Montag, 12. September 2005

Der Fall Watzl: Eine juristische Einschätzung

Ansbach. In der August-Ausgabe des Hanf Journals (08/05) haben wir den Fall Manfred Watzl geschildert. Der Familienvater wurde aufgrund eines Behandlungsfehlers in U-Haft der JVA Ansbach zum Dialyse-Patienten und somit zum Schwerbehinderten. Inzwischen hat der Rechtsanwalt Stefan Kristen aus Ludwigsburg die Vertretung von Watzl übernommen und erklärt im Folgenden die juristische Seite des Falles.

Zunächst einmal hat ein Arzt bei einer Behandlung gegenüber dem Patienten einen gewissen Umfang an Sorgfaltspflichten, deren (auch fahrlässige) Verletzung vom Gesetzgeber sanktioniert wird. Zu unterscheiden ist hier die zivilrechtliche und die strafrechtliche Seite. Strafrechtlich begeht ein Arzt, der falsch behandelt und dadurch einen vorübergehenden oder dauerhaften Gesundheitsschaden bewirkt, eine fahrlässige Körperverletzung. Ein Arzt begeht die Körperverletzung im Grunde sogar schon dann, wenn er eine Spritze gibt, da er damit in die körperliche Unversehrtheit eingreift. Der Grund, weshalb ein Arzt nicht nach jedem Eingriff vor Gericht muss, ist, dass vorab in Maßnahmen eingewilligt wird, die dem übergeordneten Ziel der Beseitigung des Übels dienen. Diese Überlegungen sollen verdeutlichen, dass im deutschen Recht die körperliche Unversehrtheit einen sehr hohen Stellenwert besitzt.

Im Fall Watzl wurde zunächst der Vorwurf des versuchten Totschlages gegen Dr. T. erhoben, weil die Staatsanwaltschaft davon ausging, dass Dr. T. das Ableben von Manfred Watzl billigend in Kauf nahm: Aufgrund der Sachlage war zu vermuten, dass Dr. T. den lebensbedrohlichen Zustand des Patienten Watzl erkannte, die notwendigen weiteren Schritte aber unterlassen hat, Dabei wäre vor allem die Überweisung an einen fachkundigen Kollegen zwecks weiterer diagnostischer Abklärung notwendig gewesen. Die Staatsanwaltschaft in A. machte Dr. T. damals, auch aufgrund der Tatsache, dass es Manfred Watzl schon damals nicht darum ging, Dr. T. ins Gefängnis zu bringen, ein “Friedensangebot”: Einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung, den Dr. T. dann auch angenommen hat. Es stand also schon vor dem Zivilverfahren fest, dass sich Dr. T. pflichtwidrig bei der Behandlung verhalten hatte.

Watzl dachte damals, dass das zivilrechtliche Verfahren zur finanziellen Entschädigung nun kein großes Problem mehr sei. Aber er täuschte sich. Bei der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Land Bayern, das sich nach wie vor mit allen Mitteln wehrt, ist noch kein Ende in Sicht. Zunächst einmal muss der juristische Laie wissen, dass die strafrechtliche Entscheidung ein Zivilgericht in seiner Entscheidung nicht bindet. Theoretisch ist es also möglich, dass zwei Richter denselben Sachverhalt anders beurteilen. Für Juristen ist dies ganz alltäglich. Für den Geschädigten war diese Tatsache alles andere als leicht zu akzeptieren. Nachdem der zivilrechtliche Haftungsprozess erst einmal zweieinhalb Jahre vorbereitet wurde, ließ er Anfang 1998 (!) Klage beim Landgericht einreichen. Mit der Klage wollte Watzl Folgendes erreichen: ein Schmerzensgeld in Höhe von damals 1.000.000 Mark und zusätzlich die Verpflichtung des Landes Bayern, sämtliche finanziellen Folgen aus der Pflichtverletzung Dr. T. zu tragen. Dass allerdings der “Freistaat” jedes Mittel zur Verfahrensverschleppung ausnutzte und mit der ganz offensichtlichen Unlust des Gerichts auf dieses Verfahren, damit hatte der Kläger Watzl nicht gerechnet. Dabei war aus der Sicht des “Freistaats” sowie des Gerichts völlig unerheblich, dass vorgerichtlich bereits Gutachten vorlagen, die eine Pflichtverletzung von Dr. T. klar feststellten. Dies ist durch die Zivilprozessordnung bei extensiver Ausschöpfung leider auch für einen Fall wie diesen gedeckt.

Sensationell hohe Klageforderungen – wie vor allem aus den USA bekannt – gibt es im deutschen Recht aus guten Gründen nicht. Vor diesem Hintergrund war auch die Schmerzensgeldforderung in diesem Fall sicherlich im obersten Bereich angesiedelt: Aber es ging Watzl auch darum, ein Exempel zu statuieren. Mehrfach wurde Watzl im Verlaufe des Verfahrens eine Pauschalabfindung von 350.000 Mark als Vergleich “angeboten”, andernfalls werde man “ihn am ausgestreckten Arm verhungern lassen”. Zwar sind 350.000 Mark erst einmal viel Geld, wenn man aber den finanziellen Gehalt des Feststellungsantrages bedenkt, war die angebotene Abfindung ein Witz. Schließlich urteilte das Landgericht A. einen Schmerzensgeldbetrag von EUR 100.000 aus und gab dem Feststellungsantrag statt. Von den EUR 100.000 hatte Watzl jedoch nicht viel, denn er wurde auch verurteilt, gut 80 Prozent der Verfahrenskosten, also über EUR 20.000, selbst zu bezahlen.

Auf Grundlage der Verpflichtung des Landes Bayern, sämtliche finanziellen Folgen aus der Pflichtverletzung des Dr. T. zu tragen, klagt Watzl jetzt ebenfalls vor dem Landgericht A., seine weiteren finanziellen Ansprüche wegen seines durch Dr. T. zerstörten Lebens ein. Erststellig machte Watzl einen Betrag von 440.000 Euro geltend. Dies bedeutet, dass gegebenenfalls die Summe noch erhöht werden kann. Vor seiner damaligen Inhaftierung war Watzl ein gesunder 32-jähriger Mann, der die besten Jahre noch vor sich hatte. Aufgrund einer Qualifizierungs-Maßnahme hatte er damals einen guten Job als Programmierer in Aussicht. Da er nun aber erwerbsunfähig ist, wird das Land Bayern natürlich auch das zahlen müssen, was er bis zu seinem 65. Lebensjahr verdient hätte. Das Landgericht A. sah das damals anders: Es sprach Watzl jegliche Befähigung ab, dass er zeitlebens irgendetwas gearbeitet hätte und begründete dies mit seinem bis dahin unsteten Lebenslauf. Dies obwohl Watzl immer gearbeitet und für seinen Lebensunterhalt und den von Frau und Tochter gesorgt hatte. Zum Glück wurde das Landgericht mit dieser an Zynismus nicht zu überbietenden Ansicht vom Oberlandesgericht “abgewatscht”.

Ich möchte es dem Leser ersparen, auszuführen, wo wir hinkämen, wenn eine solche Auffassung Schule machen würde. Da sich Watzl nun auch im Haushalt nicht mehr betätigen kann, wird auch der Haushaltsführungsschaden eingeklagt. Im Falle eines teilweisen oder vollständigen Ausfalls im Haushalt besteht ein Anspruch darauf, dass die Kosten einer Haushaltshilfe vom Schädiger erstattet werden, unabhängig davon, ob eine Haushaltshilfe eingestellt wird. Auch die Mehraufwendungen, die aufgrund der Krankheit jeden Monat aufs Neue anfallen, sollen erstattet werden und Watzl begehrt auch noch ein zusätzliches Schmerzensgeld. Dies auch wegen der per se schmerzensgeldfähigen Dreistigkeit des “Freistaats”, der neben anderen juristisch unhaltbaren Ausführungen erst einmal außergerichtlich über die Haftpflicht-Versicherung des Herrn Dr. T. ausrichten ließ, dass man trotz rechtskräftigem Urteil daran zweifelte, ob man überhaupt noch haften müsse.

Man darf gespannt sein, wie lange sich dieses Verfahren hinziehen wird: Das Landgericht hat über einen Monat gebraucht, die am 18.06.2005 eingereichte Klage an den Freistaat Bayern weiterzuleiten. Dies spricht schon für sich. Herr Watzl wird den Weg jedoch vor allem für seine Tochter und seine Ehefrau konsequent zu Ende gehen, wohl wissend, dass er das Ende möglicherweise nicht mehr erleben wird.

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