Donnerstag, 5. Januar 2012

Der, die oder das Cannabis?

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Warum vertraute Vorstellungen hartnäckig sind

Die Irrtümer über Cannabis und die Cannabinoide fangen bereits bei den Definitionen an. Weit verbreitet ist beispielsweise die Auffassung, Dronabinol sei synthetisches THC. Richtig ist jedoch, dass Dronabinol ein natürliches Cannabinoid der Hanfpflanze ist, nämlich das einzige Isomer des Delta-9-THC, das natürlicherweise vorkommt, das (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol.
Der Irrtum ist leicht erklärbar. In den achtziger Jahren ließen die amerikanischen Zulassungsbehörden nur synthetisch hergestelltes Dronabinol zu therapeutischen Zwecken zu. Daher enthält das Medikament Marinol, das 1985 in den USA zugelassen wurde und 1987 auf den Markt kam, vollsynthetisch hergestelltes Dronabinol. Die Definition von Dronabinol stammt von der Weltgesundheitsorganisation, die auch alle anderen internationalen Freinamen („generic names“) definiert.
Insbesondere viele amerikanische Wissenschaftler denken auch heute noch, Dronabinol sei synthetisches THC, und es klingt für viele andere sehr ungewohnt, wenn jemand ganz korrekt feststellt, dass eine bestimmte Cannabissorte des Unternehmens Bedrocan in den Niederlanden 18 Prozent Dronabinol enthält. Es gibt zwei Gruppen, die sich so an diesem Irrtum gewöhnt haben, dass sie ihn am liebsten beibehalten möchten. Zum einen die, die synthetisches THC als Medikament akzeptieren, aber nichts mit Cannabis zu tun haben wollen. Zum anderen die, die synthetisches THC ablehnen, aber von Cannabis begeistert sind. Die einen behaupten Cannabis sei gefährlich, weil man die Konzentration aller Inhaltsstoffe nicht genau bestimmen könne, und daher besser genau definiertes THC medizinisch verwendet werden sollte. Dabei wird vergessen, dass die anderen Inhaltsstoffe (andere Cannabinoide, ätherische Öle, Flavonoide, Zucker, Aminosäuren, etc.) meistens nur in sehr geringen Mengen vorkommen und als gesundheitlich unbedenklich gelten. Die anderen behaupten, Cannabis sei besser als THC, weil Cannabis weitere Wirkstoffe enthalte, die zur Gesamtwertung beitragen. Das ist zwar richtig. Andererseits wird die Cannabiswirkung vor allem durch THC bestimmt. Ohne THC ist die pharmakologische Wirkung von Cannabis schwach und nicht stärker als die von beliebten Kräutertees, wie man am Faserhanf feststellen kann.
Nun zu einer völlig unideologischen Frage: Ist Cannabis in der deutschen Sprache männlich, weiblich oder sächlich?
In der französischen Sprache ist Cannabis männlich (le cannabis) genauso wie der Hanf (le chanvre). Auch in vielen anderen Sprachen ist Cannabis männlich: „der Cannabis“. In einem Artikel in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift aus dem Jahr 1890 über die Verwendung von Cannabis bei Magendarmerkrankungen heißt es allerdings: „Die Cannabis ist von constanter Wirkung zur Beseitigung der Schmerzempfindungen und zur Wiederherstellung des Appetits, unter welchen Verhältnissen auch die Schmerzen und die Appetitlosigkeit auftreten mögen. (…) Auf die örtlich entfernteren Erscheinungen, wie der Schwindel, die Migräne, die Schlaflosigkeit, das Herzklopfen und selbst die Dyspnoe [Atemnot] scheint die Cannabis vorteilhaft einzuwirken; es gelingt oft sogar, diese peinlichen Zufälle zum Verschwinden zu bringen. (…) Kurz die Cannabis ist das wirkliche Sedativum des Magens ohne irgend eine der Unzuträglichkeiten der Narcotica, wie des Opiums und des Chlorals, der Absorbentien, wie des Wismuths, der allgemeinen Sedativa, wie des Bromkaliums, der schmerzvertreibenden Mittel, wie des Antipyrins, die sämtlich unterschiedslos schädliche Wirkungen auf den Verdauungscanal ausüben.“ Offensichtlich galt Cannabis zu dieser Zeit als weiblich: „die Cannabis“.
Heute wird im deutschen die sächliche Form verwendet. Sowohl in offiziellen Schreiben der Bundesopiumstelle als auch in Zeitungen aus der Cannabisszene heißt es „das Cannabis“.
Ich habe allerdings gelernt, dass das, was alle über Cannabis oder Cannabinoide sagen, nicht unbedingt korrekt sein muss. Vor etwa fünf Jahren habe ich daher die Stelle konsultiert, die in Deutschland für die Grammatik zuständig ist, den Duden. Nach dem Duden ist Cannabis männlich, sowie der Hanf. Ich habe eine Woche später noch einmal die Internetseite des Dudens besucht. Vielleicht hatte ich mich ja getäuscht. Nein, Cannabis war immer noch männlich. Ich habe etwa zwei Jahre benötigt, um mich umzugewöhnen und beim Schreiben der IACM-Informationen nicht gelegentlich spontan in die gewohnte sächliche Form zurückzufallen.
Ich musste feststellen, dass es nicht so einfach ist, eingefahrene Vorstellungen über Cannabis zu überwinden, auch wenn es sich „nur“ um eine grammatikalische Frage handelte. Das hat mich nachsichtiger gegenüber Personen gemacht, die Probleme haben, lieb gewonnene Auffassungen über den Cannabis in einem neuen Licht zu sehen. Das braucht oft viel Zeit, leider.

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