Montag, 7. November 2005

“Das erinnert an Hexenverbrennung”

Interview mit Marc Emery

Wie schon in den letzten Ausgaben berichtet, gibt es in Kanada eine Menge Ärger, weil sich US-Behörden in innere Angelegenheiten einmischen. Opfer sind Hanf-AktivistInnen aus Vancouver, das Hanf Journal befragte hierzu Marc Emery aus Übersee, den bekanntesten Kämpfer für die Legalisierung. Ihm droht momentan die Auslieferung in die USA, die aufgrund seines Samenhandels ein solches Ersuchen an die Regierung in Montreal gestellt haben. Der Samenhandel bewegt sich in Kanada in einer rechtlichen Grauzone, jedoch wurde dort noch nie jemand aufgrund dieses Deliktes vor Gericht gestellt.
Auch hat die kanadische Regierung bei Anfragen nach Medizinal-Hanf-Samen ganz offiziell auf Marc’s Samenhandel verwiesen und jahrelang Steuern für den Verkauf von Cannabis-Samen kassiert.

HaJo: Guten Abend, Marc.
Marc: Guten Abend.
HaJo: Wie sieht der aktuelle Stand des Auslieferungsverfahrens gegen dich aus?
Marc: Wir werden eine gerichtliche Anhörung irgendwann im April des nächsten Jahres haben. Sollte der Richter den Antrag für legal halten und dem Ersuchen stattgeben, werde ich verurteilt und an die US- Behörden überstellt werden. In diesem Fall müssten wir die Regierung, also unseren Justizminister, bitten, die Auslieferung zu stoppen. Der Justizminister hat das Recht, eine Auslieferung abzulehnen oder zu bestätigen. Sollte er dem Antrag stattgeben, können wir noch eine Amnestie beim höchsten Bundesgericht erlangen.

HaJo: Aus welchem Grund lässt sich die kanadische Regierung von den USA unter Druck setzen?
Marc: Das ist eine seltsame Sache. Die kanadische Regierung will mich hier nicht anklagen, überlegt jedoch, ob ich den US-Behörden überstellt werde. Diese wollen mich für eine Sache, für die in Kanada noch nie jemand eingesperrt wurde, 30 Jahre hinter Gitter bringen. Ich war für die wohl zu effektiv mit meiner Arbeit als Aktivist. Wir haben hier eine Menge Fortschritte gemacht, das macht den USA Angst. Und nun versuchen sie, es auf diese Art und Weise zu ändern.

HaJo: Glaubst du, dass hinter den Kulissen Druck auf eure Regierung ausgeübt wird?
Marc: Selbstverständlich. Ich sprach hier (in Vancouver, BC) erst gestern sowohl mit dem derzeitig regierenden als auch mit dem wahrscheinlich nächsten Bürgermeister. Beide erzählten mir, dass Agenten der DEA (Drug Enforcement Administration) auf einem Treffen Ende 2002 mit ihnen ausfällig wurden. Sie schrieen herum, dass bei einer Liberalisierung der Gesetze die Grenze geschlossen werde und drohten mit sehr viel Ärger. Der Bürgermeister sagte, er habe ein solches Verhalten in seiner politischen Karriere noch nie erlebt.

HaJo: Glaubst du, dass das auch mit der Bush-Administration zu tun hat?
Marc: Ja, denn wir haben es hier mit christlichen Fundamentalisten in bester Calvin-Tradition zu tun: Die Bestrafung der Sünder. Das ist die Einstellung, die so viele Kriege und Probleme auf der Welt verursacht. Der Bush-Krieg gegen Drogen ist schlimmer als jemals zuvor, die Strafen werden immer höher, immer mehr Menschen werden eingesperrt. Das erinnert an die Hexenverbrennungen während der spanischen Inquisition.

HaJo: Wie denken die KanadierInnen darüber?
Marc: Die Einstellung der KanadierInnen ist sehr liberal. Was aber auch heißt: sie kümmert es nicht allzu sehr. Die USA haben jedoch Angst, diese Einstellung könnte ihr Land allzu stark beeinflussen. Wenn in Europa die Diskussion um dieses Thema geht, kümmert es die USA nicht sonderlich. Kanadier jedoch sprechen die gleiche Sprache, sehen aus wie Amerikaner und haben eine sehr lange gemeinsame Grenze. Wir haben mittlerweile viele amerikanische Touristen hier in Vancouver, die sehen, wie ein liberaler Umgang mit Cannabis und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen. Und deshalb wollen die Vereinigten Staaten den Mann haben, der das alles ermöglichte. Sie haben einfach Angst, dass die Heimatfront im „War on Drugs“ bröckelt.

HaJo: Die kanadische Regierung plant Gesetzesentwürfe zur Entkriminalisierung von Hanf, hat dieses Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben. Begründung: keine Zeit. Stimmt das so?
Marc: Eine schlechte Ausrede. In der liberalen Regierungspartei wollen einige die Strafen sogar erhöhen, das gilt ebenso für die Konservativen. Die Quebec-Partei und die neuen Demokraten sind liberal eingestellt. Das Thema ist sehr umstritten, es gibt keinen Konsens. Deshalb sagt unser Justizminister: „Vergesst es erst einmal.“

HaJo: Wie sehen die Strafen momentan aus, wenn man beispielsweise mit einer Unze (knapp 30 Gramm) Weed zum Eigenbedarf erwischt wird?
Marc: Eigentlich wird man dafür nicht verfolgt, es kann jedoch passieren, dass eine Geldstrafe von ein paar hundert Dollar fällig wird. Wenn man sich, wie ich, unbeliebt gemacht hat, kann man aber auch schon mal wegen der Weitergabe eines Joints aufgrund von Handel eingesperrt werden. Auf dem Papier ist alles außer dem Konsum illegal.

Hajo: Wie sieht es außerhalb Vancouvers aus? Wird in anderen Landesteilen genauso mit Cannabis umgegangen?
Marc: Ja, in den großen Städten Toronto oder Montreal schon, auf dem Lande ist alles noch ein bisschen strenger.

HaJo: Wie gelangt der gemeine Hanf-Raucher bei euch im Normalfalle an sein Kraut?
Marc: Wir haben hier so eine Art „Graumarkt“, illegal und geduldet. Es gibt ein paar Cafés oder Kneipen, in denen man inoffiziell drei bis vier Sorten Ganja kaufen kann. Meist kennt man aber jemanden, den man anruft und diese Person kommt dann vorbei.

HaJo: Bekommst du ausreichend Unterstützung deiner Landsleute?
Marc: Ich bekomme eine Menge Hilfe von einfachen Bürgern und natürlich hat es mich sehr gefreut, dass mein Kampf gegen das Auslieferungsgesuch von AktivistInnen auf der ganzen Welt unterstützt wird. Nur die Prominenten scheuen sich, sich zu unseren Forderungen zu bekennen oder etwas für eine Legalisierung zu tun. Ich kenne eine Menge Promis, die ihre Meinung nicht öffentlich kundtun, weil sie Angst um ihren Status quo haben.

Hajo: Dein Prozess verschlingt sicher eine Menge Geld. Wirst du von den Firmen und Menschen, die mittlerweile eine Menge Geld mit Hanf verdienen auch finanziell unterstützt?
Marc: Leider kaum, auch die Leute, die eine Menge in der Branche machen, haben Angst um ihre Pfründe. Sie fürchten sich sogar teilweise vor einer kompletten Legalisierung, weil sie dann schrumpfende Gewinne erwarten. Eine Art Lobby der Hanf-Industrie gibt es hier nicht.

HaJo: Marc, wir danken dir für das Gespräch und wünschen dir und deinen Leuten viel Kraft und alles Gute für die Zukunft.

Marc: Ich danke und wünsche euch, dass es in Deutschland auch bald voran geht.

Schaut unbedingt auf die Website unserer Kollegen, unter
www.cannabisculture.com
findet ihr ständig aktualisierte Neuigkeiten über den Stand der Dinge. Dort findet ihr auch eine Petition gegen Marcs Auslieferung. Bitte ausfüllen und abschicken.

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