Dienstag, 9. Mai 2006

Kifferwahn

(USA 2005 / 112 min.)

Die Teufelsdroge Marihuana hat wieder zugeschlagen. In den Dreißiger-Jahren noch zu Propagandazwecken gedreht, wagt sich nun Regisseur Andy Fickman an ein Remake des obskuren Anti-Drogen-Films „Reefer Madness“. Durch sarkastische Untertöne und eingängige Songs in der Tradition berühmter Vorgänger wie „Grease“, „The Rocky Horror Picture Show“ oder „Der kleine Horrorladen“ inszenierte er das gleichnamige Off-Broadway-Musical. Nachdem der Film bereits das Publikum beim letzten Fantasy-Filmfest und Verzaubert-Festival begeisterte, kommt er nun in die Kinos, und ich hab’ mir das ganze zur Premiere mal angesehen.

Der bizarre Original-Streifen brillierte ja damals durch eine Mischung aus krudem Sensationalismus – Marihuana-Konsumenten werden als unzurechnungsfähige Geistesgestörte dargestellt – und einem strikt konservativen Moralismus, der Drogenmissbrauch und vorehelichen Sex als die größten Gefahren für den amerikanischen puritanischen Lebensstil darstellt. Zwar war „Reefer Madness“ nur einer von vielen frühen Exploitationfilmen, die Themen wie Drogen, Prostitution oder organisiertes Verbrechen – allesamt zumindest zeitweise tabu für die großen Studios – mit sehr beschränkten finanziellen Mitteln und entsprechend ungelenken Resultaten behandelten, doch aufgrund seiner Karriere im Mitternachtskino ist er heute mit Abstand der bekannteste. Heute, gut 30 Jahre später, wird die Geschichte des kleinen, obskuren Exploitationfilms um ein weiteres Kapitel reicher, denn wie bereits der englische Titel (Reefer Madness: A Movie Musical) klarmacht, besteht eine der wichtigsten Änderungen in Bezug auf das Original in der Einfügung zahlreicher musikalischer Sequenzen, die viel Zeit einnehmen und den Reiz des Films ausmachen. Und unter den hervorragenden Darstellern befinden sich auch die Stars Neve Campbell („Scream“), Tony-Preisträger Alan Cumming („X-Men 2“), und Robert Torti ist der coolste Jesus-Darsteller der Filmgeschichte.

Irgendwo in Amerika im Jahre 1936. Widerwärtige Ausschweifungen, Tote, Irrsinn und allerschwerste Rechtsverletzungen sind die Folgen des Stoffes, der Amerika zu vernichten droht: Marihuana! Und genau davor warnt ein geheimnisvoller Dozent die Eltern dieser bedrohten Kinder. Jimmy Harper (Christian Campbell) und Mary Lane (Kristen Bell), ein amerikanisches Vorzeige-Teenager-Paar schlechthin, bereiten sich auf eine Englisch-Prüfung an der High School und ein erfülltes Kleinstadtleben vor. Doch Jimmy gerät in die Fänge des Marihuana-Dealers Jack Stone (Steven Weber). Ein Zug am Joint – und der saubere Jimmy verwandelt sich in ein moralloses Monster, das nur noch nach Sex, Anarchie und dem nächsten Joint lechzt. Das schonungslose Ende naht, als auch die sonst so brave Mary im Rausch des Giftes ihre Qualitäten als Domina entdeckt.

Das Herzstück des Remakes bilden die fantasievoll und abwechslungsreich ausgearbeiteten Musiksequenzen. Highlight diesbezüglich sind Ana Gasteyer als Jack Stones Geliebte Mae Coleman, deren vielseitige Gesangsstimme gleich mehrere Lieder trägt, diverse Zombie-Sequenzen im alten B-Movie-Style und eine sehr gelungene animierte Hommage an die Trickfilmheldin der Dreißiger-Jahre, Betty Boop. So macht „Kifferwahn“ aufgrund seiner Vielfältigkeit über die volle Laufzeit Spaß. Einige opportunistische Elemente sind die wenig provokante Kritik an der bigotten Gesellschaft der –Dreißiger-Jahre, die sich an religiösen Eiferern und abstruser Drogenhysterie abarbeitet sowie schwierigere Themen wie Rassismus und sexuelle Rollenklischees, die auch einen Blick auf die heutige Gesellschaft ermöglichen würden, aber nur äußerst kurz berührt werden.

Fickman führt in einer Rahmenhandlung die aus heutiger Sicht obskure Vorführpraxis dieser Streifen vor, die mancherorts als Lehrfilme getarnt, von vorgeblichen Regierungsbeauftragten dem schaulustigen Publikum zugänglich gemacht wurden. So ist aus dem amüsanten Zeitdokument, was vielfach unter Einfluss von Cannabis betrachtet wurde, welches es eigentlich vom Erdboden verbannen wollte, ein lustiges Musical geworden, was man auch heute unter Einfluss von Cannabis betrachten könnte, was niemals vom Erdboden verbannt werden darf!

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