Sevilla
im Mai. Flucht vor der Nachmittagshitze in ein kleines Beisl an der
Alameda, der Alternativmeile der Stadt. Zwei Bauarbeiter genießen
am Nebentisch ihre Pause bei einem Bier und einem Joint. Von den
insgesamt sechs Tischen im Freien wird an dreien gebaut, auf
dem Tisch, nicht darunter.
Jacinto
führt uns stolz sein neues System vor: minimaler Platzverbrauch
bei maximaler Ausbeute
indoor. Sechzig Pflanzen in einem Kasten, Erde nur so viel wie nötig.
Jose-Luis dagegen hat seinen rund 30 Pflanzen in seiner Wohnung ein
eigenes Zimmer reserviert. Zum Abschied gibt’s von beiden einen
ausgewählt schönen Bud mit auf den Weg.
In
einem Vorort der andalusischen Hauptstadt besuchen wir Francisco, der
noch bei den Eltern wohnt, wie hier üblich bis zur Hochzeit, die
Dachterrasse in voller Länge und Breite Marien geweiht. Seine
über sechzigjährige Mutter hat das Hanf-Kochbuch in der
Küche liegen, die getrockneten Buds am Küchenkastl und
benutzt den vom Sohnemann fabrizierten Hanf-Alkohol zum Einreiben
ihrer schmerzenden Knie. Ich nutze ihre Küche, um Cyberkese nach
original österreichischem Rezept zu fabrizieren, welche am Stand
des Hanf-Vereins auf der Alternativmesse in Sevilla verkauft werden
sollen. Mit den Worten, sie würde damit so gut einschlafen,
zweigt sie sich gleich ein paar für sich ab. Auch von Francisco
gibt’s ein besonders schönes Stück Mexican Sativa.
Javi,
Häuslbauer und Semi-Austeiger, lebt mit Frau, pubertierendem
Sohn, Hühnern und Ziegen in der Sierra de Aracena am Rande eines
Naturparks. Jeden Tag nach getaner Arbeit gönnt er sich zwischen
acht und neun Uhr abends seinen Joint. Als wir ihn besuchen, ist es
schon zehn, als er Feierabend macht, weshalb er diesmal drauf
verzichtet, weil er sonst am nächsten Morgen nicht aufkommt.
Cuenca,
pitorreskes Touri-Dörflein in der Provinz Castilla
La Mancha, Heimat Don Quijotes. Im Wohnhaus
direkt hinter der von unzähligen Besuchern frequentierten
Aussichtsplattform im ersten Stock am Fenster zwei Plastikkübel
mit eindeutigem grünen Inhalt, umringt von kleinen
abgeschnittenen Tetrapacks, aus denen der Nachwuchs die Blätter
der Sonne entgegenstreckt. Auf unser Fachsimpeln hin erscheint ein
vollbärtiges Studentengesicht am Fenster – ob es hier keine
Probleme mit der Polizei gäbe? Bis jetzt nicht, meint es. Wir
wünschen gute Ernte und ziehen weiter. Gleich ums Eck treffen
wir auf einige Gitanos, die Straßenmusik machen. Das
heißt, im Grunde singen und spielen sie die Bulerías
und Flamencos hauptsächlich für sich, das Geld, das
in das Schachterl wandert wird in unregelmäßigen Abständen
fürs Bierkaufen verwendet. Wir bleiben eine Weile, das Bier
macht die Runde und irgendwann auch der Joint aus feinstem „Hachís“.
Auf dem Weg zurück zum Auto treffen wir an einer Hausecke auf
einen jungen Mann, der in der hier typischen Haltung im Stehen baut:
auf dem Oberschenkel (hier im Süden muss man schon sehr gut
sein, wenn man jemanden mit seinem Können beeindrucken will).
In
Castellón habe ich mich mit Dr. Juan Carlos Usó
verabredet, dessen Dissertation über Hanf in Spanien mir bei
meiner eigenen Arbeit sehr geholfen hat. Bei den landesüblichen
Insignien der Gastfreundschaft, Cola, Bier, Knabbereien und Bauzeug,
erzählt er mir von der ersten Unterredung mit seinem betreuenden
Professor an der Uni in Madrid, Antonio Escohotado, seines Zeichens
Verfasser des nationalen Standardwerkes „Die Geschichte der
Drogen“: die beiden gaben sich erst mal eine Runde Ketamin, bevor
es ans Arbeiten ging.
In
Katalonien treffen wir Christina. Als Seemannsbraut ist sie oft
monatelang alleine zu Hause und als Hausfrau hat sie dabei genügend
Zeit, um sich um ihre Pflanzen auf der Dachterrasse zu kümmern.
Dort wachsen sie in den Himmel – denn es sind, untypisch für
Spanien, auch einige Sativa dabei – und den Nachbarn ist das
herzlich egal. Mit dem Verkauf des Grases verdient sie ihr eigenes
Geld. Wobei einem als an mitteleuropäische Preise gewöhnten
Menschen der Preis von zwei Euro pro Gramm die Tränen in die
Augen treibt.
In
Barcelona bin ich in der Redaktion der spanischen Hanfzeitung „El
Cáñamo“ mit Xaquín verabredet. Schon beim
Eintreten bemerke ich den eindeutigen Geruch, der über allem in
der Luft zu schweben scheint. Er hat noch etwas zu erledigen, bittet
mich, in seinem Büro zu warten, meint mit einer für
Nicht-Südländer unnachahmlichen Selbstverständlichkeit,
ob ich mir in der Zwischenzeit einen bauen will und schiebt mir das
Schachterl über den Tisch zu.
Nahe
der französischen Grenze leben Martí und Rosa. Wir kennen
uns gerade mal ein paar Stunden und schon sind wir bei ihnen zu Hause
zum Essen eingeladen. Auch Martí ist Hobby-Gärtner, und
zum Abschied drückt er uns einen Gefrierbeutel voller Hirngrün
in die Hand.
In
praktisch jedem Tabakladen, Wohnladen, Modeshop, Versandhaus oder
Verkaufsstand finden sich Accessoires mit Hanfblattverzierung, vom
Feuerzeug über Taschen bis zu Tischlampen. Egal wohin man geht,
egal mit wem man spricht – in Spanien ist Hanf allgegenwärtig,
quer durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen. So
allgegenwärtig und offensichtlich, dass man manchmal glatt
vergessen könnte, dass es auch hier immer noch illegalisiert
ist. Immer wieder ist hier im Unterschied zum nördlicheren
Europa der starke Einfluss der muslimischen Hanfkultur spürbar,
Grund für den so viel entspannteren Umgang mit der Pflanze, und
das generationenübergreifend. Uns bleibt die Hoffnung, dass es
irgendwann einmal in ganz Europa so sein wird, oder vielleicht sogar
noch besser. Mit den Worten David Bispals, erfolgreicher Teilnehmer
des nationalen TV-Gesangsspektakels „Operación Triunfo“
und damit in aller Ohren: „Ave Maria, cuando seas mía“.