Dienstag, 9. Februar 2010

Rolys Silberscheiben des Monats Februar

Massive Attack: Heligoland
(emi)

Hervorgegangen sind die Jungs aus dem Ende der 1980er in Bristol formierten Künstlerkollektiv The Wild Bunch, zu dem damals auch Tricky gehörte und das als Wiege des Trip-Hop gilt. Ihr Debütalbum „Blue Lines“ (1991) gilt heute für seine innovative Kraft als absoluter Klassiker seiner Art. Auch „Protection“ (1994), die von Mad Professor betreute Dub-Version „No Protection“ (1995) und das düster klaustrophobische Album „Mezzanine“ (1998), auf dem Horace Andy sowie Elizabeth Fraser (Cocteau Twins) die markanten Stimmen bilden, können immer noch als genial bezeichnet werden. Exakt 20 Jahre nachdem sie mit „Daydreaming“ ihre erste Single veröffentlichten, erscheint mit „Heligoland“ pünktlich zu meinem Geburtstag das lang erwartete, offiziell fünfte Studioalbum von Massive Attack, die wie nur wenige andere ihrer Art mit wegweisenden Klängen und Visionen das Profil der zeitgenössischen Popmusik geprägt haben. Neben Horace Andy interpretieren hier Tunde Adebimpe, Martina Topley-Bird, Guy Garvey, Hope Sandoval und Blur- und Gorillaz-Mastermind Damon Albarn die melancholischen Kompositionen von Robert Del Naja and Grant Marshall. „Pray For Rain“, „Splitting The Atom“ und das finale „Atlas Air“ sind exzeptionell spannungsgeladene Prototypen einer Kunst, der auch ein apokalyptisches Element zugrunde liegt. „Babel“ steppt mit Breakbeat-Drums und betört mit der zarten Stimme von Martina Topley-Bird, während die für Massive Attack typisch bedrohlich pulsierenden Bassläufe in „Girl I Love You“ mit Mezzanine-Vibes glänzen. Nach dem hypnotischen „Psyche“ entwickelt sich mit „Flat Of The Blade“ eine Ballade, die mich an Björk denken lässt. Mazzy-Star-Stimme Hope Sandoval verführt den Zuhörer in „Paradise Circus“, „Rush Minute“ ist dramatisch schön, und in „Saturday Come Slow“ packt noch Portishead Adran Utley seine Gitarre aus. Was die Kritiker mit ihren Erwartungshaltungen auch sagen mögen – ich bin sehr glücklich mit „Heligoland“.
www.myspace.com/massiveattack
www.massiveattack.com


Various: The Kings Of Drum&Bass
(bbe records)

Im Monat der Wassermänner erscheint ein neues Meisterwerk der BBE Music Compilation-Serie „The Kings Of …“. Dieses Mal widmet man sich dem Genre Drum’n’Bass. Mit ihrem Label Reinforced und unter zahlreichen Pseudonymen damals selbst an der Schaffung einer neuen Musikrichtung elementar beteiligt, mischen keine geringeren als 4Hero hier noch einmal einige Diamanten dieser Frühzeit, als das ganze noch unter dem Namen „Breakbeat“ lief. „Drum and Bass came out of a period when more people were out on a dance floor or dancing in a field than ever before in the UK. Musical barriers were blended and broken down through early sampling technology alongside many cultural walls where thousands danced together. Being there at the initial spark I find it hard to break Drum and Bass up into sub genres, Hardcore, Jungle, Hard Step, Intelligent, Liquid and so on, so for this compilation we cover the complete spectrum and treat it as a whole.” Weise Worte von Marc Mac, denen ich mich nur anschliessen kann. Neben hauseigenen Tracks wie „Universal Love“ und „Better Place“ fügen sich Top-Klassiker von Nasty Habits, Manix, Tom & Jerry, Aquasky, Nookie, Internal Affairs, Rufige Kru und A Guy Called Gerald mit Produktionen von London Elektricity, Calibre, Lenny Fontana, Lemon D, Wings, aus dem letzten Jahrzehnt zu einer dynamischen Zeitreise. Auf der zweiten CD sorgt DJ Marky in einem erstklassigen Mix für die richtige Synergie aus zeitgenössischen Perlen von Random Movement, Marcus Intalex, Lynx & Maple, Calibre, Marky, Makoto & A-Sides, Logistics, Roni Size & Krust, Scorpio, Shimon & Andy C, S.P.Y., Subwave, The Upbeats, Nu:Tone, Bachelors Of Science, Twisted Individual, Q Project, Rogue Soul und Stunna – breitgefächerter geht’s wohl nicht. Mit dieser wundervollen Compilation, die auch als 3 x 12“ auf Vinyl und als digitales Release erscheint, zollen 4Hero und DJ Marky ihrem Metier den verdienten Respekt. Ich lieb’ diese Jungs …
www.myspace.com/bbemusic
www.bbemusic.com


Souls Of Mischief: Montezuma’s Revenge
(hiero imperium)

Die Rapper A-Plus, Opio, Phesto und Tajai aus Oakland, die allesamt auch Mitglieder des berühmten HipHop-Kollektivs Hieroglyphics sind, gehören zu den Guten. 1991 gegründet, haben sie 1993 mit ihrem ersten Album „93 ’til Infinity“ eines der besten HipHop-Werke der 90er Jahre veröffentlicht, das bis heute nichts von seiner Schönheit und Energie eingebüsst hat. Auch das darauf folgende Album kann als Klassiker bezeichnet werden und legte den Grundstein für den Aufstieg des Hiero-Imperiums. Produziert von Prince Paul (De La Soul) und Domino (Hieroglyphics), präsentieren die Souls Of Mischief nun nach neun (!) Jahren ihr viertes Studio-Album „Montezuma‘s Revenge“. Dem Titel nach ist es inhaltlich eine Art Rache am heutigen HipHop mit all seinen negativen Nebenwirkungen. Nach dem stimmungsvollen Intro von Del tha Funkee Homosapien und dem rockigen „Won1“ beschäftigt sich das verträumte „Postal“ mit dem weiblichen Geschlecht. Mit „Tour Stories“ und „Porper Aim“ folgen zwei smoothe Songs zum Zuhören, bevor auch A-Plus auf „You Got It“ einen fröhlichen Beat beisteuert. Voller Soul sind auch das düstere „For Real Y’all“, das mystische „Lickity Split“, das lebensfreudige „Home Game“ und das arabeske „Lalala“. „Hiero HQ“ kommt mit coolem Oldschool Flavour, und „Poets“ ist mit seinem Xylophon-Sound, dem Groove, dem Vocal-Sample und dem Text wohl mein Lieblingstrack. Und Morgan Freeman erklärt den Jungs dann noch über’s Telefon, wie die heutige HipHop Welt so funktioniert. Zusammen mit einer Instrumental CD als Bonus freue ich mich über dieses Comeback, auf dem sich das Quartett auf dichtes Storytelling, den Schuss Ironie und gute Beats zurückbesinnt und auf neuzeitlichen, überflüssigen Schnickschnack glücklicherweise verzichtet.
www.myspace.com/soulsofmischief
www.hieroglyphics.com


Various: Farside 1.0
(farside records)

Das Ruhrgebiet präsentiert sich 2010 als Kulturhauptstadt Europas, und so meldet sich die Farside Familie mit einer Retrospektive ihres Dortmunder Labels zu Wort. In Kooperation mit seinen Freunden Winni Petersmann (on the rock) und Oliver „Olski“ von Felbert (Melting Pot Music) startete Ingo Sänger 2006 die erste Farside Vinyledition. Seitdem sind vierzehn Vinyl-12“es entstanden, die allesamt irgendwo im deepen House Universum angesiedelt sind und auch Dub-, Soul-, Hip Hop- oder Detroit-Einflüsse aufweisen. Gemeinsam mit seinem Westpark Unit-Partner Herb LF präsentiert Ingo Sänger einen 60-minütigen Einblick in die Arbeit von Farside Records. Hierfür wurden 15 Tracks ausgewählt und zu exklusiven Clubversionen editiert. Zusätzlich gibt es als Bonus die komplette Farside 1.0 Vinyl EP im MP3 Format. Westpark Unit liefern neben dem heissen Intro mit „Blaxrotation Suite Mix“ einen lässigen Percussion Grower, präsentieren „Stoned Love“ in einer live eingespielten Version von Patchworks und erforschen den Funk im Deep House mit ihrem grössten Hit „Jeepah“ und dem Bonus „Feel This! Dub“. Henry L aus Köln, den ich bisher als Henree kannte, überrascht mich hier mit drei supergroovigen Tracks, während der Düsseldorfer Matt Flores in vier Stücken eine interessante Bandbreite zeigt. Elina Monova hat den Soul, The Offsetters und Herb LF ergänzen das Spektrum, bevor Islands Produzent Asli mit seiner „Springsequence“ ein wunderbares Outro zelebriert. Habe seit St.Germain’s Meilenstein „Boulevard“ (1995) nicht mehr soviel Freude an diesem Sound gehabt. Cool!
www.myspace.com/farsiderecords
www.farside-records.de


Juri Gagarin: Cobra
(audiolith)

Der Biss einer Cobra ist tödlich. Ihr Gift ist ein starkes Neurotoxin und wirkt direkt auf das zentrale Nervensystem, wo es das Atemzentrum lähmt und Herzstillstand verursacht. Durch den Biss kann das Opfer gelähmt oder getötet werden. Auf diesem Weg tötet die Cobra nicht nur andere Schlangen sondern vor allem Vögel und Affen. Und laut Pressetext „ist ein gutes Album wie eine Cobra: Es trifft dich heftig und direkt!“ Mit dem gleichnamigen britischen Sportwagen hat das auf dem prolligen Cover abgebildete Auto allerdings wenig gemein. Egal. Nachdem im Jahre 1990 Kasachstan seine Souveränität innerhalb der UdSSR erklärt hat, emigrieren Sergej Halosin und Arnold Kinzel von dort aus ins gerade wiedervereinigte Deutschland. In Hamburg gestrandet, gründen sie Juri Gagarin und ihr zweites Album „Energia“ verhilft ihnen zum Durchbruch. Nun greift die besagte „Cobra“ an, Friederike „Flicke“ Herr gehört als Texterin und Sängerin inzwischen fest zur Crew – und das zahlt sich aus. Ihr melodischer Gesang gibt den Kosmonauten einen völlig neuen Sound und bereichert den knarzend groovigen C64-Elektro-Pop auf ganzer Linie. Vor allem „Whip“, „Plot“ sowie die erste Single „Wet Dreams“ sind nahezu perfekt für ausgelassene Partynächte. Mit Ashi (Captain Capa) auf dem 80s angehauchten „Flashgold“ an den Vocals, Bratze auf „Take Over“ und der Frittenbude als Edit-Meister bei „Friction“ geben sich auch drei Label-Kollegen die Ehre. Und so kicken die elf Tracks hier in guter alter bratziger Technomanier und laden zum Raumkapselraven ein!
www.myspace.com/jurigagarin
www.jurigagarin.net
www.audiolith.net

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