Mittwoch, 24. November 2010

Knapp daneben

Graslos in L.A.: Geldbußen statt Coffeeshops

Jetzt ist es amtlich, die Initiative zur Regulierung von Cannabis in Kalifornien ist knapp gescheitert. 53,7 Prozent der Wählerinnen lehnten die kontrollierte Abgabe unter strengen Jugendschutzauflagen kategorisch ab, 46,3 Prozent stimmten für sie. Um so trauriger, da die Befürworter bis kurz vor der Abstimmung in Meinungsumfragen meist knapp vorne lagen.

Alles schien logisch: Die Kalifornier, die den USA vor fast 15 Jahren das erste Gesetz zu Cannabis als Medizin beschert haben, würden auch die sein, die das gescheiterte Experiment „Hanfverbot“ beendeten. Dann kamen die Anzeigenkampagnen, Werbespots und Fernsehauftritte besorgter Eltern, Klerikaler, konservativer Politiker und am Verbot interessierter Lobbyisten. Die taten daraufhin, was in den USA im Wahlkampf üblich ist, wenn eine Niederlage droht: Sie hörten auf, Argumente auszutauschen und starteten eine Schmutzkampagne gegen Cannabis.

Auf einmal waren dort, wo Gegner und Befürworter seit Jahren sachlich miteinander reden, Dinge über Cannabis zu lesen, zu sehen und zu hören, die eigentlich längst der Vergangenheit angehört hatten. Horror-Stories über kiffende Kinder, unzurechnungsfähige Fahrer oder arbeitsunfähige Arbeitnehmer sollten Angst und somit Stimmung gegen Proposition 19 erzeugen. Doch leider gab es auch unter den Cannabis-Befürwortern nicht wenige, die die Initiative ablehnten. Denn seit einigen Jahren ist Kalifornien der Wilde Westen in Sachen Hanf:

„Zur Zeit kannst du auf den Straßen von San Franzisco so viel kiffen wie du willst. Wäre Prop 19 durchgekommen, wäre Gras wie Schnaps behandelt worden und das Rauchen auf der Straße unmöglich gemacht“ sagte der 20jährige Student Rick Kaufmann kurz nach der Abstimmung: „Die meisten Kiffer haben wohl aus Prinzip mit „Ja“ gestimmt, aber ich glaube auch wir sind so besser dran.“

Auch aus Growerkreisen gab es nicht nur Zuspruch für die Proposition 19. Die vergangenen 14 Jahre haben so manchen „Medical-Grower“ unter halb-legalen Umständen ein einträgliches Auskommen beschert, steuerfrei versteht sich. Gewinnorientierte Unternehmungen denken heutzutage oft nicht mehr langfristig. So war die „Tax & Regulate“ Taktik der Befürworter nicht gerade wenigen Growern mit Lizenz ein Dorn im Auge. Im Emerald Dreieck, den drei kalifornischen Counties (Landkreisen) Mendocino, Humboldt, and Trinity, ist Cannabis sogar das wichtigste Agrarprodukt. Aber gerade hier regt sich Widerstand gegen die regulierte Abgabe von Gras. Dort, wo sich einst stadtmüde Hippies niederließen, hat sich in den vergangen 40 Jahren eine Cannabis-Kultur entwickelt, die angesichts der andauernden Illegalität eigentlich unvorstellbar ist, haben doch die Einwohner dieser drei Landkreise gemacht, wovon andere träumen: Sie haben die Prohibition überwuchert und einen offenen Schwarzmarkt geschaffen- they‘ve overgrown the government.
Die Guerilla-Farmer im Emerald-Dreieck fürchten nun, bei einer staatlichen Regulierung des Cannabismarktes langfristig von großen Konzernen aus dem Markt gedrängt zu werden. So stimmten in Mendocino und Humboldt 53,3% mit Nein, in Trinity waren es sogar 59%.
Auch Gouverneur Schwarzenegger konnte mit seinem Schachzug, kurz vor der Abstimmung noch ein Gesetz zur Entkriminalisierung des Besitzes von bis zu 28,5 Gramm zu unterschreiben, die Unentschlossenen zum „No“ bewegen, denen es reicht, einfach ungestraft kiffen zu können.
So wurde aus einem einst deutlichen Vorsprung eine knappe Niederlage. Ob die Initiative wie angekündigt in zwei Jahren wieder eingebracht werden kann, steht noch in den Sternen, aber im Nachbarstaat Colorado arbeitet eine Aktivistengruppe um Mason Tvert von SAFER bereits an einem ähnlichen Projekt für 2012. Dann stehen dort Volksabstimmungen an, zu denen auch eine Tax & Regulate Initiative gehören könnte.

Trotz der Niederlage hat „Prop 19“ für weltweites Aufsehen gesorgt und gezeigt, dass die fehlenden drei Prozent eine Frage der Zeit sind. Eine genaue Analyse des Wahlergebnisses hat bestätigt, was viele bereits vermutet haben: Die Hanf-Gegner sterben ganz langsam aus.
Auch hat die Abstimmung die unerträgliche Situation deutscher Hanfliebhaber, angesichts paradiesischer Zustände im Mutterland des Hanfverbots, mancher/m wieder ins Gedächtnis gerufen. Denn selbst von einem Verbot im kalifornischen Sinne können wir hier momentan nur träumen. Sollte die Regulierung von Hanfblüten wirklich einmal auf der bundesdeutschen Tagesordnung stehen, muss das Beispiel Kalifornien eines verdeutlicht haben: Wer um knappe Mehrheiten kämpft, sollte Grabenkämpfe tunlichst vermeiden.
Hätten in Kalifornien alle „Stoner“, die zur Abstimmung gegangen sind, mit „Ja“ gestimmt, stünde die Prohibition jetzt in den gesamten USA auf wackligen Beinen.

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