Montag, 4. Oktober 2010

’Nough Niceness

Ein Interview mit Shantibaba

Zwei der besten Hanfzüchter der Welt haben sich 1996 mit Howard Marks, alias Mr. Nice, zusammengetan, um die Mr.Nice Seedbank zu gründen.
Der eine, Shantibaba, züchtet seit 1980 Cannabis und ist für legendäre Sorten wie die „White Family“ oder „G13“ verantwortlich, die er in seiner Zeit als Besitzer von Greenhouse Seeds entwickelt hat.
Der andere, Neville Shoemaker, ist eine lebende Hanf-Legende. Er gründete in den 1980er Jahren die erste Samenbank weltweit – die Dutch Seed Bank, die von den späteren Besitzern in „Sensi Seed Bank“ umgetauft werden sollte.
Heute arbeiten die beiden Cannabis-Veteranen Hand in Hand an der Entwicklung von CBD-lastigen Varianten für die medizinische Anwendung sowie der Züchtung von Sorten mit den intensivsten Aromen und immer neuen Geschmackserlebnissen.

Ha Jo: Wie, wann und wo hast du angefangen, Cannabisamen zu züchten?

Shantibaba: 1979/80 habe ich den ersten Growraum angelegt, bei dem mein Vater mein Partner war. Das war damals in Melbourne/Australien und hat die gesamte Doppelgarage unseres Hauses in Anspruch genommen. Meine Leidenschaft fürs Growen wuchs und wuchs und allmählich fing dann auch das Experimentieren mit Landrassen, die ich von meinen zahlreichen Auslandsreisen gesammelt hatte, an. So entstanden schon bald neue Samen und Sorten. MULLUMBIMBY MADNESS (Anm. d. Redaktion: Eine legendäre Sorte der 1980er Jahre aus Australien) war eine der ersten Strains, mit denen ich zu tun hatte. Seitdem habe ich diese Samen und spiele auch immer wieder gerne mit ihnen …

Ha Jo: Wie ist dann Mister Nice Seeds entstanden?

Shantibaba: 1996 stand ich einem Mann namens Howard Marks gegenüber, der mich fragte, ob die Möglichkeit bestehe, dass ein alter Haudegen wie er im Namen von „Mr. Nice“ irgendetwas für und mit Cannabissamen tun könne. Nachdem ich sein Buch gelesen hatte, entschied ich mich, dass das der Mann war, der neben Nevil mein Partner sein sollte. Beide sind auf mr.nice.nl aktiv und Teil der Mister Nice Seedbank. Die Firma war und ist in den Niederlanden registriert, nachdem ich die Greenhouse Seed Company 1998 an Arjan verkauft hatte.
In diesem Jahr wurde ich in die Schweiz „abgeworben“, um dort eine Firma für medizinisches Cannnabis zu gründen, da Holland mehr oder weniger eine Art Coffeeshop-Erfahrung darstellte.

 
Ha Jo: Ist Howard an der Zucht und Entwicklung beteiligt?

 Shantibaba: Nein, nur Nevil und ich. Howard vertritt uns sozusagen in der Öffentlichkeit, ist unser Markenzeichen. Natürlich probiert er alles von uns ein paar hundert mal, man kann sagen, er ist insofern beteiligt, als dass er die Sorten in ausgereiften Zustand testet.

Ha Jo: Wie viele Generationen benönigt man durchschnittlich, einen stabilen, neuen Strain zu züchten?

Shantibaba: Wenn alles wie geplant verläuft und die paar hundert Hürden, die es zu überwinden gilt, problemlos genommen werden, kann man es in fünf Generationen schaffen. Indoor sind das zwei Jahre.

Ha Jo: Welche Eigenschaften, abgesehen von der Geduld, zeichnen einen guten Breeder aus?

Shantibaba: Hauptsächlich die richtige Kombination und Auswahl der Sorten, die er ganz alleine treffen muss. Nevil und ich arbeiten immer mit Sorten, die wir wirklich bewundern und als etwas Besonderes betrachten. Man kann es mit dem Bau eines Hauses vergleichen. Wenn der Entwurf vielversprechend aussieht, wird es gebaut. Aber es sind immer noch die Wahl und Kombination der Sorten und das Gespür, die einen guten Hobbybreeder von einem echten Könner unterscheiden.

Ha Jo: Was hältst du von Sorten mit drei, vier oder gar fünf verschiedenen Phänotypen?

Shantibaba: So eine Sorte ist entweder absichtlich so gezüchtet oder unfertig. Manchmal ist es schwer, beide Elternpflanzen im Original zu bekommen, was die Stabilität der jeweiligen Sorte reduziert, bis sie jemand wieder zurückkreuzt. Das wiederum kann eine größere Anzahl möglicher Phänotypen hervorrufen.
Die meisten gekauften Samen, die solche Eigenschaften aufweisen, sind polyhybrid und somit nicht stabil genug selektiert.

Ha Jo: Was hältst Du von feminisierten Samen?

Shantibaba: Wenn man weiß, dass ich für zahlreiche Hanffachzeitschriften weltweit schreibe, ist es einfach, meine Einstellung gegenüber dem Thema „feminisierte Samen“ zu erfahren: Ich glaube, dass MNS der letzte wirkliche Breeder sein wird. Wir betrachten feminisierte Samen nicht als Züchtung, für uns ist es lediglich ein chemisch herbeigeführtes Ereignis, das etwas hervorbringt, was der „Schaukelstuhl-Grower“ verlangt. Es ist schnelles Geld für so genannte Samenbanken, hat aber nichts mit dem Fortbestand oder der Verbesserung irgendeiner Pflanzenart zu tun. Wenn das der einzige Fortschritt in der Zukunft ist, wird in Zukunft eine Art McDonalds die Samenwelt ernähren.

Ha Jo: Das war eindeutig. Als Biologe weisst du auch eine Menge über komplexere Vorgänge der Hanfpflanze. Es gibt eine Menge Gerüchte darüber, wie man Samen feminisiert und wenig Transparenz. Gibt es eine „natürliche“ Methode, feminisierte Samen zu züchten oder benötigt man immer Chemikalien wie Silberthiosulfat?

Shantibaba: Für die Hersteller feminisierter Samen ist es einfacher und zuverlässiger, Chemikalien wie Silberthiosulfat, Gibberellinsäure oder ähnliche Stoffe zu verwenden. In der Natur treten solche Veränderungen nur unter extremen Bedingungen auf, hier jedoch wird das Merkmal der Zwittrigkeit in eine Pflanze „hineingezüchtet“. Ein Merkmal, das die Züchter seit den Anfängen der Cannabiszucht versucht haben, nicht weiterzugeben. Die meisten, inklusive einiger so genannter Samenbanken, die feminisierte Samen produzieren, scheinen nicht wirklich zu verstehen, dass eine zu 100% männliche Pflanze keine lebensfähige Pollen produziert, wenn sie umgepolt wird. Deshalb neigen feminisierte Samen häufiger zum Zwittern. Für so etwas stehen wir nicht, und es dient auch nicht der Verbesserung der Eigenschaften eines Strains. Deshalb ist es in meinen Augen keine gute Alternative für die Zukunft der Samenzucht. Auch wir bieten Lösungen für Grower an, die auf begrenztem Raum anbauen müssen und/oder nur nur blühende Pflanzen haben wollen. Es handelt sich nicht um etwas, wofür man Geschick oder Erfahrung braucht, eher um einen neuen, kommerziellen Trend für Firmen und das schnelle Geld. Es geht hier nicht um Sortenvielfalt.

Ha Jo: An welchem Projekt/welchem Strain arbeitest du gerade?

Shantibaba: Eine kleine Gruppe gleich gesinnter Wissenschaftlter und ich waren die vergangenen beiden Jahre damit beschäftigt, einen Sorte mit medizinischen Eigenschaften zu entwickeln. Man nennt uns die „CBD-Crew“ und wir werden im Oktober in London mit unserem Projekt an die Öffentlichkeit gehen. Aus diesem besonderen Anlass ist die Mr.Nice Seedbank zum ersten Mal eine Kooperation mit einer anderen Samenbank sowie verschiedenen anderen Firmen eingegangen. Obwohl oder gerade weil wir wissen, dass es in diesem Geschäft keine oder wenig Regularien, Standards oder Normen gibt, versuchen wir eine Art Grundregelwerk zu erarbeiten, die eine Sorte erfüllen muss, um sich „medizinisch“ nennen zu dürfen. Unsere erste Sorte wird „The Remedy“ heißen.
Außerdem sind Neville und ich dabei, zusammen mit den Mr.Nice Forum-Mitgliedern einen neuen Haze-Hybriden, den wir „The Holy Grail“ getauft haben, zu entwickeln. Auch das ist durch den weltweiten Support der Growergemeinde im Internet sehr aufregend.

Ha Jo: „The Remedy“ enthält dann also die gleiche Wirkstoffkombination wie Sativex, ist nur billiger?

Shantibaba: Ohne vor unserer Presseerklärung zuviel vorweg zu nehmen: Es soll für Home- und Medical-Grower zugänglich und erschwinglich sein und auch das Potential von Sativex haben, wie wir hoffen. Im Unterschied zu Sativex kann es ohne Vorurteile und finanzielle Hürden von denen angebaut, kontrolliert und angewendet werden, die eine Alternative zu Fertigpräparaten der Pharma-Unternehmen suchen. Man könnte sagen, der Patient wird in der Lage sein, eine Pflanze zu wählen oder gar (mit) zu entwickeln, die den speziellen Ansprüchen seines Krankheitsbildes gerecht wird, und zudem in Bio-Qualität gekauft und gezüchtet werden kann.

Ha Jo: In den meisten EU-Ländern sind nur synthetische oder halbsynthetische Cannabinoide zur medizinischen Behandlung zugelassen, pflanzliches Cannabis ist also immer noch illegal.
In Kalifornien, den Niederlanden oder Kanada helfen auch einige deiner Sorten, das Leid von Kranken legal zu lindern. Was muss passieren, damit Du Deinen ersten Samen verkaufen kannst, den ein Patient in Ländern wie Großbritannien, Deutschland oder der Schweiz legal anbauen kann?

Shantibaba: Wie bei allen Produkten müssen Daten gesammelt werden, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und Versuchsreihen an Freiwilligen durchgeführt werden.
Aber um ehrlich zu sein: In einer botanisch genormtem Welt existieren wir doch momentan gar nicht, praktisch werden wir irgendwo anfangen und die direkte Zusammenarbeit mit denen suchen, die am Programm teilnehmen wollen.

Ha Jo: In den 1990er Jahren wollte jeder möglichst hohe THC-Werte haben. Worauf achtest Du heute, wenn Du einen Strain für den/die Genießer/in kreierst? 

Shantibaba: Mittlerweile geht es mir viel mehr um den Geschmack und das Aroma. Wie ich feststellen musste, hat meine eigene Entwicklung der 1990er Jahre, die „White Family“, später sogar eher gegen mich gearbeitet. Ein hoher THC-Gehalt birgt Gefahren, manches Gras ist einfach zu stark für viele Nutzer. Stärker heisst nicht immer besser, verschiedene Geschmäcker und unterschiedliche Aromen hingegen schon.

Ha Jo: Seit ein paar Jahren ist es selbst für erfahrene Grower schwer, bei der explosionsartigen Entwicklung auf dem Samenmarkt den Überblick zu wahren. Es gibt auch ein paar schwarze Schafe, die dem ambitionierten Breeder oder Grower das Leben schwer machen. Mal angenommen, es wäre überhaupt irgendwie möglich: Sollte es Deiner Meinung nach eine Art Regelwerk für Züchter geben, so wie ein Copyright für Strains? Inklusive mehr Transparenz bezüglich des Zuchtvorgangs, natürlich ohne die „wahren“ Geheimnisse preiszugeben? Dann könnte niemand mehr einen F2 als F5 deklarieren oder Sorten „klauen“ Oder gar MNS-Samen feminisieren?

Shantibaba: Ich habe versucht, eine Gewerkschaft für Samenhersteller zu gründen, indem ich verschiedene Samenfirmen an eine Art runden Tisch eingeladen habe. Aber es ist eine seltsame Industrie mit noch seltsameren Leuten im Hintergrund. Es steht eine Menge auf dem Spiel, es gab auch für einige echt negative Entwicklungen und Ereignisse. Auch tun alle so, als handle es sich beim Breeden um irgendein großes Geheimnis (vielleicht weil sie die Ursprünge nicht mehr kennen), was es in Wirklichkeit gar nicht ist. Bei uns kann man nicht nur die Sorte, sondern auch deren Entwicklung zurückverfolgen. Wir wollen Growern helfen anstatt sie zu hemmen. Wir wissen, wo unserer Samen herkommen, weil wir dorthin gereist sind, wo sie herkommen. Das unterscheidet uns.

Ha Jo: Die Gerüchte über Gen-manipuliertes Gras werden wohl nie aufhören. Kannst Du uns als Züchter bestätigen, was wir eigentlich schon zu wissen glauben: Es handelt sich um ein Gerücht, hohe THC-Gehalte sind ausschließlich auf natürliche Selektion zurückzuführen?

Shantibaba: Es gibt bis heute weder Hinweise auf Gen-manipuliertes Gras noch sind Bemühungen in dieser Hinsicht für die Zukunft bekannt. Alle Eigenschaften sind auf natürliche Auslese zurückzuführen. Das einzige, was der Mensch gemacht hat, ist, spezielle Ereignisse in der Natur zu nutzen, Landrassen in einem Indoor Raum zu kreuzen, die es aufgrund der Entfernung voneinander in der Natur nicht gegeben hätte. Keiner modifiziert die Gene der Hanfpflanze, Hanf ist so schon eine gewinnbringende Pflanze, wieso sollte man das also tun? Hohe oder niedrige THC-Werte können im selben Feld der gleiche Sorte auftreten und hängen von vielen Faktoren wie zum Beispiel Klima, Stress oder Lichtintensität ab. Die einzige chemische Manipulation tritt bei der Herstellung feminisierter Samen auf: Die Chemikalien dienen als Katalysator, sogar die selbst blühenden Sorten sind ein natürliches Phänomen und können, verglichen mit der chemischen Behandlung bei der Feminsierung, einfach gezüchtet werden.

Ha Jo: Bitte vervollständige die beiden folgenden Sätze:
Ich bin stolz, dass …

Shantibaba: … die Mister Nice Seedbank ihrer ursprünglichen Philosophie und Praxis treu bleibt: Der Produktion von hochqualitativen Pflanzen, um der weltweiten Growergemeinde weiterzuhelfen. Und natürlich darauf, dass ich mit Neville, Howard und einer Gemeinschaft von exzellenten und ambitionierten Growern weltweit zusammenarbeiten darf.

Ha Jo: Ich mag nicht, dass …

Shantibaba: … Politik, Liebe oder Religion mit hineingezogen werden, wenn es um eine Bewertung einer Pflanze geht, die schon lange da war, bevor es solche Dinge oder gar Menschen gab.

Ha Jo: Vielen Dank für das Interview, alles Gute und pass auf Dich auf.

Shantibaba: Grüße an die deutschen Grower, see you …

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