Mittwoch, 1. März 2006

St.-Petri-Schnee:

Vom Mutterkorn-Alkaloid zum Gottesglaube

Der Roman „St.-Petri-Schnee“ des in Tschechien geborenen österreichischen Schriftstellers Leo Perutz ist weit mehr als ein Roman. Rückblickend betrachtet, handelt es sich um einen der präzisesten Science-Fiction-Romane aller Zeiten. Perutz hatte 1933 (fünf Jahre, bevor Albert Hofmann erstmalig LSD herstellte und zehn Jahre bevor er die Wirkung dieser Substanz erkannte) in diesem Roman die Entstehung der Religion, die sich ihm als Massenhysterie darstellte, auf eine Infektion durch den Getreidepilz Mutterkorn zurückgeführt. Darauf aufbauend beschreibt Perutz in dem Roman die Arbeit eines auf naturwissenschaftlichem Gebiet arbeitenden Barons, der aus dem Mutterkorn einen Stoff extrahierte, der vorübergehende psychische Wirkungen hervorrief und in keiner Weise den Organismus schädigte. Pikanterweise befand sich das Laboratorium des Barons im Pfarrhaus. Perutz entwickelt in dem Roman zwei Versionen nebeneinander, die so exakt mit allen Mitteln der erzählerischen Virtuosität konstruiert sind, dass die Leser nicht entscheiden konnten, welche der beiden „Realitäten“ die wahrscheinlich(er)e sei …. In diesem Wechselspiel von Traum und Wirklichkeit erweist sich der Roman als ein literarisches Meisterwerk.

Zitate aus »St.-Petri-Schnee« von Leo Perutz
Der Pfarrer: »Glauben heißt begnadet sein. Der Glaube ist das Werk Gottes in uns und er kann nur lebendig werden durch geduldige Arbeit, durch dienende Liebe und durch Gebet.« Die Pharmazeutin: »Nein, auch durch Chemie.« (S. 114)

Der Baron: »Das, was wir religiöse Inbrunst und Ekstase des Glaubens nennen, bietet als Einzel- wie Massenerscheinung fast immer das klinische Bild eines durch ein Rauschgift hervorgerufenen Erregungszustandes.« (S. 115)

Der Baron: »Es gibt – oder es gab – eine Getreidekrankheit, die in früheren Jahrhunderten oft beschrieben worden ist, und in jeder Gegend, in der sie auftrat, war sie unter einem anderen Namen bekannt. In Spanien hieß sie„die „Magdalenenflechte“, im Elsaß der „Armen-Seelen-Tau“. Das „Arztbuch“ des Adam von Cremona beschrieb sie unter dem Namen „Misericordia-Korn“, in den Alpen war sie als „St.-Petri-Schnee“ bekannt. In der Umgebung von St. Gallen nannte man sie den „Bettelmönch“ und im nördlichen Böhmen die „St.-Johannis-Fäule“. Hier bei uns im Westfälischen, wo sie besonders oft auftrat, hieß sie bei den Bauern der „Muttergottesbrand“. (…) Und nun beachten Sie, daß alle Namen, die ich ihnen aufgezählt habe, etwas gemeinsames besitzen: die Verknüpfung mit religiösen Vorstellungen.« (S. 121)

Es gelang der Pharmazeutin, durch ein Destillationsverfahren aus dem Pilz das flüssige Rauschgift zu gewinnen, und die Analyse, die sie vornahm, ergab: »Die wirksamen Bestandteile sind eine Anzahl Alkaloide. Außerdem finden sich noch kleinere Mengen harzartiger Produkte und ein wenig Sphazelynsäure vor und schließlich ließ sich eine Spur einer öligen Substanz nachweisen.« (S. 127)

Der Baron: »Dieses Mittel (dieses Alkaloid) schädigt in keiner Weise den Organismus. Es ruft rein psychische Wirkungen hervor, vorübergehende Wirkungen übrigens. Es macht vielleicht den Mann für kurze Zeit ein wenig glücklicher – das ist alles.« (S. 79)

Vergleicht man die Beschreibungen der „Substanz“ aus dem Mutterkorn im Roman von Leo Perutz mit den Aussagen führender Wissenschaftler zu LSD, dann kann man erkennen, wie präzise der Autor die Wirkungen jener Substanz vorausgesehen hatte. So bezeichnet Albert Hofmann LSD als sakrale Droge und am LSD-Symposium in Basel im Januar dieses Jahres äußerte sich der 100-jährige Hofmann zur Frage, was er unter sakralen Drogen verstehe, wie folgt:

»Ich verstehe darunter Substanzen, die seit Jahrtausenden immer im zeremoniellen Rahmen gebraucht wurden, und bei denen ein Tabu lastete. Der gewöhnliche Sterbliche darf diese Stoffe, diese Pflanzen nur gebrauchen im Rahmen … einer heiligen Feier unter der Leitung des Schamanen. Es waren Drogen, die deshalb diesen Schutz nötig hatten, weil sie zutiefst in den Menschen, den Menschen verändern. …. Das Bewusstsein ist eigentlich die göttliche Gabe, die den Menschen beschieden ist. Deswegen waren immer diese bewusstseinsverändernden Drogen im Gebrauch. Sie konnten nur im rituellen Rahmen gebraucht werden. Das ist auch die große Schwierigkeit heute: Wir haben keinen zeremoniellen Rahmen mehr.«

Auf dem gleichen Kongress meinte Franz Vollenweider von der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, dass LSD auf physischer Ebene unschädlicher als Alkohol oder Nikotin sei. Wörtlich sagte er: »Körperliche Wirkungen hat man nie gesehen, dass langfristig sich irgendetwas verändert habe oder dass es Entzugssymptome gäbe.«

Und der Arzt und Drogenforscher Thorsten Passie an der Uniklinik Hannover meinte: »Herausgefunden hat man, dass man tatsächlich, wenn man die Leute vernünftig vorpräpariert hat, das heißt mit ihnen zwei bis drei Gespräche vorher führt und so eine gewisse Beziehung zu dem Durchführenden herzustellen und die auch im entsprechend günstiger gestalteten Räumen mit ein bisschen Musik usw. sitzen lässt und quasi sich ihrer inneren Selbsterfahrung überlässt, dass diese Leute danach doch erhebliche, mindestens ein Drittel dieser Leute, erhebliche Veränderungen im Persönlichkeitsbild, also in positiver Hinsicht – also weniger Pathologie, weniger pathologische Charakterzüge, und auch in Bezug auf die Lebensführung und die Werte der Welt dieser Leute – sich doch erheblich verändert hat, sodass man eigentlich schon sagen kann, doch, das wurde durchaus gefunden, dass LSD im angemessenen Rahmen unter angemessenen Bedingungen durchaus auch positive Wirkungen hinterlassen kann. Und, was auch noch aufregend war: Irgendwelche pathologischen Effekte oder Umbiegungen der Persönlichkeit in negativer Hinsicht konnten in den Studien gar nicht berichtet werden, obwohl die doch schon eine Probandenanzahl von nahezu 100 hatten.«

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