least muss ich meinen Arbeitgeber belügen. Die Substanz, die mich überhaupt erst in die Lage versetzt zu arbeiten, wäre ein Kündigungsgrund.
Und was hilft mir schlussendlich ein Rezept, das mich zwischen 500 und 2000 Euro im Monat kostet? Erzähl‘ mir mal einer, die „legalen“ Patienten können sich das leisten. Der Staat weiß doch ganz genau, was da läuft und duldet das. Nur damit es keine offiziellen Zulassungen für privat angebautes, medizinisches Cannabis gibt.

Cannabis Foto: Archiv

Kimo: Was meinst damit?
Andreas (grinst): Da will ich lieber nicht genauer drauf eingehen, wer will versteht mich schon.

Kimo: Na ja, und dann auch noch der ganze Wahn mit THC im Straßenverkehr. Da haben ja nicht nur Patienten ein Problem, das trifft ja alle. Ohne je bekifft gefahren zu sein ist der Lappen oft weg.
Andreas: Wollten die nicht einen Grenzwert einführen?

Kimo: Nicht wollten, sollten. Das Bundesverfassungsgericht, immerhin höchste deutsche Rechtsinstanz, hat unsere Parlamentarier bereits vor sechs Jahren aufgefordert, die derzeitige, illegale Praxis einzustellen und einen THC-Grenzwert, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, festzulegen. Getan hat sich seitdem nichts, die damals kritisierte Vorgehensweise ist noch heute weit verbreitet.
Andreas: Ich denke, Du kannst jetzt endgültig verstehen, warum ich mich so bedeckt halte, auch wenn es mir stinkt und meinen Alltag immens einschränkt. Aber wenn ich mir die armen Säue anschaue, die wegen ein bisschen Gras in die Mühlen der Justiz geraten sind, ist es bei mir aus mit dem Heldentum. Ich habe genug mit dem Virus zu tun, die Staatsgewalt fehlt mir da gerade noch. Deshalb habe ich ja auch eine Menge Respekt vor den Aktivisten wie Euch, exzessiv.tv oder Steffen Geyer, die mit ihrem vollen Namen für die gerechte Sache stehen, auch wenn es Stress gibt.

Kimo: Danke für die Blumen, ich gebe sie weiter. Nach so vielen Geschichten übers Weed möchte ich jetzt welches sehen. Wie war das mit der neuen Kammer nochmal?
Andreas: Tja, dann lass uns mal Richtung Badezimmer rüber, wo die dicken Mädchen warten…….

Die Kammer hat wie immer gehalten, was Andreas versprochen hat: Dicke Dinger. Doch die gibt es erst demnächst.

*Name von der Redaktion geändert

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