Montag, 5. März 2012

Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat

Nachbetrachtung und Schlussbemerkung

In meiner kleinen Serie „Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat“ haben wir nun über ein Jahr Monat für Monat interessante Gewächse kennengelernt, die in unseren Gefilden heimisch sind und zu den Rausch- und Ritualpflanzen gehören. Die meisten dieser Pflanzen sind uralte Psychoaktiva, die allerdings heutzutage längst in Vergessenheit geraten sind. Das liegt am Umstand, dass Schamanentum und Ethnomedizin in unseren Breitengraden so gut wie ausgerottet sind und der Gebrauch von Drogen verteufelt wird – und das in einer Gesellschaft, die nur mit Drogen funktioniert, mit den legalen eben. Mit dem Schwinden des Wissens um die alten Schamanenpflanzen und um die Naturheilkunde und damit um die psychoaktiven Gewächse, ist auch das Wissen um deren Anwendung weitgehend aus dem Kollektivbewusstsein verschwunden. Die unsachgemäße Verwendung mächtiger Pflanzenentheogene ist dabei mitunter außerordentlich gefährlich, weil es sich in einigen Fällen um hochpotente Toxinträger handelt. Um Giftpflanzen also. (Man beachte, dass die meisten der tatsächlich schädlichen und extrem giftigen Pflanzen vom Betäubungsmittelgesetz gar nicht beachtet werden.)

Zum Abschluss der Reihe möchte ich euch deshalb mahnend und exemplarisch einen Erfahrungsbericht mitgeben, der sich um Nachtschattengewächse dreht und der mir von einem mittlerweile sehr erfahrenen Psychonauten zugespielt wurde. Und damit verabschiede ich mich von euch, zumindest für diese Serie. Danke fürs Lesen! Passt immer gut auf euch auf, gerade im Umgang mit unbekannten Pflanzen und Substanzen. Und nun geht’s los mit dem Bioassay. Nicht zum Nachahmen!

An einem Sonntag im Sommer 1994 wachte ich morgens mit einem guten Gefühl auf. Dieser Tag sollte mir einiges an Erfahrungen bescheren – ich mochte endlich mein erstes Experiment mit einem Nachtschattengewächs durchführen. Wochenlang hatte ich mich durch Lesen vorbereitet. Drogenliteratur hatte ich seit 1990 schon massig angesammelt. Mit meinem damaligen psychedelischen Weggefährten, nennen wir ihn P., sammelte ich einige Tage zuvor im Wald Tollkirschenblätter und -beeren sowie Blätter und Früchte der Datura stramonium. Da wir vor den Atropa-Beeren noch einige Furcht hatten, so wie wir im Allgemeinen die Tollkirsche für gefährlicher als den Stechapfel hielten, bereiteten wir uns also am Nachmittag dieses wunderschönen Sonntags zunächst eine Mischung aus vier Gramm Haschisch, etwas Tabak und 16 getrockneten Daturablättern. Um erst mal einen Anfang zu finden und um in etwa abschätzen zu können, wie die Inhaltsstoffe des Gewächses wirken. Jeder rauchte zu Beginn zwei Wasserpfeifen der Kombination. Die Effekte der Mixtur waren von denen einer normalen Cannabis-Rauchmischung deutlich different. Der Geschmack des gerauchten Stechapfels erinnerte mich unwillkürlich und immer wieder an den von gerauchten Cocablättern. Später erfuhr ich durch Recherche in meiner Bibliothek, dass Cocain und die Tropanalkaloide der Nachtschattengewächse eng mieteinander verwandte Verbindungen sind. Die schon vom Hanf bekannte Mundtrockenheit wurde vom Stechapfelgenuss bis ans Limit des Erträglichen maximiert, mein Rachen und Hals kamen mir vor, als hätte ich eine Ladung halbgetrockneten Flüssigklebers verzehrt. Ein komischer Vergleich, aber passend. Schlucken war mir fast nicht mehr möglich, auch ein extra bereitgestelltes kühles Limonadengetränk konnte niemals mehr als zwei bis vier Sekunden Linderung verschaffen. Allerdings war der psychische Effekt für mich sehr angenehm, obgleich meine sowieso schon immanent vorhandene Verwirrtheit sich durch die Tropanalkaloide noch verstärkte. Blieb ich aber mit geschlossenen Augen und im Zustand der Versunkenheit still im Sessel sitzen, so eröffnete sich mir ein bunter Reigen der Glücksgefühle und Gedanken. Die Wirkung hielt für etwa eine Stunde die anfängliche Intensität, flachte dann aber relativ schnell ab und war nach drei Stunden gänzlich verschwunden. Nun war es zum Glück erst später Mittag, wenn ich mich recht entsinne, gegen 14.30 Uhr. „Der Tag ist noch lang“, dachte ich bei mir und schielte schon ständig auf die noch verfügbaren, wunderschön stacheligen Datura-Früchte und ihren wertvollen Inhalt, die Samen. „Lass uns die Samen auch probieren“, sagte ich zu Roman, „aber vielleicht auch erstmal geraucht“. So bereiteten wir eine weitere Mischung, diesmal aus etwa 2 Gramm Shit, Tabak und zehn getrockneten Daturasamen. Das Rauchen dieser Mischung induzierte allerdings keine weiteren Wirkungen, außer denen des Tabaks und des THC.

Ziemlich enttäuscht und ebenso draufgängerisch beschlossen wir nun, die Samen auf oralem Wege zu uns zu nehmen. Jeder erhielt fünfzehn frische Stechapfelsamen, ein – wie ich heute finde – völlig hirnloses Unterfangen, wussten wir ja nicht viel bis gar nichts über die Potenz, also den Wirkstoffgehalt der Samen. So hackten wir also das Samenmaterial so gut es ging in Stückchen und spülten die Brösel mit Pfefferminztee hinunter. In den folgenden zwei Stunden unterhielten wir uns über die erlebte Wirkung der gerauchten Daturablätter, die uns beide gleichermaßen begeistert hatte, kifften unser Dope und warteten auf die Effekte der eingenommenen Samen. Und es blieb beim Warten. Außer der bei uns durch ständigen Konsum bedingten chronischen Cannabinoidwirkung, verspürten wir beide keinerlei sonstige psychische Veränderung. Im Nachhinein entschied ich, während des nächsten Experiments mit Stechapfelsamen auf den Konsum von anderen Entheogenen, auch auf das vorherige Rauchen von Daturablättern, zu verzichten. Die Einnahme von fünfzehn uns bisher unbekannten, in freier Wildbahn gesammelten Datura-stramonium-Samen darf man als äußerst unbedarft, unerfahren, ignorant und dumm bezeichnen. Mit psychonautischer Neugier hat das meines Erachtens nicht viel zu tun und so war ich froh, dass niemandem etwas passiert ist und machte mir zum Vorsatz, derartige Versuche künftig zu Beginn mit wesentlich niedrigeren Dosierungen durchzuführen.

Zur Erklärung des Hintergrundes: Zwar hatte ich, wie erwähnt, zuvor sehr viel über die Solanaceen gelesen, so wie ich es immer vor Selbstversuchen mit fremden Substanzen tat, allerdings törnte mich die Aktivität der gerauchten Blätter so sehr an, dass ich auf Teufel komm raus unbedingt die stärkere Wirkung der Samen erleben wollte. Jegliches Verantworungsbewusstsein und jede Vernunft schien mich zu diesem Zeitpunkt verlassen zu haben. Mein Freund P. verhielt sich in puncto psychoaktive Gewächse künftig sehr reserviert und probierte in der Hauptsache nur noch solche, deren relative körperliche Ungefährlichkeit bekannt war, z. B. Psilocybinpilze. Ich selbst habe noch oft erfolgreich und sinnbringend mit den Samen experimentiert, allerdings sehr, sehr vorsichtig.
Die Einnahme von fünf frischen Samen der Datura stramonium induzierte, bis auf ein kaum spürbares Schwindelgefühl keine Effekte.

Ein Versuch mit sieben Samen derselben Pflanze und Frucht hatte ein gleiches Ergebnis zur Folge.
Nach dem Genuß von neun bzw. zehn Daturasamen stellte sich ein eindeutiges High verbunden mit der schon vom Rauchen der Blätter bekannten Mund- und Rachentrockenheit ein. Ich war ein wenig benommen und hatte leichte Koordinationsprobleme. Der schwache Rausch klang nach etwa drei Stunden relativ schnell und angenehm ab. Ich begriff zuerst nicht recht, wieso neun und zehn Samen in beiden Versuchen eindeutige psychoaktive Wirkung verursachten, die fünfzehn Samen beim Experiment mit P. aber keine Effekte zur Folge hatten. Ich kann mir diesen Umstand nur anhand zweier Parameter veranschaulichen und erklären:
Der übermäßige Konsum verschiedenster Psychedelika vor, während und nach dem Stechapfelsamen-Bioassay (am Tag zuvor hatte ich sowohl MDMA als auch LSD zu mir genommen, Haschisch bzw. Marihuana rauchten wir sowieso unablässig).
Set und Setting stimmten nicht. Während ich, bedingt durch meine ständige theoretische Beschäftigung mit den psychoaktiven Drogen, eine zu große Erwartungshaltung entwickelt hatte, war P. eher unsicher und etwas geängstigt. Zudem hatten wir uns nicht, wie sonst, die Umgebung entsprechend vorbereitet, sondern handelten eher vorschnell und spontan.

Durch die vielen Experimente relativ erfahren, führte ich in den folgenden Jahren eine ganze Reihe gut vorbereiteter Bioassays mit Samen der Datura stramonium und Datura metel durch. Fünfzehn bis zwanzig Samen können nach meiner Erfahrung heftigste, mitunter delirienartige Intoxikationen zur Folge haben, deren Symptomatik von psychedelisch, stark visionär und halluzinogen bis körperlich unangenehm und geistig verwirrend reicht. Dabei ist die Wirkung nicht zu unterscheiden, von der durch Datura-Blattwerk oder -Blüten induzierten. Bezogen auf die vordergründig symptomatische Art des Rausches, spielt es meiner Ansicht nach keine Rolle, ob Pflanzenmaterial geraucht, gegessen oder in Form eines Auszuges getrunken wird. Echte Halluzinationen allerdings, hatte ich nach dem Rauchen von Solanaceen niemals.

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