Mittwoch, 11. Juli 2012

Drogenfachgeschäfte für mündige User

Psychoaktive Substanzen sind seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil aller Kulturen und Epochen. Beständig zeigt sich, dass der Gebrauch der Substanzen durch repressive Maßnahmen höchstens eingeschränkt werden kann. Doch auch wenn die Verfügbarkeit reduziert wird, so bleibt das Bedürfnis vieler Menschen nach anregenden oder entspannenden Substanzen bestehen. Gleichzeitig zeigt sich immer wieder, dass der Mensch auf der Basis von Information und Reflektion grundsätzlich in der Lage ist, mündig mit psychoaktiven Substanzen umzugehen und einen Nutzen daraus zu ziehen.
Aus diesen Erkenntnissen, die in Geschichte und Gegenwart in zahllosen Erfahrungen und Untersuchungen belegt wurden, ergibt sich in der Gegenwart die Notwendigkeit veränderter gesellschaftlicher Ansätze in Bezug auf Drogen. Dies gilt für eine drogenpolitische Neuausrichtung bzw. eine Überwindung repressiver Strukturen ebenso wie für Fragen des Umgangs mit Drogen.
Meist sind derartige Diskussionen jedoch auf Fachkreise oder einzelne Szenen beschränkt. In der breiten Öffentlichkeit, wie auch auf der politischen Ebene sind derartige Fragen dagegen oftmals völlig tabuisiert. Ansätze, die neue Wege aufzeigen, werden in einigen Massenmedien, wie auch von den VertreterInnen konservativer Positionen, schnell fälschlich als Verharmlosung von illegalen Drogen diffamiert.

Drogenmündigkeit anstatt Repression

Eine wichtige Rolle hinsichtlich eines veränderten Verständnisses nimmt der Begriff der „Drogenmündigkeit“ ein. Schon sprachlich verweist er nicht automatisch auf vermeintliche Probleme und Defizite beim Umgang mit Drogen, wie es der gängige Begriff „Suchtprävention“ nahe legt. Vielmehr verweist er über den Aspekt der Mündigkeit in einem ganzheitlichen Sinne auf innere Stärke als Grundlage des Verhältnisses zu psychoaktiven Substanzen. Drogenmündigkeit schließt dabei auf der Basis von kritischer Selbstreflexion und grundlegenden Informationen die Fähigkeit eines reflektierten Umgangs mit Drogen ein, der als wesentliches Element auch die Fähigkeit, aber nicht den Zwang zur Abstinenz beinhaltet.
Die Soziologin Gundula Barsch schreibt dazu: „Drogenmündigkeit ist ein sehr komplexes Handeln, in das unter anderem Fähigkeiten und Motivationen für Risikomanagement, Kritikfähigkeit, Genussfähigkeit und Drogenwissen eingehen. Diese sehr verschiedenen und facettenreichen Fähigkeiten und Verhaltensdispositionen schaffen die Basis dafür, dass Menschen in den vielfältigsten Alltagssituationen in Bezug auf Drogen autonom und kundig handeln. Gerade mit dem Bezug auf Kritikfähigkeit und Risikomanagement wird deutlich, dass Drogenmündigkeit nicht dem nur sich selbst verpflichteten und damit egoistischen Individuum das Wort redet, Drogenmündigkeit soll vielmehr ausdrücklich als Aspekt der Gemeinschaftsfähigkeit verstanden werden.“
Der Bewusstseinsforscher Hans Cousto knüpft daran an: „Drogenkonsum ist nicht grundsätzlich ein Problem, dem entgegengewirkt werden muss, sondern der Konsum psychoaktiver Substanzen ist als Phänomen wahrzunehmen, das unter bestimmten Voraussetzungen in die Lebenswirklichkeiten der Menschen integrierbar ist und dort einen berechtigten Platz haben kann. Voraussetzungen hierfür sind Drogenkompetenz als Basis eines autonom kontrollierten, sozial integrierten und vor allem genussorientierten Konsums sowie Drogenmündigkeit als Ausgangspunkt von Wert- und Handlungskriterien zur Partizipation von Drogenkonsumenten am Kultur- und Gesellschaftsleben.“

Bewusstsein, Rausch und Reflexion

Auch der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann tritt für ein neues Verständnis von Drogen und Rausch bzw. für die Förderung von Risikokompetenz ein. Hurrelmann beschreibt dabei Wege, um auf zunehmende exzessive Konsummuster wie das „Koma-Saufen“ von Jugendlichen einzuwirken und eine individuelle „Gesundheits-Krankheits-Balance“ zu fördern. „In allen Fällen geht es darum, zusammen mit den Konsumentinnen und Konsumenten von legalen und illegalen psychoaktiven Substanzen Zielvorgaben für Abstinenz oder kontrollierten, lustvollen Umgang mit der jeweiligen Droge zu entwickeln und gemeinsam Muster der Umsetzung zu erproben.“
Das „Genussmittel-Modell“ und das Konzept der „Drogenfachgeschäfte“ zielen unter den gegebenen Bedingungen auf eine Legalisierung psychoaktiver Substanzen. Ihnen gemeinsam sind eine Reihe begleitender Maßnahmen, darunter Qualitätskontrollen, detaillierte Informationen, ausgewählte Verkaufsstellen, Altersgrenzen und Werbeverbote.
„Die Vorteile einer solchen Handhabung der heute illegalen Drogen sind folgende: Man erhält – im Gegensatz zur heutigen Situation – eine weitestgehende Kontrolle über die verkauften Substanzen. Man erhält – was in der Illegalität erfahrungsgemäß unmöglich ist – eine umfassende Kontrolle über die Hersteller, Vertreiber und Händler von Drogen. Man sichert die Autonomie der Konsumenten sowohl in Hinblick auf die Entscheidung, welche Drogen konsumiert werden, als auch in Hinblick auf die Entscheidung einer vom Konsumenten für sinnvoll erachteten Beratung, Behandlung oder Therapie durch einen Arzt oder eine Hilfsinstitution.“ (Henning Schmidt-Semisch).
Der verstorbene Bewusstseinsforscher Albert Hofmann und der Ethnobotaniker Christian Rätsch setzten sich ebenfalls für einen veränderten Umgang mit psychoaktiven Substanzen ein, der gezielt vermittelt und erlernt werden sollte. Sie vertraten dabei jedoch nicht einen jugendpädagogischem oder drogenpolitischen Ansatz, sondern bezogen sich vielmehr auf Rituale verschiedener traditioneller Kulturen. In diesen fand ein Gebrauch bestimmter psychoaktiver Substanzen zum Teil unter schamanischen bzw. gezielt bewusstseinsverändernden Gesichtspunkten statt und war in das gesellschaftliche Leben integriert. „Die Schamanen der traditionellen Kulturen verwenden heilige Pflanzen als Werkzeuge, mit denen sie Kranke heilen können. Sie nehmen sie aber auch selbst ein, um mehr zu sehen, oder gemeinsam mit dem Patienten, um mit ihm zusammen auf Reisen zu gehen. Sehr wesentlich ist es, dass der Schamane als eine Art Künstler mit veränderten Bewusstseinszuständen umgehen kann.“ (Christian Rätsch).

Mündige und selbstbestimmte Entscheidungen

Eine Legalisierung würde die mit Drogen verbundenen Probleme selbstverständlich nicht völlig aufheben. Vielmehr wird es, wie in unzähligen anderen Bereichen, immer auch einen Missbrauch geben, solange es nicht den perfekten Menschen gibt. Vermutlich würde nach einer Legalisierung die Zahl der DrogenkonsumentInnen anfangs ansteigen, gleichzeitig käme es jedoch insbesondere durch die Möglichkeiten reine Substanzen angemessen zu dosieren, zu einer immensen Verringerung der gesundheitlichen Probleme. Insgesamt würde sich die Gesamtsituation strukturell für die KonsumentInnen, sowie unter anderem für Kliniken, Drogenhilfe und Behörden wesentlich entschärfen.
Mit der Überwindung des Schwarzmarktes wäre zudem auch die Ersparnis der immensen Kosten und Energien verbunden, die gegenwärtig von öffentlicher Seite aufgebracht werden, um sisyphusartig unablässig vergeblich gegen die damit verbundenen Strukturen anzugehen. Der Staat würde nicht nur Kosten einsparen, sondern wie auch mit der Alkohol- und Tabaksteuer enorme Mittel einnehmen, wovon ein wesentlicher Teil in aufklärende Informationsprogramme fließen sollte.
Eine weitere zentrale Folge wäre der Wegfall des umfassenden Handels mit gestreckten Substanzen. Durch die Kontrolle der Reinheit der Substanzen käme es unter anderem zu einer wesentlichen Reduzierung von Notfällen bzw. zu einer Entlastung des Gesundheitswesens. Vor allem käme auch hier ein Menschenbild zum Durchbruch, welches die handelnde Person nicht auf vermeintliche oder potentiell mögliche Probleme und Defizite reduziert. Vielmehr würden repressive Strukturen durch einen Raum ersetzt, der selbstbestimmte und mündige Entscheidungen ermöglicht.

www.sterneck.net

Literaturhinweise/Zitatquellen
Gundula Barsch: „Impulse setzen für die Entwicklung von Drogenmündigkeit“ (2000). Hans Cousto: „Drogenkompetenz und Drogenmündigkeit – Psychonauten im Untergrund“ (2002). Albert Hofmann, Christian Rätsch: „Schlüssel zum Unbewussten“ (2003). Klaus Hurrelmann: „Rausch als Risiko und Herausforderung“ (2007). Max Plenert: „Das Drogenfachgeschäft ¨C Modell für eine alternative Drogenpolitik“ (2005). Henning Schmidt-Semisch: „Ohne Legalisierung geht es nicht!“ (1993). Wolfgang Sterneck: „Politische Drogen und Psychoaktive Utopien“ (2006).

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