Donnerstag, 2. Juni 2005

ROLY’S GENRE-LEXIKON LESSON VI.

TRIP HOP

Der Name TripHop entstand durch die Herkunft aus dem HipHop und weil man den Konsumenten und Produzenten dieser Musik den Genuss von Rauschmitteln nachsagt (typischerweise Cannabis). Der Begriff TripHop stammt von dem Musik-Journalisten Andy Pemberton und tauchte zum ersten Mal 1994 in der Juni-Ausgabe des MIXMAG-Magazins im Zusammenhang mit dem Portishead-Debut „Dummy“ auf. Die Band selbst konnte sich nie damit identifizieren und hat ihre Musik auch nie so bezeichnet.

Es gibt zwei große Denkschulen des TripHop: Bristol und Wien. – In der Region um das englische Bristol bildete sich gegen Ende der 1980er-Jahre das Künstler-Kollektiv „The Wild Bunch“, zu dem auch Massive Attack und Tricky gehörten. Massive Attack haben nach Meinung vieler Hörer schon 1991 mit ihrem ersten Album „Blue Lines“ den Grundstein gelegt, doch war es zum Großteil noch sehr stark an Funk und Soul angelehnt. – Die Wiener Schule ist einige Jahre später in Erscheinung getreten. Wichtige Vertreter sind Kruder & Dorfmeister, Uko und die Sofa Surfers. Inhaltlich kann man keine klare Grenze zwischen beiden Schulen ziehen. Es lässt sich aber vielleicht sagen, dass sich die Wiener Schule eher an Jazz, Dub, Easy Listening und Filmmusik orientiert. Die Bristol-Schule ist hingegen nach meinem Empfinden souliger und düsterer.

TripHop hat seine Wurzeln im HipHop und Dub, wobei jedoch auf Charakteristika wie Rap beim HipHop und Reggae beim Dub meist verzichtet wird. Wie auch HipHop bewegt sich TripHop im unteren Beatbereich bei etwa 80 bis 90 bpm und wird ebenfalls elektronisch produziert. LoFi-Effekte (Vinylknistern, Netzbrummen und sonstiger Akkustik-Schmutz) und meist weiblicher Gesang verleihen dieser Spielart ein besonderes Flair. Grundsätzlich orientiert sich TripHop an den warmen Klangfarben der Musik der 1970er-Jahre. Die Grundstimmung ist dabei meist melancholisch und verträumt. Die Umschreibung „Filmmusik ohne Film“ ist nicht ganz untreffend. Der Gesang dient hauptsächlich dazu, Gefühle zu transportieren und weniger, Geschichten zu erzählen oder Gesellschaftskritik zum Ausdruck zu bringen. Es gibt auch instrumentale TripHop-Stücke, die aber von vielen zur klaren Abgrenzung nicht mehr als TripHop, sondern als Downbeats bezeichnet werden. Das methodologische Repertoire, also das Zusammenführen von Samples & Loops, Verfremdung von Sounds, sphärischen Synthesizer-Klängen und analogen Instrumenten teilt TripHop mit elektronischer Musik. Dem TripHop werden klanglich gesehen viele Parallelen zum Jungle und Drum & Bass nachgesagt.

Massive Attack besteht aus Robert (3D) del Naja, Grant (Daddy G) Marshall, Andrew (Mushroom) Vowles. Der Reggae-Sänger Horace Andy wurde für jedes Album engagiert. Weitere Gast-Auftritte hatten Nicolette, Tracey Thorn (Everything but the Girl), Sinead O’Connor und andere. 1991 nannte sich die Gruppe aufgrund des tobenden Golfkrieges gezwungenermaßen in „Massive“ um, da der Terminus „Attack“ im popmusikalischen Kontext der Selbstzensur von Radiostationen im anglo-amerikanischen Sprachraum zum Opfer fiel, doch als 1994 das zweite Album „Protection“ erschien, wurde der Name wieder in „Massive Attack“ geändert. Ein Jahr darauf folgte mit „No Protection“ ein Dub-Remix-Album mit Mad Professor und 1998 erschien „Mezzanine“. Im Jahre 2003 folgte mit „100th Window“ ein weiteres Album. – Bis 1994 war auch Adrian Thaws aka Tricky mit von der Partie, aufgrund von Unstimmigkeiten und Reibereien innerhalb der Band löste er sich aber von „Massive Attack“ und begann als einer der wichtigsten Protagonisten der TripHop-Bewegung eine steile Solo-Karriere. Mit seinem Debut „Maxinquaye” (1995) sorgte er für einen Meilenstein dieses Genres.

Portishead – bestehend aus Geoff Barrow, Beth Gibbons, Adrian Utley und Dave McDonald – ist nach der in der Nähe von Bristol liegenden Heimatstadt von Geoff Barrow benannt. Barrow war als Studio-Angestellter an der Produktion des ersten „Massive Attack“-Albums beteiligt. Er wurde von allen „The guy from Portishead“ genannt. Das brachte ihn auf die Idee, 1993 sein eigenes Projekt auf diesen Namen zu taufen. Das Debut-Album „Dummy“ erschien 1994, erreichte Platz 32 der UK-Album-Charts und wurde von den Magazinen „The Face“, „Mix Mag“ und „Melody Maker“ als Album des Jahres gewählt. Derweil hatten Portishead eine Armada von Folge-Acts wie die Sneaker Pimps, Baxter oder Lamb inspiriert. Auf das Fundament langsamer und schleppender Beats bauten Portishead einen melancholisch atmosphärischen, bewegenden, innovativen und hochkomplexen Sound.

1995 gründeten Paul Godfrey, sein Bruder Ross Godfrey und die Sängerin Skye Edwards in London die Gruppe Morcheeba. Ihr erstes Album „Who can you trust“ (1996) steht noch deutlich unter dem Einfluss von „Massive Attack“. Die späteren Alben „Big calm“ (1998), „Fragments of freedom“ (2000) und „Charango“ (2002) sind insgesamt weniger düster und melancholisch, sondern etwas poppiger. Nach der Veröffentlichung des Best-of-Albums „Parts of the process“ (2003) gab die Band im April 2004 ihre Auflösung bekannt. – Gerne werden auch Goldfrapp mit ihrem Debütalbum „Felt Mountain“ genannt. Doch hat sich diese Formation mit ihrem zweiten Album deutlich in Richtung Elektropop bewegt. – Weitere typische und wichtige Genrevertreter sind Alphawezen, Esthero, Laika, Waldeck, Terranova, Avril, De Phazz, Thievery Corporation, Archive, Kid Loco, Lali Puna, Mono, Nightmares On Wax, Smith & Mighty und Yonderboi. Aus der Wiener Schule sind besonders das DJ- und Produzenten-Duo Kruder & Dorfmeister hervorzuheben. Die beiden zählen mit zu den bekanntesten österreichischen Musikern und feierten durch die legendäre „DJ-Kicks“-Serie und ihr „The K&D-Sessions“-Doppelalbum (1999) auch außerhalb Europas große Erfolge. Auch mit ihren Solo-Projekten sind beide erfolgreich: Richard Dorfmeister mit „Tosca“ (zusammen mit Rupert Huber) und Peter Kruder mit seinem „Peace Orchestra“.

Mit dem Begriff TripHop werden oft auch die englischen Labels Mo’ Wax und Ninja Tune verbunden, die sich jedoch eher als Abstract HipHop-Labels verstehen. Ihre Künstler (beispielsweise Unkle, DJ Shadow, Amon Tobin, Mr. Scruff, The Herbaliser, DJ Krush, DJ Vadim und Depth Charge) verwenden zwar sehr viele dem TripHop-ähnliche Elemente, sind aber eher HipHop-beeinflusst. Hier stechen besonders der meist sehr trockene oder fette Bass und die niedrigen bpm-Zahlen (meist deutlich unter 100 bpm) hervor. Typische säkulare Vertreter dieser Stil-Richtung sind die Chemical Brothers. – Es gibt aber auch zahlreiche Grenzgänger (hauptsächlich aus dem europäischen Norden), deren Musik nicht eindeutig klassifiziert werden, aber mit TripHop mittelbar in Verbindung gebracht werden können. Zum Beispiel Björk, Moloko, Röyksopp, Gus Gus, Múm. – Ein mit dem TripHop eng verwandtes Genre ist Nu Jazz, welches dem Fusions-Gedanken mit besonderem Gewicht auf Jazz Rechnung trägt. Hier seien besonders Cinematic Orchestra und Mo’Horizons erwähnt. Mitte der 1990er gab es mit Big Beat noch einen aus TripHop entstandenen Musikstil, der sich bei ungefähr 120 bis 140 bpm sehr stark an Rock & Industrial orientiert und auch HipHop ähnelt, doch dieser Trend, der später von Fatboy Slim auch „Crash House“ genannt wurde, ist quasi schon wieder tot.

Anno 2005 steht TripHop fest auf eigenen Beinen. Der stetige Verzicht auf Samples geht mit einer Verschmelzung vieler neuer genreübergreifender Elemente zu einem neuen Ganzen einher. Viele vom TripHop unberührte Musik-Stile zeigen interessante Betätigungsfelder für die Zukunft auf. Ungeachtet dessen, dass das Genre von der Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert wird, kann TripHop als eine Lokomotive des musikalischen Fortschritts bezeichnet werden, was anspruchsvolle Produktionen unlängst unter Beweis gestellt haben.

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