Dienstag, 18. September 2007

Knast im Norden, Hanf-Extrakt im Süden

aXXL soll ein Jahr ins Gefängnis

Verkehrte Republik: In Baden Würtemberg hat sich kürzlich eine an Multiple Sklerose erkrankte Frau das Recht zur medizinischen Nutzung von Cannabis erstritten. Sie darf ab Ende August legal ein Cannabisextrakt aus der Apotheke beziehen.
Das Extrakt wird von ihrer Hausapotheke hergestellt und muss sowohl in der Apotheke als auch bei der Patientin zu Hause im Tresor aufbewahrt werden. Eine Behandlung mit dem synthetisch hergestellten Dronabinol kam in diesem Fall nicht in Frage, da das Medikament bei Claudia H. Nicht den gewünschten Effekt hatte- im Gegensatz zu natürlichem Cannabis.
In Schleswig Holstein wurde unser freier Mitarbeiter, der Schriftsteller, Musiker und Bildhauer aXXL, fast zeitgleich vom Amtsgericht Niebühl zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. aXXL hatte sich vor einem Jahr selbst angezeigt, weil er auf den Missstand der nicht zugelassenen Verwendung von Hanf als Medizin hierzulande aufmerksam machen wollte (Hanf Journal 10/06). Während er auf die Verhandlung wartete, trudelte die Ablehnung seines Antrags auf Selbstmedikation ein: aXXL sei nicht zuverlässig genug, weil er früher heroin- und kokainabhängig war, er hätte keinen Stahlsafe um das Cannabis aufzubewahren seine Ärzte hätten ihm nicht bescheinigt, dass Cannabis die einzig wirksame Hilfe gegen die Nebenfolgen seiner Hepatitis C-Erkrankung ist.
Angesprochen auf die „Vorwürfe“ äußerte er gegenüber der TAZ: „Ich bin seit 1980 nicht mehr heroinabhängig, bin im Substitutionsprogramm, habe eine feste Arbeit, tilge Schulden, zahle Steuern, bin als Schriftsteller und Musiker aktiv. Kann man besser resozialisiert sein? Aber das Amt hält mich für unzuverlässig“ und…“Sie (seine Ärzte) sehen, dass es mir gut tut, aber können das nicht wissenschaftlich begleiten. Wir Patienten wissen jedoch, was wir brauchen. Wir leiden, also tun wir etwas dagegen. Auch der Notwendigkeit einer Sicherheitsverwahrung in einem Safe steht aXXL skeptisch gegeüber und sieht in dieser Auflage eher eine Schikane: „Warum sollte ich? Mein Methadon bewahre ich seit Jahren im Zahnputzbecher auf. Da gibt es auch keine solchen Vorgaben.“ Dafür aber ein Jahr Knast ohne Bewährung. ( Siehe auch Seite drei: “Abschaum- Abwasch”- aXXL’s Abrechnung)

Der Fall in Baden- Würtemberg hilft zwar der betroffenen Patientin unmittelbar und scheint auf den ersten Blick ein positives Signal zu sein, wirft aber parallel eine Menge Fragen auf:

Warum erlaubt das BfArM die Behandlung mit Pflanzenteilen nicht, sondern nur die teure, aufwendige Extraktion? Wie kann es sein, dass ein Extrakt, dass weder eine Zulassung hat noch an
Menschen ausprobiert wurde, plötzlich verfügbar sein kann? Zwei andere Patienten, denen auch nur das Extrakt genehmigt wurde, fordern weiterhin den legalen Zugang zu pflanzlichem Cannabis. Hier scheint es, als wolle das BfArM schon bei den ersten Genehmigungen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen wollen Dr. Schinkel und seine Behörde das schlechte Bild des BfArM in der Öffentlichkeit, das durch die zahlreichen Ablehnungen ohne Einzelfallprüfung entstanden ist, ein wenig zurecht rücken. Um gleichzeitig die Grundlage dafür zu schaffen, dass eine medizinische Verwendung der Pflanze an sich bis zum St. Nimmerleinstag verboten bleibt. Auf der anderen Seite hat sofort nach Veröffentlichung von Claudia H.’s Urteil ein Phyto-Pharmaunternehmen angekündigt, ein Cannabisextrakt entwickeln zu wollen. Zufall? Schöne neue Welt, aus allem macht man Geld.
Übrigens kostet die Herstellung des Extraks ein Vielfaches von dem, was die gleiche Wirkstoffmenge THC in pflanzlicher Form kosten würde- auf Kosten der Beitragszahler. Wohl deshalb konnte/wollte die zuständige Krankenkasse (noch) keine Aussage über die anfallenden Kosten der Extraktherstellung machen. Wahrscheinlich würde die Behörde selbst bei einer ausdrücklichen richterlichen Erlaubnis zum Eigenanbau aus medizinischen Zwecken den Patienten zwingen, sein Gras bei Bayer abzugeben und veredeln zu lassen, bevor sie/er es medizinisch anwenden darf.

Auch das Sylter Urteil wirft die Frage auf, ob Patienten, die im Laufe Ihres Lebens andere illegale Drogen konsumiert haben, Cannabis als Medizin vorenthalten werden darf, nur weil es illegal ist,
wohingegen kranken Menschen ohne Drogenvorgeschichte der Zugang, wenn auch unter Auflagen, gestattet wird.
Anscheinend muss ein Mensch schon im Rollstuhl oder halbtot und sabbernd in den Gerichtssaal kommen, um einen Anspruch auf die Medizin, die als einzige die Krankheitssymptome lindert, zu bekommen. Denn das BfArM hat der Euphorie über die Genehmigung in Patientenkreisen schon gedämpft: nicht die Krankheit zählt sondern der Zustand. Man stelle sich so etwas bei anderen Krankheiten vor: Die benötigte Medizin gibt es erst, wenn es Dir richtig dreckig geht, vorher nicht.
Jede/r MS-PatientIn muss weiterhin nachweisen, dass alle verfügbaren Therapien keine Wirkung erzielt hatten und dass es kein anderes zugelassenes Arzneimittel gibt, um die Beschwerden zu behandeln. Ein Arzt musste die Risiken gegen den Nutzen einer Behandlung mit der Droge abwägen und den Therapieplan darlegen.
Ansonsten könnte ja jetzt jeder MS Kranke einfach straffrei Hanf besitzen, ja wo kämen wir denn da hin? Egal welche Krankheit, welcher Zustand: weiterhin wird jeder/r BürgerIn, die/der Hanf als Medikament benötigt, einen langen Marsch durch Behörden und Gerichte antreten müssen, bevor die Hilfe gewährt wird, die eigentlich jedem kranken Menschen zusteht.
Deshalb: Schnell ins Netz und den Protestmailer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin unterschreiben:
http://www.selbsthilfenetzwerk-cannabis-medizin.de/

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