Freitag, 7. April 2006

Bigott

Ich bin zu Besuch bei Tim und Lola, die seit sieben Jahren im selbst gebauten Steinhaus in Andalusien leben, eine halbe Stunde vom Meer entfernt.

Sie leben vom Kunsthandwerk und dessen Verkauf im Sommer, der Touristenhochzeit, und sind, wie so viele in diesem Teil der Erde, hoch frequente Kiffer. Als solche müssen sie das Baumaterial natürlich auch irgendwo herbekommen, sprich: sie benötigen Menschen, die ihre Lebenszeit darauf verwenden, Hanf ein- und weiterzuverkaufen.

Leben und leben lassen, könnte man meinen, eine Hand wäscht die andere, oder einfach: Du stehst hier, ich stehe dort, am anderen Ende der Hanfkette. Jedoch weit gefehlt. Die Sprache kommt auf einen ihrer Nachbarn, der offensichtlich mit dem Verkauf von Rauchwerk seine Familie ernährt und ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen, als Lola meint: „Von diesen Leuten halten wir uns fern, so gut es geht. Wenn du jahrelang tagein tagaus jemanden siehst, der offensichtlich nicht arbeiten geht, na wovon wird der leben? Entweder er macht in Kunsthandwerk oder er dealt.“

So einfach ist das also. Wer kauft ist gut, wer verkauft ist böse. Ah ja. Eine Geschichte, die beispielhaft für viele steht, die ich in all den Jahren in Spanien erlebt habe – und nicht nur dort. Das kann jemandem, der mit offenen Sinnen durch die Welt geht, sehr bekannt vorkommen und überall begegnen. Metzger etwa haben nicht nur bei Vegetariern einen schlechten Stand, sondern durchweg auch bei Menschen, die ohne gröbere moralische Bedenken Fleisch essen. Und das nur, weil sie die Drecksarbeit machen, vor der sich die „Nur“-Konsumenten drücken. Á la legendärem Satz: „Müssten die Leute selbst schlachten, gäbe es schlagartig eine Mehrheit von Fleischverweigerern.“ Die Konfrontation mit diesen Menschen erinnert uns unangenehm an die andere Seite des Genusses. Ja, für Fleisch muss ein Leben geopfert werden. Und andere halten für uns ihre Köpfe hin, damit wir immer was zu rauchen haben.

Natürlich verdienen sie dabei gut. Doch möchte einer der Konsumenten tauschen und dafür das Risiko tragen? Wohl die wenigsten. Da verleugnen wir lieber, sehen in der Wurst nur die Wurst und nicht das Leben, das dahintersteht, und im Dealer nur den Dealer, nicht aber den Menschen, geschweige denn unsere enge Beziehung zu ihm, verdrängen allzu oft, dass wir von Gesetzes wegen ebenso „illegal“ handeln wie er. Jeder Kiffer und jede Kifferin sollte mal in sich hinein hören, ob er oder sie sich gesellschaftlich höher stehender oder sozial „braver“ fühlt als der Mensch, von dem er/sie kauft. Wo gibt es die Konsumenten, die ihren Providern monetären, seelischen oder auch nur irgendeinen Beistand leisten, sollten diejenigen Probleme mit dem Gesetz bekommen? Wie sollte es das auch geben, in einer Gesellschaftsform, in der das Geld das Verantwortungsgefühl in einer Beziehung ersetzt und jeder nur auf sich schaut?

„Erziehung ist eine pausenlose, berechnende, ideenreiche Angsterzeugung.“ heißt es bei Markus Werner. Leider hat er damit oft genug Recht. Von klein auf – wenn nicht schon zu Hause im Familienverband, so doch spätestens in den diversen Erziehungsanstalten – lernen Kinder, dass es mehr bringt, auf den eigenen Vorteil zu schauen. Ehrlichkeit, Zusammenhalt und Altruismus bringen einen in einer Werteskala, die lediglich aus fünf Zahlen besteht, nicht wirklich weiter. Angst ist seit jeher eines der probatesten Mittel um Massen in Schach zu halten. Bei diktatorischen Systemen ist das für die meisten noch einleuchtend. Für viele ist es bereits viel schwerer zu durchschauen, dass auch die Gesellschaftsform, in der wir leben, mit ihren Exekutiv-Organen, Richtern und Bestrafungsmethoden, die nur einzelne richten, ohne die Verantwortung der ganzen Gemeinschaft in Betracht zu ziehen, genauso über eine permanente Angsterzeugung funktioniert. Was in den diversen Medien als „Nachrichten“ präsentiert wird, ist überwiegend nichts anderes als die furchteinflößende, fatalistische, gewaltvolle – und, nebenbei, meist sehr von männlichen Denkformen geprägte – Seite der Welt. Die hat natürlich ebenfalls ihre Existenzberechtigung, allerdings wird die andere, positive, freudebringende, helle, liebevolle Seite beinahe völlig ausgeklammert. Ohne jegliche Begründung. Man setze sich einfach mal eine Woche lang hin und zähle die guten und schlechten Meldungen in den Fernsehnachrichten oder Zeitungen.

Für den Menschen, der diese Informationen konsumiert, bedeutet dies, dass sein Innerstes auf schlechte Nachrichten programmiert wird. Wer kontinuierlich Negatives denkt, hört (auch Musik!), liest, sieht und spricht, dessen Weltbild formt sich hin zum Negativen. Da hilft es auch nicht, eigentlich dagegen zu sein. Erst wenn man sich darauf konzentriert, wofür man ist, findet man auch den Weg dorthin, ansonsten schaut man immer in die genau entgegengesetzte Richtung – und geht natürlich dann auch genau dorthin. Das Hirn kennt keine Verneinung. Man stelle sich nur einmal kein rotes Haus vor. Genauso funktioniert die Machtmaschine Angst. Wer ständig von Einbrüchen, Morden, Autounfällen liest, der sieht dementsprechend überall nur mehr Diebe, Mörder und Gefahr. Da hilft dann das „Aber ich habe keine Angst“-Mantra-Brummeln auch nicht mehr weiter.

Genauso formt sich dann die Welt rund um uns, ein Filter schiebt sich vor unsere Sinne und lässt uns aus allem Erlebten nur mehr das Negative herausfiltern (man beachte die Gesprächsthemen in geselliger Runde). Eine gute Übung dazu ist, sich am Abend hinzusetzen und alle schönen Dinge aufzuschreiben, die man an diesem Abend erlebt hat. Zu Beginn kann dies erschreckend wenig sein, mit der Zeit jedoch verblasst der Filter und die Welt um uns scheint sich wie auf wundersame Weise plötzlich zum Guten zu verändern. Dabei passiert nichts anderes, als dass wir der lichten Seite der Welt mehr Bedeutung zukommen lassen.

Wer andere Lebensformen und -entwürfe, die mit den eigenen konterkarieren, als gleichwertig bestehen lassen will, ohne sich in seinem eigenen Weltbild davon bedroht zu fühlen, muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Und das sind die wenigsten. So fährt der Riss zwischen Gut und Böse durch alles durch, was ist. Der Dualismus feiert seinen Höhenflug, in dessen Schatten die Angst vor allem und jedem anderen wächst und gedeiht. Durchbrechen können wir dieses bigotte Weltbild nur, indem wir Verantwortung übernehmen – für unsere Entscheidungen, für unsere Handlungen und für unsere Beziehungen. Ein Anfang wäre vielleicht einfach einmal zu erkennen, dass das, was einen mit seinem Hanf-Verkäufer verbindet, wirklich den Namen Beziehung verdient hat. Dann kann man in ihm auch einen ebenbürtigen Menschen sehen, nicht einen Kriminellen, dessen Tun man eigentlich ablehnt. Und dann würden sich vielleicht mehr KifferInnen wirklich und aufrichtig dafür interessieren, was mit diesen Menschen in unserer Welt geschieht, und sich für sie einsetzen. Sie haben mit ihrem Handeln schließlich Verantwortung für diese Menschen übernommen.

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