Montag, 4. August 2008

Rolys Silberscheiben des Monats August

Kidda: Going Under
(skint)

Vorne weg: mein Sommer-Album 2008! Ste McGregor alias Kidda lebt seit zehn Jahren im britischen Badeort Brighton und arbeitet hauptberuflich als Videokünstler: Acts wie Midfield General, X-Press 2 oder Kanye West liessen Kidda 3D-animierte Clips zu ihren Tracks anfertigen. Seine Remix-Werke für Fatboy Slim oder die Beastie Boys beweisen aber, dass er auch mit seinem Kidda Projekt für Aufsehen gesorgt hat. Kidda liebt HipHop und Soul alter Schule, Big Beat und Northern Soul, Elektropop, Psychedelic Rock und Afrofunk. Motown-Klassiker der sechziger und siebziger Jahre standen für dieses Album ebenso Pate wie urbane Streetsounds. Das Multitalent hat mit seinem Debutalbum “Going Under” zehn supercoole Song-Ideen mit authentischem Oldie-Flavour zusammengeschraubt, die er quietschbunt mit kleinen Vocoder Spielereien und abgedrehten Voice FX durchsetzt. Die Platte ist druckvoll aufgenommen, hat ohne Ende Sound-Power und wurde musikalisch und stimmlich nicht vernachlässigt. Gast-Vocals kommen von so klingenden Namen wie Gary Lightbody (Snow Patrol), Pyhco Les (Beatnuts) und Lo Max (Blak Twang). Solides Handwerk pur und eine extrem erfrischende “Smile”-Platte für den Sommer. – Wem die Releases auf Skint gefallen, dem sei noch das neue Album von X-Press 2 “Raise Your Hands” (The Greatest Hits) ans Herz gelegt, denn das Londoner Trio nimmt hier einen Ehrenplatz im Olymp der House Music ein und präsentiert mit “Fire” zusätzlich noch einen brandneuen Track mit Africa Bambaataa.


X-102 aka Jeff Mills & Mike Banks:
X-102 rediscovers The Rings Of Saturn
(tresor records)

UR. – Am 2. November 1989 gegründet, betreibt Mike Banks seit dem Ausstieg von Jeff Mills und Robert Hood im Jahre 1992 als einziges Gründungsmitglied Underground Resistance weiter fort. 1992 lieferten die drei Pioniere das vielleicht zukunftsweisendste Album für die heutige elektronische Musik: X-102 discovers The Rings Of Saturn (Tresor.004/UR). Auf dem Weg zum Saturn überholten sie sich selbst und waren der Zeit um mindestens 15 Jahre voraus. Die Tracks der X-102 kamen auf das Minimale reduziert, loopend, mit geringerer BPM-Zahl, spacig, manchmal auch ohne Beats daher. Erst seit den Cassini/Huygen Missionen gibt es mehr Bilder und Erkenntnisse über den Saturn, seine Monde, seine Ringe und ihre Beschaffenheiten. Die Faszination, die der Planet auf Jeff Mills ausgeübt hat, blieb immer bestehen, aber nur zusammen mit “Mad” Mike wollte er sich dem Projekt noch einmal widmen. Nun haben sie wieder zusammengefunden und starten 2008 mit “X-102 rediscovers The Rings Of Saturn” gemeinsam ihre zweite Saturn-Mission. Doch die Innovatoren wären keine Innovatoren, wenn sie nicht, aufbauend auf den Tracks der ersten Mission (weshalb Robert Hood auch weiterhin indirekt zum Projekt gehört) mit neuen und bisher unveröffentlichten Tracks ihren persönlichen Entwicklungen und den Erkenntnissen der Weltraumforschung Rechnung tragen würden. Und natürlich wieder Richtungen weisen. Diese 20 Tracks starke Reise lässt daran keinen Zweifel.
www.undergroundresistance.com
www.tresorberlin.com


K-Rings Brothers:
S.O.S. Save Our Souls
(peripherique records)

Wie die Bee Gees sind auch Cabser, Friderico und Sir Max drei Brüder, und ich habe mir gerade nochmal die EP “K*Rings Zone” und ihr erstes Album “Tricolor” (mit den Stieber Twins). “Save our Souls” lautet nun das Motto und gerettet werden wollen die Odenwalder in ihren Texten von beklagenswerten Zuständen in Sachen Finanzen, Beziehung und von generellen sozialen Missständen. Aber natürlich wird nicht nur gejammert. Die weithin hallende Trompete untermalt die Beziehungsanalysen von “Mayday”, während “Let’s Get Higher” klar macht, dass man auch auf sinkenden Schiffen tanzen kann und die klicker-klackernde Percussion die in “Rollin’ Stone” betriebene Selbstzerfleischung umsetzt. “The Sound of the Forest” mag vielleicht auf Betonwüsten-Bewohner zunächst ein wenig seltsam wirken, aber wenn Seeed Berlin feiern dürfen, muss man den K-Rings Brothers wohl auch zu gestehen, ihrem Odenwald zu huldigen. Nach dem Cover von Reggae-Legende Max Romeo “Iron Shirt” wird auch an dem einst von UB 40 kredenztem Fusel genippt. Hip Hop, Reggae und eine gute Portion Ska hüpfen mit scheppernden Drums, Sir Max’ Trompete, klimpernden Keyboards und auch mal einem Schifferklavier in farbenfrohen, quirligen Beats um die Wette. Mit “Save Our Souls” senden die K-Rings Brothers keineswegs einen Hilfeschrei. Wenn diese Sippschaft in irgendetwas ersäuft, dann höchstens im Herzblut. “This is the sound of the forest / the home of the open minded people.”


üNN: Exit
(mikrolux)

Vor 20 Jahren veröffentlichte er mit Tribantura “Lack Of Sense” auf Talla2XLCs einstigem Label TDI seinen allerersten Titel, auch sein wohl bekanntestes Projekt üNN wird nun genau zehn Jahre alt. So feiert der Frankfurter Multimedia-Künstler Frank Rückert dieses Jahr doppelt und legt mit “Exit” sein fünftes Album vor. Der Name der Produktion steht für das Entfliehen aus stilistisch engen Schubladen und der Freiheit eines Künstlers, sein musikalisches Verständnis frei auszuleben. Und das Album enthält wirklich eine Fülle ambientgeladener und vokal angereicherter Soundscapes, die ihren experimentellen, innovativen Reiz durch die verschiedensten musikalischen Einflüsse von Techno und Electro über Synthie-Pop bis hin zu Industrial und Dark Wave erlangen. Im Vergleich zu seinem chilligen Vorgänger “Silence” ist das neue Werk wesentlich grooviger. In Tracks wie “Love Me” und “Touch My Soul” fasst üNN die schönen Seiten des irdischen Lebens in hörbare Poesie. “Do You Remember” und “Sense Of Liberty” sind fantastisch, und dem vokalen Gastauftritt von La Gonzesse in “Escape The Time” folgen Tracks wie das tanzbare “The Hidden Note”, das trippige “Asteroid” und das brennende “Exploding Sun”, die sich immer weiter von der Erde entfernen. Schließlich ist jedes Ende auch ein Neuanfang und das leichte “Burning” flackert diesem zu guter Letzt in entspannter Erwartung entgegen. Stark produziert verbreiten hier die 14 Klangperlen eine angenehm beruhigende Stimmung.


SDP:
Die Rache des kleinen Mannes
(berliner plattenbau)

Zusammen mit Dag-Alexis Kopplin gründete Vincent Stein die Berliner Zwei-Mann-Band SDP als “Stonedeafproduction” und beweist damit seit einigen Jahren, dass ernsthaft Musik zu machen keineswegs eine ernste Angelegenheit sein muss. In ihren deutschsprachigen Texten verarbeiten SDP Alltäglichkeiten und weltpolitische Fragen nebeneinander, allerdings oft mit einem satirischen und ironischen Unterton. Die erste Singleauskopplung aus ihrem aktuellen Album “Die Rache des kleinen Mannes” handelt vom “Wasserschi Fahr’n” auf’m Kürfürstendamm, also von der globalen Erwärmung. Gute Laune verbreiten auch Songs wie “Nur noch einen Tag” und “Die Frau vom Ordnungsamt”. Meine Highlights sind allerdings “Sie macht’n Drama” (für alle Jungs, deren Freundinnen sich immer mal wieder gerne als Zicke entpuppen, zum Wegschmeissen), die Liebeslieder “So genial” und “First Love”, die Klamauk-Nummer “Der Chiwawa von Paris Hilton”, der Lachmuskelkatersmasher “Abtörn”, das Interlude “Musikfachinese” und vor allem die amüsante Selbstreflexion “Wie meine Eltern”. Musikalisch bewegt sich das Album zwischen Pop, Reggae, HipHop und Rock. Keine heilige Kuh bleibt ungeschlachtet, denn SDP umschiffen gekonnt jegliches Klischee und ignorieren jedweden Genrezwang. Ironie, die Spaß macht und dafür sorgt, dass man beim Nachdenken über alles Traurige auch mal tanzend ins Schwitzen kommen kann. Hat Charme und gibt von Roly 10 Punkte!


Dendemann:
Abersowasvonlive
(four music)

Was alles in Rap steckt, haben so langsam selbst mit “Gefährlichem Halbwissen” gesegnete Sechsfarbenkugelschreiber kapiert. Aber wir sind wohl erst an der “Pfütze des Eisbergs” angelangt. Live hat dieser derbe Typ schon nahezu jedes Publikum heftigst gerockt. Und nun kommen alle Fans von Volker Racho und Larusso in den Hörgenuss, zehn Highlights des Auftritts in der Stuttgarter Röhre noch mal “abersowasvonlive” mitzuerleben. Neben dem bisher unveröffentlichten Titelsong gibt’s hier noch die sieben bis jetzt nur als B-Seiten und exklusiv online veröffentlichte Nummern “Beste Wo Gibt”, “Gangsterbraut”, “Diplomaten küsst man nicht”, “soulda?wohlwahr!”, “Meins”, “Volker Racho” und “Dendemänner braucht das Land”. Perfektes Storytelling und ordentliches Bounce-Fallera mit bassboxenludertauglichen Beats – wie immer mit dem Schalk im Nacken. Als Bademeister schaut er vom Rand aus dem Treiben zu und gibt endlich mal auf die Nichtschwimmer acht, während Pferdelungen-Teststrecken wie “Inhalation” und die Sportsetzung von “ErsoIchso” mit das Beste sind, was mir im deutschsprachigen Raum bisher durch die Ohren gescheppert ist. Dende zählt hierzulande zu den intelligenteren Rappern und ist immer eine wohltuende Abwechslung zu klischeebehafteten MCs aus der Hauptstadt. Mal gespannt, wie die Jugend darauf klar kommt, dass Du so als Hörspielonkel über diesem ganzen deutschen Rap-Müll thronst. Danke, gut bzw. derbe geil!

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