Freitag, 7. April 2006

Mono & Nikitaman

>> Mehr als das

Die Dame aus Österreich beginnt nach der Schule eine Ausbildung im Modebereich, treibt sich nebenbei in der HipHop- und Drum’n’Bass-Szene herum und startet schließlich ein Kunststudium, was sie 1998 ins westenglische Bristol führt. Im Stadtteil St. Pauls, in dem auch viele Jamaikaner zuhause sind, findet sie eine Wohnung. Wenig später lautet die Diagnose: Schwere Reggae-Infektion mit chronischen Folgen. – Der Herr aus Holland wächst in der Düsseldorfer Hausbesetzer-Szene auf, wo Punkrock und Sozialismus nicht fern liegen und bereist Länder wie Ghana, Ägypten und Indien, in denen er mit Percussion in Berührung kommt. Immer wieder steht er bei verschiedenen Soundsystems am Mikro, unter anderem unterstützt er einige Male die Linzer DJ-Truppe von Soundsgood International, bei der auch die Dame am Start ist.

Am Abend des 12. März ist es soweit. Gegen 20 Uhr treffe ich mich mit meinem Redaktionskollegen Micha und seiner Freundin im Maschinenhaus der Kulturbrauerei, denn nach knapp zwei Jahren schieben nun Mono & Nikitaman, von denen hier die Rede ist, ihr zweites Album „Für immer“ nach. Und wir wollen auf keinen Fall ihren Zwischenstopp auf ihrer augenblicklichen Release-Tour in der Tanzhalle unseres Vertrauens verpassen, um auch ein Interview mit den beiden zu machen. Live sind sie mit ihrer Band „Royal Flash“ unterwegs, die es versteht, M&N mit ihrem satten Sound zu unterstützen. Ich bin beeindruckt, wie gut die beiden miteinander harmonieren. In jedem Tune pulsiert das Leben pur, da sich der toughe Style von Nikitaman mit der super-erotischen Stimme Monos abwechselt. Thematisch sind Mono & Nikitaman gewohnt breit aufgestellt – die Lyrics setzen sich mit Klugscheißern, gierigen Kapitalisten, Dudelfunk im Radio, Neonazis und der Liebe auseinander – und das sind noch nicht alle Bereiche, die sie ansprechen.

Nikitaman gilt als der Energy-God des deutschen Reggae. Er ist ein hochpolitischer Mensch, zog bereits als Siebenjähriger mit seiner Mama in besetzte Häuser und engagiert sich für die Antifa. Sein MC-ing ist rau und tief, ultraschnell und – ja, energiegeladen. Er knallt pfeilschnell und rhythmisch die Silben in den positiven, süßen Sound der honigweichen Mono-Stimme. Nikitaman faselt weder „Legalize It“-Plattitüden (auch wenn er wie Mono für eine Legalisierung von Cannabis ist), noch Jah-Parolen, sondern vermittelt sehr überdacht und dezidiert, was er von der Welt hält. Die soziale Verdrossenheit, die hin und wieder die Texte durchweht, wird bei Mono und Nikitaman in so sonnige, mitreißende, positive und liebeswert unverbissene Melodien und Hooks gewickelt, dass man erst bei sehr genauem Hinhören bemerkt, dass uns heftige Nachrichten von hinten durch die Brust ins Auge gestoßen werden.

Rootdown 2006. Auf ihrem zweiten Werk stellen M&N ihre Qualitäten als Entertainer, Performer und Songwriter unter Beweis! Von Dancehall und Roots & Culture, über bekannte und groovige Riddims aus Österreich und der Schweiz bis hin zu treibenden Beats aus Jamaika – von Partysong bis Gesellschaftskritik. Flip von der Linzer HipHop-Truppe Texta nahm die Vocals auf und gab ihnen an den Reglern letzten Schliff. Der Titeltrack „Für immer“ bezieht sich textlich nicht direkt auf ihre gemeinsame Zukunft, sondern schwärmt von einem paradiesischen Ort und schafft einen entspannten Einstieg. Der Spaß an der Sache wird vermittelt, etwas, worum es bei M & N immer schon ging. Das lustige „Sex sells“ auf dem Rush Rhythm-Riddim zeigt uns, wie deutsche Slackness aussehen kann. Worum es geht? Natürlich um das Eine! „Komm, ich weiß, dass du das brauchst./ Komm, ich weiß, du willst es auch./ Komm, ist nicht schlimm, sei ruhig laut./ Ich liebe diesen geilen Sound“. Diese Weisheit trifft auch bei dem Stück selbst zu, denn am Ende erwartet den Hörer eine kleine Überraschung.

Ein unglaublich harmonisches Liebeslied ist mit „Bist Du Da“ gelungen. „Ist es Leichtsinn oder Kitsch?/ Keine Ahnung, bin verwirrt. Ich weiß nicht, was es ist./ Es ist stark und reißt mich mit./ Es ist wunderschön, doch vernünftig ist es nicht!“ Überhaupt spricht jede Textzeile die Seele an! „Wir sind so“ ist eine Eigenreflektion auf dem „Peace“-Riddim. Wieder ein sehr root-lastiger Tune, bei dem sich die beiden etwas genauer beschreiben, so wie es ihnen gefällt und so wie es scheinbar vielen anderen nicht gefällt. Die nächsten beiden Tracks sind dem einen oder anderen bestimmt schon vom Dancehallfieber-Sampler und aus der „Flutes“-Selection bekannt. Zuerst einmal mit „SOS“ der Ruf nach Rettung vor dem ganzen musikalischen Müll, der im Radio oder in Discotheken gespielt wird und dann die Aufforderung, nicht immer nur zu maulen, sondern auch mal selber etwas auf die Beine zu stellen. Extrem tanzbar ziehen die beiden in „Fresse Halten – Selber Machen“ mit derben Beats und Texten, die einen auch mal laut lachen lassen, gegen Maulhelden zu Felde. Denn, wer kennt sie nicht, diese chronischen Nörgler? Line um Line, Rhyme um Rhyme nennen die zwei sie, in voller Länge einfach tödlich.

Einen schönen Rootsreggae-Track mit einem dicken Bläserset liefern die beiden mit „Mehr als das“ ab. Eher nachdenklich kommt dagegen „Neu“ daher, und doch kennt es jeder. Immer muss alles neu sein, und „das gute Alte“ ist vergessen. Doch wie viel Neu verträgt die Welt? Und sind alte Ideen wirklich schlecht? Und wie um ihr Statement zu unterstreichen, lassen sie diesem Tune die „Zweite Halbzeit“ folgen, denn diese ist für Mono und Nikitaman mit dem zweiten Album angebrochen. Es beginnt mit der wohl berühmtesten deutschen Radiomoderation eines Fußballspiels. Mit „Und Bozsik, immer wieder Bozsik“, hören wir Herbert Zimmermann, und M&N spannen den Bogen zum aktuellen Fußball-Wahn, der in dem neoteutonischen Geburtsrecht auf den WM-Titel gipfelt. Doch sie bieten uns einen Ausweg: Sich selbst! Etwas rauer hätte vielleicht der Riddim zu „Tausend“ ausfallen können. Der Text klingt wie eine Kampfansage an die Bonzen, die positiv fließende Musik und die relativ liebliche Melodie im Refrain nimmt ihm die Schärfe. Ein kleiner Makel auf dieser sonst durchgängig richtig starken Platte.

Dass M&N aber auch so richtig Party machen können, beweist der wunderbare Dancehall-Slammer „U.N.I.T.Y.“, welcher Ward 21 featured. Und auch bei „TSP“, der Torschusspanik, geht’s gut ab. Ein weiteres Feature ist „Praise“ zusammen mit Warrior King. Und dann gibt’s noch zwei konkrete Polit-Tunes. Mono & Nikitaman orten sich eher auf der linken Seite der politischen Meinungspalette und vertreten ihre Ansichten vehement. Der Bouncer „Boom“ gibt entsprechend der rechten Szene wortgewaltig eins auf den Stahlhelm, Humor kommt dabei nicht zu kurz. Vor allem aber macht der Song darauf aufmerksam, dass man Rechte und Linke nicht mehr nur anhand von Glatze und Che Guevara-Shirts unterscheiden kann. Urlinke Symbole vereinnahmt die rechte Szene mittlerweile und deutet sie für sich um. Auch der Antikriegs-Song „Stell dir vor“ von Nikitamans Debüt-EP „Ahh … loco…?“ erfährt aufgrund großer Nachfrage der Fans eine Neuauflage: Statt auf einem Dancehall- diesmal auf einem Reggae-Riddim. Wirklich schöne Metaphern werden in diesen Tracks eingebaut und die Themen sind genau das, was alle zur Zeit angeht. Schön, dass sich nicht alle Künstler ihrer Vorbildfunktion entziehen und solche Themen angesprochen werden. Und wer will, das sich was bewegt, nicht nur der Körper, sondern auch Geist, der wird mit dem Outro „M&N II“ bedient.

Die zwei gehören definitiv zu den Top-Artists der deutschsprachigen Reggae-Szene! – Amüsant, kritisch, relaxt, tanzbar und intelligent – die beiden sind vielseitig und einfach gut.

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