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Publiziert am: 08.06.04 - Medienformen:  |
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Jemand
hatte behauptet, dass die Leute auf der karibischen Insel St. Vincent
unbehelligt auf der Straße kiffen können und dass das
hervorragende St.-Vincent-Grass auf großen Feldern wie Tomaten
angebaut würde. Insel der Seligen? Ich wollte nach diesen
Erzählungen jedenfalls genau dorthin. Von Tobago aus, wo man
trotz strengster Prohibition wie üblich mit etwas Glück
alles bekommt (eine Tüte zu circa einem Euro), war ich in einer
Propellermaschine zu der Vulkaninsel geflogen. Nun saß ich in
der Mittagshitze, mit Rucksack und meiner afrikanischen Trommel
behängt, vor dem Flughafen und wartete auf meinen Kontaktmann.
Plötzlich hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Ein
schwarzer Al-Capone-Typ mit Schnurrbärtchen und schlitzohrigem
Lächeln winkte mir aus einem Lastwagen heraus zu. Er hieß
Dexter .Wir rumpelten durch die Hauptstadt Kingstown in die grünen
Berge hinein. Endlich bogen wir in ein Dorf ein und hielten vor einem
orangenen Bungalow mit Veranda. „Hier ist dein Haus“, sagte er
stolz, nahm meinen Rucksack und schloss die Tür auf. „Wie
gefällt`s Dir?“ Dexter hatte offenbar noch schnell das Innere
meergrün gestrichen, war aber noch nicht ganz fertig. Farbeimer
und Utensilien standen herum. Mein Schlafzimmer, mit einem riesigen
komfortablen Bett möbliert, gefiel mir auf Anhieb. Kurze Zeit
später saß ich im Kreis neugieriger Nachbarn, Rastas,
Kinder, Mütter, im Schatten neben dem Bungalow. Ein junger Mann
fragte mich ernst nach Adolf Hitler und betonte: „Er wird nie aus
dem Höllenfeuer erlöst werden!“ Mehrere Joints wurden
gedreht, und als ich meinen weiterreichen wollte, wurde ich sanft
belehrt: „Wir wissen, dass man das woanders so macht, aber hier auf
St.Vincent bekommt jeder, der möchte, seinen eigenen Spliff.“
Ich betrachtete mir das lange, knubbelige Gebilde in meiner Hand mit
der fein duftenden Rauchfahne und fühlte mich angekommen und
sehr glücklich. Es war wie in einer Familie. Ein deutliches
Gefühl beschlich mich, dass die eine Woche, die ich hier
verbringen wollte, zu kurz sein würde. Abends unter dem
tropischen Sternenhimmel schlenderte ich barfuss zur kleinen Kneipe
hinüber. Proppenvoll! Bierflaschen wurden aus dem Fenster
hinausgereicht, der Rum floss. Eine rundliche Frau tanzte und schwang
die Hüften zur Musik. Der Wirt, ein drahtiger kleiner Rasta mit
Wollmütze, drehte gerade einen mächtigen Spliff: „Lady,
take a pull . . .“ Schon hielt ich den Riesenjoint in der Hand und
bekam von mehreren Seiten Feuer gereicht. Ich bedankte mich höflich.
„Sag mir, was es kostet! Morgen will ich mir dann eigenes Ganja
besorgen . . .“ So weit kam es dann die weiteren acht Tage lang
jedoch nicht. Alles war im Überfluss vorhanden.
Am
anderen Morgen stand eine nachtblaue Limousine vor dem Haus.
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Einer
der Rastas, Godfrey, putzte sie hingebungsvoll und rief mir erfreut
zu: „Heute zeige ich dir die Insel, ich habe mir ein Auto
geliehen.“ Nach dem Kaffee, der natürlich nicht ohne
ortsüblich dimensioniertes Tütchen rutschen konnte, hielt
er mir respektvoll die Wagentür auf, schloss sie sorgsam hinter
mir, und mit offenen Fenstern und lauter Reggaemusik, winkend und
grüßend wie die Queen auf Urlaub, fuhren wir auf die
Landstraße hinaus über die zauberhafte Insel. Unterwegs
erklärte mir mein Rasta die Grenzen der Hanffreiheit: „Rauchen
kannst du im Auto, in der Kneipe und natürlich im Dorf. Du
kannst überall rauchen, wo Einheimische rauchen, aber tu es NIE
allein auf eigene Faust! Es gibt Dinge hier, die du dir nicht
vorstellen kannst . . .“ Dann kamen wir auf den traditionellen
Anbau von Hanf zu sprechen. „Jetzt ist Trockenzeit, da können
wir nicht viel tun. Unsere Felder sind da oben unter dem Gipfel. Ein
paar Pflanzen stehen noch da und Vorräte zum Verkaufen gibt es.
Im Juni, wenn die Regenzeit kommt, gehen wir hinauf und bleiben ein
halbes Jahr oben, ganz auf uns allein gestellt. Wir gehen auf die
Jagd, und Wasser holen wir am Bach. Wir sind meistens zehn oder zwölf
Männer. Es ist viel Arbeit. Wir legen Saatbeete an mit
Ziegenmist. Nach drei Tagen keimen die Samen. Wenn sie groß
genug sind, pflanzen wir immer vier von ihnen in ein Loch in der
Reihe.
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Die
männlichen Pflanzen reißen wir später heraus. Alles
muss von Hand gemacht werden. Auch das Unkraut wird herausgerissen.
Aber wir sind glücklich. Den ganzen Tag singen und beten wir,
wir streicheln unsere Pflanzen.“ Ersatzweise umarmte Godfrey das
Lenkrad und ließ seine Dreadlocks darüber fallen. Mit
einer Hand lenkte er den schweren Wagen, mit der anderen drehte er
einen Joint zum zweiten Frühstück sozusagen und ließ
auch mich nicht darben. Am Abend war Besuch im Dorf, zwei gut
aufgelegte Rastas mit friseurgepflegten Locken und schweren Uhren.
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Am
nächsten Morgen gab es viel Handygeklingel und schließlich
sah ich sie mit Vollgas wegschießen. Godfrey erzählte mir,
die beiden hätten am Vortag ein Schiff mit Marijuana beladen und
mit einem Vertrauensmann losgeschickt. Es sei aber von der Polizei
vor Tobago abgefangen worden und der Kapitän verschwunden. Alles
futsch. Es sei eben kein Problem, jede Menge Cannabis auf der Insel
anzubauen, aber es außer Landes zu bringen und zu verkaufen,
das sei schon schwierig. Oft würden solche Transporte auch
mitsamt der Mannschaft Piraten zum Opfer fallen und spurlos
verschwinden. Er machte eine Geste mit der flachen Hand in Halshöhe.
Wie um den negativen Eindruck abzumildern, zauberte er mir eine
zierlich gedrehte Tüte. „Sie sollten versuchen, mehr Touristen
ins Land zu holen, damit das gute Ganja gleich vor Ort geraucht
werden kann“, dachte ich. Godfrey dachte dasselbe und fragte:
„Könntest du nicht deinen Freunden in Deutschland erzählen,
wie schön es hier ist und wie nett wir uns um unsere Gäste
kümmern? Dann würden sie herkommen und einen wirklich guten
Urlaub hier verbringen.“ „Ich glaube, meine Landsleute sind nicht
alle wie ich. Für ihr Geld erwarten sie wahrscheinlich ein
sauber aufgeräumtes und gestrichenes Haus“, dämpfte ich
seine Hoffnungen. „Das wird alles gemacht“, rief er. „Sobald du
weg bist, gehe ich an die Arbeit.“ Darauf stießen wir an.
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Frühmorgens
holte mich Godfrey ab. Er war barfuss und hatte sein buntes
Hawaiihemd gegen einfache Arbeitskleidung getauscht. Die Hanffelder
waren dran! Es ging über Wiesen und über steile
Basaltfelsen in den Regenwald. Auf einer Lichtung sah man die
schwarze, krümelige Erde zu Reihen aufgeworfen, einzelne
buschige Pflanzengruppen am Rand erwiesen sich als blühende
Ganja-Pflanzen. Unter einem mächtigen Mangobaum war mit blauen
Folien ein Zelt errichtet. Die Rückwand enthielt das
Schlafzimmer: einfache, aus Ästen zusammengefügte Liegen
mit abgenutzten Decken. An der offenen Seite gab es eine Art Tisch.
Godfrey zog aus einem Versteck eine handvoll rötlichen Krauts
hervor. „Das rauchen wir morgen, an deinem Abschiedsabend. Die
Sorte heißt Red Marble. Wir bauen aber auch andere Sorten an,
auch Skunk aus Holland. Wir rauchen aber lieber unser Ganja.“ Ich
knotete das duftende Kraut in mein Seidentuch. Von einem Felsen aus
genossen wir den Ausblick. Während Godfrey zum Probieren etwas
Red Marble drehte, blickte ich wie verzaubert hinunter über die
grünen Hänge bis zur Küste, entschlossen, wieder
herzukommen – dann aber für länger. Überall sah ich
schon Regenbogen, obwohl es gar nicht regnete, es mussten Dunstwolken
über dem Regenwald sein, die das Farbenspiel auslösten.
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Alice
Dodgson
Infos:
Tobago:
Zimmer bei Rasta 12 Euro, Appartements zu 29 bis 39 Euro
St.
Vincent: Haus mit 2 Schlafzimmern für 29 Euro/Tag und
Privatzimmer bei einem Rasta 10 Euro/Tag inkl. Smoke and blessings
for free! Infos unter ganjatrip@web.de
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