Donnerstag, 8. Dezember 2011

Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat

Die Zaunwinde

Steckbrief

Calystegia sepium (L.) R. BR.
Familie:
Convolvulaceae (Windengewächse)

Synonyme:

Convolvulus sepium L., Volvulus sepium BECK

Trivialnamen:

campanette (frz.), correguela mayor (span.), Echte Zaunwinde, False bindweed (engl.), Gærde-snerle (fin.), Gemeine Zaunwinde, Gewöhnliche Zaunwinde, grand liseron (frz.), grande vrillée (frz.), haagwinde (niederl.), hedge bindweed (engl.), heggerank (niederl.), liseron des haies (frz.), manchette de la vierge (frz.), Morningglory (engl.), trepadeira-das-balças (pt.), Ufer-Zaunwinde, vilucchio bianco (ital.), Zaunwinde

Vorkommen:

Die Zaunwinde kommt weltweit in den gemäßigten Zonen vor. Zumeist am Waldrand und in Hecken und Gebüschen, an Zäunen und Wegen, Auwäldern, im Röhricht und in Gärten.

Die Zaunwinde ist eine der eher unbekannten psychoaktiven Pflanzen. Zusammen mit einer Verwandten, der Ackerwinde (Convolvulus arvensis, siehe nächste Folge dieser Reihe), bildet die Zaunwinde eine der merkwürdigen Ausnahmen im Reich der Entheo- und Ethnobotanika: Beide Pflanzen enthalten nämlich einen Wirkstoffkomplex, der sonst in Pflanzen einer ganz anderen Familie vorkommt und nachweisbar ist: die Tropanalkaloide. Die sind aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) bekannt, kommen beispielsweise im Stechapfel, der Tollkirsche, dem Bilsenkraut, der Alraune und anderen Vertretern der Nachtschattengewächse vor.
mit der Zaun- und auch der Ackerwinde haben wir zwei Gewächse aus einer völlig anderen Pflanzenfamilie, und zwar aus der Familie der Windengewächse (Convolvulaceae). Dabei sind die Tropanalkaloide in der Zaunwinde ohne Begleitung anderer toxischer Wirkstoffe anwesend, nicht einmal die für die Winden bekannten Mutterkornalkaloide waren bisher in der Pflanze aufzuspüren. Die Ackerwinde hingegen beherbergt im Schlepptau eben jene Ergotamine und zudem noch herzwirksame Glykoside, was eine Einnahme der Pflanze zum lebensgefährlichen Experiment werden lässt. Schauen wir uns heute die Zaunwinde etwas genauer an.

Botanik

Ein bis drei Meter hohe bzw. lange Winde mit einzelnen weißen, drei bis fünf Zentimeter breiten, in den oberen Blattachseln stehenden Blüten. Der Stiel wächst zumeist windend. Die Blätter sind vier bis zwölf Zentimeter lang, zwei bis sechs Zentimeter breit und herzförmig. Blütezeit ist von Juni bis Oktober. Die Zaunwinde trägt eine kapselförmige Frucht.

Exkurs:

Es existieren noch andere Calystegia-Arten der Gattung, hier eine Auswahl der wichtigsten:
Calystegia atriplicifolia HALLIER. f. (Night-blooming False Bindweed, Night-blooming Morning-glory), Calystegia occidentalis (GRAY) BRUMMIT (Chaparral False Bindweed), Calystegia pellita (LEDEB.) DON. (Hairy False Bindweed, California Rose), Calystegia pulchra BRUMMIT et HEYWOOD (Schöne Zaunwinde), Calystegia purpurata (GREENE) BRUMMIT, Calystegia silvatica (KIT.) GRISEB. (Synonyma: Calystegia silvaticus (Waldst.); Waldwinde, Wald-Zaunwinde, Large Bindweed), Calystegia soldanella (L.) R. BR. ex RÖMER et J.A. SCHULTES (Strand-Zaunwinde), Calystegia spithamaeus L. (Low bindweed), Calystegia wallichianus (SPRENG.)

Wirkstoffe

Calystegia sepium enthält die Calystegine (Nortropanalkaloide) Calystegin A3, Calystegin A5, Calystegin B1, Calystegin B2 und 2,7-Dihydroxynortropan.

Geschichte

Die Zaunwinde ist eine beliebte Futterpflanze für Tiere. Medizinisch ist sie ein seit Urzeiten geschätztes, aber nicht besonders wirkungsvolles Abführmittel – ebenso ihre beiden Verwandten Calystegia silvatica und Calystegia soldanella.
Verantwortlich für die abführenden Effekte sind die glykosidhaltigen Harze in den Wurzeln und Blättern. Arabische Ärzte bereiteten zur Behandlung von Gelbsucht Zaunwindendekokte.
Christian Rätschs Enzyklopädie vermerkt Folgendes: „Das tropische Windengewächs Calystegia sepium wird oftmals mit der Holzrose (Argyreia) verwechselt; die Samen von Calystegia scheinen ebenfalls psychoaktive Wirkstoffe zu enthalten.“ (RÄTSCH 1998: 65). Und weiter: „In der Zaunwinde Calystegia sepium (L.) R.BR. (…) sind (…) Tropanalkaloide nachgewiesen worden (GOLDMANN et al. 1990)“ (RÄTSCH 1998: 868).
Die psychoaktiven Calystegine wurden 1988 aus Calystegia sepium isoliert (TEPFER et al. 1988). Zunächst nahm man an, dass diese Verbindungen als Wachstumsförderer von Bakterien der Rhizosphäre wirken (GOLDMANN et al. 1990).
Zu den Calysteginen: „Calystegine sind polyhydroxylierte Nortropanalkaloide. Sie werden entsprechend ihrem Hydroxylierungsgrad in die Gruppe der A-Calystegine (3 Hydroxylgruppen), B-Calystegine (4 Hydroxylgruppen) und C-Calystegine (5 Hydroxylgruppen) eingeteilt. Insgesamt wurden (..) 14 Calystegine isoliert (…)“ (SICHHART 2003).
Aus der Forschung an Calysteginen stammt eine, gerade für die Psychoaktiva-Forschung interessante Erkenntnis: „Calystegine kommen in Solanaceae vor, z. B. in (…) Atropa belladonna, Hyoscyamus niger, Datura stramonium (…) und in manchen Convolvulaceae (…), [z. B.] in Calystegia sepium. (…) Solanaceae, von denen früher angenommen wurde, dass sie keine Tropanalkaloide produzieren, z. B. Kartoffel und Tomate, enthalten auch Calystegine.“ (DRÄGER o. J.)

Verwendung

Über eine traditionelle psychoaktive Verwendung ist nichts bekannt. Zaunwinden werden in psychonautischen Kreisen (eher selten bis gar nicht) geraucht bzw. Rauchmischungen beigemischt.

Wirkung

Die psychotrope Wirkung der tropanalkaloidhaltigen Zaunwinde entspricht in etwa der, die Datura stramonium (Stechapfel) oder Atropa belladonna (Tollkirsche) zu induzieren vermögen. Vor Experimenten sei allerdings aufgrund mangelnder Erforschung eindringlichst gewarnt.

Gefahren, Nebenwirkungen

Calystegia sepium und die verwandten Calystegia-Spezies sind laut toxikologischer Literatur leicht giftig. Die Pflanze hat leicht laxierende (= abführende) Wirkung. Über Vergiftungsunfälle im Zusammenhang mit der Zaunwinde ist bislang nichts bekannt.

Rechtslage

Die Zaunwinde unterliegt keinen Bestimmungen.

Literatur:

Berger, Markus (2004) . Stechapfel und Engelstrompete, Solothurn: Nachtschatten Verlag
Goldmann, Arlette et al. (1990). Tropane Derivatives from Calystegia sepium, Phytochemistry 29(7): 2125-2127
Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag
Todd, G. Fred et al. (1995), Tropane Alkaloids and Toxicity of Convolvulus arvensis, Phytochemistry 39: 301-303

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