Montag, 19. März 2012

Rolys Silberscheiben des Monats März 2012

High Contrast: The Agony & The Ecstasy
hospital records

Der Mann aus dem walisischen Cardiff vermag es seit seinem Debütalbum „True Colors“ (2002) immer wieder gekonnt seine Anhänger zu fesseln, die Grenzen zwischen allen Subgenres geschickt zu verbinden und sich somit in die Herzen und Plattenkoffer aller A-List DJs zu spielen. Nach den weiteren Top-Alben „High Society“, „Tough Guys Don’t Dance“ (2007) und „Confidental“ (2010) wird Lincoln J. Barett aka High Contrast wohl auch mit seinem neuesten Feuerwerk „The Agony & The Ecstasy” wieder für leuchtende Augen und vollgepackte Dancefloors sorgen. Die erste Single „The First Note Is Silent“ (feat. Tiësto & Underworld) ist bereits eine Hymne vor dem Herrn. Die herausragende Sängerin Selah Corbin (KidA) verleiht den Tracks „The Agony & The Ecstasy“, „Wish You Were Here“ und „The Only Way There“ ihren sehnsuchtsvollen Charme, Claire Maguire (Chase & Status / Breakage) verfeinert die melancholischen Downbeats von „Almost Human“, neue Talente wie Lung & Jessy Allen begleiten das verträumte „Not Waving, But Drowning“ und Liane Carrol (London Elektricity) glänzt auf dem finalen Hands-in-the-air-Tune „All There Is“. Grossartige Harmonien auf breiten Basslines und rollenden Beats liefert uns der Meister der butterweichen Wohlfühltracks auch auf dem euphorischen „The Road Goes On Forever“, dem leidenschaftlichen „Emotional Vampire“, dem Darkside-Smasher „Father, Can’t You See I’m Burning“ sowie dem Über-Epos „The Stand“. Das Wunderkind aus Wales ist für mich persönlich nach wie vor der Oberarzt im Krankenhaus, denn er garantiert feinen musikalischen Klang samt schmelzendem Vokal. Premier League Drum’n’Bass.
www.highlycontrasting.com
www.hospitalrecords.com


Hanne Hukkelberg: Featherbrain
propeller recordings

Ihre ersten beiden Alben „Little Things“ (2004) und „Rykestrasse 68“ (2006) funktionierten wie akustische Tagebücher von Exkursionen durch Oslo und Berlin, wo sie ein halbes Jahr als Stipendiatin lebte. Nachdem die studierte Jazz-Musikerin auf ihrem dritten Album „Blood From A Stone“ (2009) romantisch und detailverliebt neue Klangwelten auslotete, gibt sich Frau Hukkelberg auf ihrem vierten Longplayer „Featherbrain“ experimentierfreudiger denn je. Von explizit dissonant bis offensiv schwärmerisch reichen die Ansätze ihres Schaffens. Es ist ein kunstvolles Verweben von Geräuschen, Klangschnipseln und Instrumenten wie Klavier, Streichern, Cembalo, Schlagzeug, Gitarren sowie der Kirchenorgel aus Hannes Heimatstadt Kongsberg, an der sie ihr Vater Sigurd auf „The Time And I And What We Make“ begleitet. „I Sing You“ beschwört das dunkle, alte Holzhaus herauf, in dem die Norwegerin lebte. Auf „Too Good To Be Good“ vereinigt sie die komplexe harmonische Vielfalt des Jazz mit subtil aufgeschichteten Ambient-Verweisen. Das finale, auf Norwegisch vorgetragene Duett „Erik“ mit Erik Vister, einem 88-jährigen, klassisch ausgebildeten Sänger, handelt davon, wenig zu besitzen, die kleinen Dinge wert zu schätzen und demütig zu sein. Ihren Umgang mit kakofonen Versatzstücken und taumelnden Harmonien krönt Hanne Hukkelberg mit ihrer facettenreichen und stets berührenden Stimme. Mit viel Intimität, Exzentrik und entrückender Intensität zelebriert sie einen avantgardistischen Stilmix aus Jazz, Pop, Klassik, Folk und Freestyle. Anfangs etwas anstrengend, muss man dieses Album häufiger hören – dann ist es verzaubernd.
www.hannehukkelberg.com
www.propellerrecordings.no


Tom Liwa: Goldrausch
gim records

Irgendwo zwischen deutschem Indie-Rock-Pop und grosser poetischer Kraft hat der aus Duisburg stammende Liedermacher seine Nische gefunden und ist inzwischen sicherlich einer der Feinsten seiner Zunft. Ich entdeckte Tom Liwa erstmals 1997 als Gastsänger des Tim Isfort Orchesters auf gleichnamigem Album, und die beiden Songs „Als Sie Zwanzig Waren“ sowie „Houston Sauerland“ hinterließen bei mir einen ebenso bleibenden Eindruck wie im Jahre 2000 seine Solo-Single „Für die linke Spur zu langsam“. Denn Tom Liwa präsentiert zeitgemässe Dichtung und Gedankengänge, vertont zu Liedern, die sich auch ohne Musik lesen liessen. Mit den Vorgänger Alben „Komm Jupiter“ und „Eine Liebe Ausschließlich“ vollendet das neue Werk „Goldrausch“ eine Trilogie, die sich einer ganz bestimmte Lebens- und Schaffensphase des Künstlers, aber auch einer ganz bestimmten Liebe widmet. Auf 12 Songs, auf denen er Ukulele spielt und singt, scheut sich Tom Liwa nicht, die Kunst und das Leben gegeneinander ins Feld zu führen, um sie im selben Atemzug gekonnt zu versöhnen. Cello, Bass und etwas Perkussion veredeln unaufdringlich seine gefühlsintensiven Lieder. In „Dein Wille geschehe“ erzählt er von irrationalen Ängsten und beiläufigem Vermissen, und wenn „Günther geht, Anna kommt“ werden große Themen wie Anfang und Ende greifbar. Daneben finden sich Liebeserklärungen an glückliche Momente mit „Honig und Laub“, die blühende „Heideblume“ und berührend ehrlich gesprochene Zeilen in „Yoyo“. Ausdrucksstark, meditativ, hellwach, spirituell, authentisch, rätselhaft und sehr persönlich – im deutschen Kulturbetrieb ist Tom Liwa ganz weit vorne.
www.tomliwa.de
www.gimrecords.de


Flixx’n’Hooch: verFLIXX’N’HOOCHnochmal
shake-a-dem

Hervorgegangen aus dem Shake-A-Dem Soundsystem ist das Allgäuer Duo Flixx’n’Hooch seit einigen Jahren Teil einer neuen Generation in Dancehall-Deutschland. Nach zahlreichen Nächten, in denen sie sich lyrische Kurzpässe zuspielten, präsentierten die beiden MCs ihren Fans im Jahre 2010 ihr feierwütiges Debüt-Album „Dancehall Disco“. Nach weiteren frischen Singles und intensiven Live-Shows verschwanden sie erneut im Studio, um sich nun mit dem Motto „verFLIXX’N’HOOCHnochmal“ und gleichnamigen Album zurückzumelden. Für ihre erste Single „Rudeboy, Rudegyal“ waren sie zusammen mit den Ladies von Serengeti (Schweden) im Studio und haben einen entspannten Tune auf den Dixi Riddim gevoiced. Gute Vibes gibt’s auch auf dem autobiographischen „Hände gehen hoch“, dem antreibenden „Party Hard“ (feat. Ward 21), dem narrativen „Geschichtenerzähler“ (feat. Emiliano und Bjahm), dem bouncenden „Tanzen ist der Auftrag“, dem motivierenden „Never Give Up“ (feat. Cookie the Herbalist) und dem verliebten „Einzigartige“ – mein Lieblingstrack ist das dynamisch-optimistische „Ich will mehr sehen“. Gemischt und produziert wurde das Album diesmal nicht nur im Allgäu, sondern auch in Wien in Zusammenarbeit mit Luke Rich (Bassrunner Productions), der auch die meisten Riddims für die Platte beisteuerte. Mehr Styles, mehr Frische, mehr Frechheiten, mehr Reime, mehr Wortwitz, mehr Abfahrt, mehr Pullups, mehr Punchlines. So bieten die Jungs einen bunten, unbeschwerten und mitreissenden Mix aus Dancehall, HipHop, Reggae und Funk. Live übrigens immer bestens zu erkennen an der Show mit der Abrissbirne auf der Bühne. Mash up, Party!
www.flixxnhooch.de
www.shakeadem.de


Trevor Jackson: Metal Dance
strut

Man kennt ihn als Designer (vornehmlich Plattencover), Remixer (u.a. für Massive Attack oder Unkle), Produzent (z.B. Playgroup) und Labelmacher (Output Recordings). Der Londoner Trevor Jackson ist aber nicht nur einer der besten DJs Großbritanniens, sondern auch ein ausgewiesener Industrial- und EBM-Kenner. Dieses Post-Punk-Kapitel vor der Acid House Revolution, das anstelle von stereotypem Gitarrenklang lieber mechanische-metallische Grooves einsetzte und so Techno auf den Weg brachte, wird ja gerne mal ausgeblendet. Aber als sich die USA und die Sowjetunion in bedrohlichem Masse gegenüber standen, gab es einen Boom nihilistischer Musik. Für Strut hat Trevor Jackson nun auf der Doppel-CD „Metal Dance“ die Klassiker, Raritäten und Wegweiser der dunklen Jahre (1980-1988) kompiliert. Zu Schätzen von Cabaret Voltaire, Neon und DAF gesellen sich knallige Dubs von Pete Shelley und Alien Sex Fiend, während Nitzer Ebb auf morbiden Tracks wie „Control I’m Here“ mit den sozialen Verwerfungen der Regierung Thatcher ringen. Weitere brachiale Highlights liefern natürlich die einflussreiche australische Industrial-Band SPK („Metal Dance“), die Neubauten mit „Yü-Gung“ im Adrian Sherwood Mix und Yello. Oben drauf gibt’s einen Track aus dem Kultfilm „Escape from New York“ (von Klein & MBO neu editiert) und ein flirrendes Outro des spanischen Avantgarde-Künstlers Diseno Corbusier. 27 Tracks, die Erinnerungen wecken, vor den Kopf stossen, teilweise ihrer Zeit weit voraus waren und an Aktualität kaum verloren haben. Die Beats des Kalten Krieges sind obskur und geheimnisumwittert, kraftvoll und energiegeladen.
www.trevor-jackson.com
www.strut-records.com

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