Dienstag, 1. November 2011

Die Schöne und der Kiffer

Die Liebe verzeiht alles und insbesondere Frauen neigen dazu, die Schwächen des Lebenspartners mit einer Engelsgeduld zu ertragen. Ohne die Fürsorge der vielen Mütter, Ehefrauen und Freundinnen würde auch so manch Kiffer alt aussehen, denn sie sind es letztlich, die das kleine Laster tolerieren, ertragen und mitunter auch finanzieren. Das Hanf Journal sprach mit einer solchen Frau.

High Anne! Wann bist Du das erste Mal mit Haschisch in Berührung gekommen?

1969. Ich war fünfzehn und unsterblich in einen drei Jahre älteren Gammler verliebt, der mit Haschisch und Trips dealte. Kiffen war in unserer Clique völlig normal und Ausdruck unserer Protestkultur, die mit den Tabus der althergebrachten Riten und Sitten radikal brach. Klar, auch ich habe mein Bestes gegeben und mich weitgehend ausgetestet. Allerdings muss erwähnt werden, dass unser Umgang mit psychoaktiven Substanzen nicht immer kontrolliert ablief. Allein die Experimentierphase mit Heroin hat in unserem Freundeskreis für heftigen Kahlschlag gesorgt. Damals gab es halt noch keine Fachmagazine wie das „Hanf Journal“, die uns ohne erhobenen Zeigefinger vor den Gefahren des Drogenmissbrauchs hätten aufklären können. Die Lüge über Haschisch als Einstiegsdroge diente letztlich auch den Pushern härterer Drogen als Verkaufsargument. Die jungen Menschen glaubten damals ernsthaft, der Umgang mit Heroin sei genauso beherrschbar wie der mit Hasch, weil ja alles nur eine große staatliche Lüge sei. Deshalb ärgert es mich auch, dass der Mythos von guten und bösen Drogen immer noch lebt, anstatt aufzuklären und sich an die Weisheit des Paracelsus zu halten: Die Dosis macht das Gift.

Wie gestaltete sich denn so der Alltag mit einem Dealer?

Schwierig. Ich war jung, überspannt und eifersüchtig. Einerseits war es toll, mit einem gutaussehenden Typen zu gehen, der intelligent, charismatisch und humorvoll ist, andererseits begleitete uns die permanente Paranoia, jeden Moment aufzufliegen und für lange Zeit voneinander getrennt zu werden. Besonders groß war die Angst, wenn ich zu Hause in seiner Bude saß, während er das Dope kofferweise aus Holland holte. Mit siebzehn bin ich dann weg aus dem Elternhaus, und wir haben eine Kommune auf dem Land gegründet. Doch die stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Wir waren das Schmugglernest schlechthin, denn bis zur holländischen Grenze war es nur ein Katzensprung. Die ersten Jahre ging das auch ganz gut, doch nervte es mich zusehends, das Haus immer mit Leuten voll zu haben, die Party machen und den Kühlschrank leerfressen. Bei uns ging es zu wie in einem Coffeeshop, der zugleich Kneipe war. Das Problem waren aber nicht die Kiffer, sondern die User härterer Drogen, die den Weg des geringsten Widerstandes gingen – und der führte zu uns raus auf den Cotton. Als dann Mitte der Siebziger Kokain ins Spiel kam, war Schluss mit lustig, da mich bekokste Männer total abturnen. Das Trennungsjahr war dann auch ziemlich stressig, und letztlich zermürbte das permanente Koksen und die zunehmende Verwahrlosung unsere Liebe.

Du bist dann nach Bonn, hast eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und Dein Fachabitur nachgeholt. Und Du hast Dich neu verliebt.

Ja, wieder in einen flatterhaften Mann, der gerne mit Drogen herumexperimentierte. Er war Sinologie-Student, und sein Faible waren selbstgebraute Psycho-Cocktails aus allem, was Mutter Natur zum Dröhnen bereithält. Er selbst pfiff sich das Zeug aber nicht rein, sondern erprobte die Wundermedizin in seinem esoterischen Freundeskreis. Als dann von Poona die Rede war und er zum Sannyasin mutierte, zerbrach auch diese Beziehung.

Und dann wurdest du flatterhaft.

Ja, in Sachen Männer schon. Und was Drogen betrifft, da hatte ich meine Erfahrung gemacht. Hin und wieder auf Partys oder Festivals habe ich noch mal am Joint gezogen, wohl aber mehr aus Solidarität denn zu Rauschzwecken. Drogen haben auf mich nie einen besonderen Reiz ausgeübt. Meine Trip-Erfahrungen waren keine schönen, und der Haschischrausch widerstrebt meinem Naturell, das eher mit Uppern stimuliert werden müsste.

1980 bist Du dann ins damalige Sündenbabel Westberlin, um Sozialpädagogik zu studieren.

Ja, ich bin die „Frau Lehmann“ sozusagen. Erste Anlaufstelle war natürlich Kreuzberg, wo ich eine komplette emsländische Infrastruktur vorfand. Ich traf sie alle wieder, auch jene Suchtlappen, die von der Heroinwelle nicht in den Orkus der Geschichte gespült wurden. Nun bin ich aber keine richtige Frau Lehmann, die ihre besten Jahre in einer Szenekneipe verbracht hätte. Kreuzberg sollte nicht meine Endstation sein. 1984 zog ich in einen Charlottenburger Kiez, in dem es tatsächlich noch echte Berliner gab. Und so ein Exemplar hatte ich plötzlich als direkten Wohnungsnachbarn. Und dieser Mann war ein…

Lass uns raten: Dieser Mann war ein Haschbruder. Das scheint sich ja wie ein roter Faden durch Dein Leben zu ziehen. Wieder ein Chaot, der sich jeden Tag ein paar Mal strafbar macht, weil er knattert.

Anfangs maß ich dem Laster keine besondere Bedeutung zu, denn ich lernte einen Mann kennen, der einem ordentlichen Beruf nachging, durch und durch Sportsmann war und eine ausgesprochen gute Erziehung genossen hatte. Auch sah und sieht man ihm nicht an, dass er Hochleistungskiffer ist und im Jahr locker ein Kilo wegdampft. Für mich stand fest, das ist der Mann meines Lebens, der wird der Vater meiner Kinder. Die ersten Jahre versuchte ich selbstverständlich alles, ihn von seinem kostspieligen Hobby abzubringen, indem ich ihm extremes Suchtverhalten vorwarf. Auch ängstigte ich den armen Kerl mit den üblichen Klischees über die Schädlichkeit von Hasch, weswegen ich mich heute schäme. Viele Streits und Zankereien hätten wir uns erspart, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass hinter seinem extremen Haschischkonsum mehr als nur die Lust auf Rausch steckt. Haschisch ist für den Hektiker und Zappelphilipp in erster Linie das Mittelchen, das ihn überhaupt erst umgänglich und erträglich macht. Spät erst habe ich erkannt, dass er da eine klare Philosophie verfolgt, die mir heute umso sympathischer ist. Während andere in unserem Freundeskreis risikofreudig mit Alkohol umgehen und sich vom Onkel Doktor wegen jedes Zipperleins Pharmazeugs verschreiben lassen, genügt ihm der Joint – auch bei Grippe. Im Grunde habe ich zu Hause einen Mann sitzen, der nüchterner und zugleich gelassener nicht sein kann.

Und doch bringt das Leben mit einem Kiffer einen Spagat mit sich, der viel von Dir abverlangt.

Ja holla, und wie! Kiffer sind gesellschaftlich geächtet wie Sexualstraftäter. Das geht auch nicht an mir spurlos vorbei, die im gutbürgerlichen Milieu ihren Lebensmittelpunkt hat. Der Kreis der Eingeweihten ist entsprechend klein und als Frau eines Kiffers treibe ich ebenso ein lästiges Versteckspiel. Nachbarn, Kollegen und Bekannte wollen belogen werden, und unsere Freundeskreise sind nicht immer kompatibel. Auch das Reisen ist eine hochkomplizierte Sache, wenn es darum geht, den Zoll auszutricksen. Mittlerweile sind unsere Abläufe automatisiert. Das heißt, wenn wir mal wieder aus Holland kommen, hübsche ich mich kurz vor der Grenze an und setze mich ans Steuer des auf mich zugelassenen Autos. Das schützt zwar nicht vor Kontrollen gelangweilter Zöllner, die Fahrzeuge mit Berliner Kennzeichen grundsätzlich für verdächtig halten, aber wenn ich dann mit den Mützen Plattdütsch schnacke, ist das Eis meist auch schon gebrochen. Schließlich sind wir Emsländer ja alle irgendwie verwandt und verschwägert. Auch bei Flugreisen bin ich diejenige, die den Urlaubsvorrat sicher am Zoll vorbeibringt. Doch oft muss ich allein reisen, da bestimmte Länder eine No-Go-Area für meinen Mann sind.

Du bist jetzt über ein Vierteljahrhundert mit einem Kiffer liiert, Eure Kinder sind kerzengerade gewachsen und längst außer Haus. Wie siehst Du Eure Zukunft im alltäglichen deutschen Prohibitionswahnsinn?

Na nun, da ist nicht mehr viel Zukunft, zumindest nicht hier in Deutschland. Wir haben einfach keinem Nerv mehr auf den permanenten Stress wegen der lächerlichen paar Hanfpflänzchen, die bei uns auf dem Balkon wachsen. In drei Jahren bin ich sechzig, und wir sind gerade dabei, die Weichen Richtung Niederlande zu stellen, wo wir unsere Ruhe haben. „Frau Lehmann“ wird Berlin den Rücken kehren und ihren Lebensabend in Haarlem verbringen – und das hoffentlich angstfrei.

Anne, wir danken für das Gespräch und wünschen Dir und Deinem Mann viel Glück bei der Emigration in die Freiheit.

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