Mittwoch, 7. März 2012

Cannabis Eine medizinische Zeitreise

Medizinisches Marihuana schreibt Geschichte, die fast 5000 Jahre zurückliegt

2737 vor unserer Zeitrechnung veröffentlichte der chinesische Kaiser Shen Nung das Pen Tsào, ein Handbuch zur Kräuterheilkunde.

Der Legende nach fungierte er selbst als Versuchskaninchen, indem er täglich nicht weniger als 70 verschiedene Kräuter zu sich nahm – die Entdeckung von Ginseng, Ephedra und koffeinhaltigem Tee wird ihm zugeschrieben. Das Pen Tsáo, welches im Wandel der Zeiten bestand, empfiehlt Cannabis gegen mehr als 100 Beschwerden, wie Darmträgheit und Verstopfung, Rheuma, Menstruationsbeschwerden und –krämpfe sowie Geistesabwesenheit und Zerstreutheit. Es gilt als der erste schriftliche Beleg von Cannabis als Arzneimittel in der Geschichte.

Das Kraut breitete sich südlich nach Indien und westlich Richtung mittleren Osten aus, sowie auch seine medizinische Bedeutung und Anwendung. Wenn das Wort qunnabu als Übersetzung für Cannabis verstanden wird, benutzten es die Assyrer im 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Wundsalbe und zur Behandlung von Depression, Impotenz und möglicherweise Arthritis.
In Indien, bekannt als die erste Kultur, die Ganja spirituell einsetzte, behandelte die ayurvedische Medizin Migräne bereits im 7. Jahrhundert mit Hanf, möglicherweise sogar schon viel früher.
Zu Beginn des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hatte es das Römische Reich erreicht. Im Jahre 70, empfahl Discorides, ein nach Rom zugereister griechischer Wissenschaftler, Hanfsamensaft zur Linderung von Ohrenschmerzen und zur Verringerung sexuellen Verlangens. Roms bekanntester Physiker Galen empfahl Marihuana als Schmerzmittel und zur Linderung von Blähungen.
(Die Römer glaubten das Konsumieren von zu viel Marihuana führe zu Impotenz – ganz im Gegensatz zu den Indern, die es ein Aphrodisiakum nannten.)

Erster Nachweis

Der erste archäologische Nachweis von medizinischem Marihuana kommt aus Israel.

1989 fanden Forscher der israelischen Behörde für Altertümer sieben Gramm einer haschischhaltigen Mixtur im Grab eines 14-jährigen Mädchens, das bei der Entbindung seines Kindes um 390 unserer Zeitrechnung starb. Laut des Anthropologen Joe Zias, wurde es ihr verabreicht, um Schmerzen zu erleichtern und Blutungen vorzubeugen.
Im 9 Jahrhundert fand Cannabis in der muslimischen Welt Gebrauch in der Behandlung verschiedenster Gebrechen. Der persische Mediziner Ibn Sahl verschrieb es gegen Migräne, und auch hier wurde Hanfsamenöl zur Erleichterung von Ohrenschmerzen angewendet.

Das Canon der Medizin, Werk des Avicenna, eines persischen Arztes, Physikers und Philosophen des 11.Jahrhunderts, leistete Pionierarbeit in Bezug auf ansteckende Krankheiten und auf kontrollierte Experimente als besten Weg zur Erforschung von Drogen. Es zitiert Haschisch als mildes Schmerzmittel, welches „sensible Lehrkörper dämpfe“.
Um 1464 beschrieb Ibn al-Badri, wie das Verabreichen von Haschisch an einen jungen Epileptiker „ihn völlig heilte, er jedoch süchtig wurde und nicht einen Moment mehr ohne die Droge sein konnte“.

Andere Praktiken waren mehr abergläubischer Natur, wie beispielsweise eine Paste aus Cannabisblättern zur Stimulation von Haarwuchs.

Auch das Suto-Volk in Südafrika nutze dagga zur Erleichterung von Geburtsschmerzen. Zimbabweaner setzten es gegen Malaria, Milzbrand und Dysenterie ein.
In Europa galt es im Mittelalter als gängiges Volksheilmittel gegen Ohrenschmerzen. 1150, schrieb die deutsche Äbtissin Hildegarde von Bingen, die Einnahme von Cannabis verringere Kopfschmerzen. “Jener, der gesund ist und vollen Bewusstseins, wird keinen Schaden davon nehmen, doch wer im Kopfe krank ist und ein leeres Gehirn hat, wird leicht Schmerz erleiden, wenn er sich dem Hanfe hingiebt“, warnte sie.

Erste Verbote

Papst Innocent VIII verbot es 1484, mit der Begründung Cannabis fände Verwendung in satanischen Ritualen.
Bauern in Polen und Russland nutzten es weiterhin zur Schmerzlinderung bei Zahnschmerzen und Geburten. In einer Schrift von 1626, dokumentiert der Deutsche P.A. Matthioli, das Inhalieren von schwelendem Hanf lindere „unspezifizierte weibliche Probleme“.

Langsam änderte sich der Blickwinkel der Europäer in Richtung eines mehr wissenschaftlichen Zusammentragens von Kräutern und deren Wirkung und dem Erarbeiten übersichtlicher Zusammenfassungen. 1621 verweist die Anatomy of Melancholy des englischen Gelehrten Robert Burton auf die Wirksamkeit von Cannabis gegen Depression.
(Er benannte außerdem als Hauptgrund für Melancholie die „religiös durchtränkte Furcht vor Gottes mächtigem Zorn und Missfallen“)

Nicholas Culpeper, ein englischer Kräuterkenner aus dem 17. Jahrhundert, schlug „den frischen Saft gemischt mit etwas Öl und Butter” als Brandsalbe vor.

Der moderne Westen

Cannabis erreichte den Bereich der modernen westlichen Medizin 1839, als Dr. William O’Shaughnessy, ein irischer Arzt, der dessen Anwendung in Indien verfolgte, die Preparation of Indian Hemp or Gunjah veröffentliche. O’Shaughnessy hatte es dort an Tieren getestet, bevor er es Menschen als Behandlung von Tetanus, Rheuma, Cholera und Epilepsie verabreichte. Er erklärte, das halbstündige Verabreichen von 10 Tropfen Cannabis Tinktur- ein in Alkohol gelöstes Extrakt- würde Übergeben und Brechdurchfall verhindern, was diese Krankheit meist tödlich enden ließe.

„Im Hanf hat dieser Beruf ein anti-konvulsives Heilmittel von größtem Wert gewonnen“, schrieb er. Seine Veröffentlichung erregte großes Interesse unter Medizinern. „Indisches Hanf muss zur Behandlung von Tetanus dringend empfohlen werden“, schrieb der bulgarische Doktor Basilus Beron 1852.

O’Shaughnessy vergab außerdem Cannabis an den Pharmazeuten Peter Squire, dessen Squire’s extract zur führenden Marke der Cannabismedizin in England wurde. Um 1840 begann der Psychologe Dr. Jacques-Joseph Moreau in Frankreich Haschischkonsum in der Forschung anzuwenden. Durch die Feststellung, es erzeuge „manische Erregung immer begleitet von einem Gefühl der Heiterkeit und Freude, sah ich in ihm ein Behelfsmittel, die fixen Ideen von Depressiven zu bekämpfen“, schrieb er 1845.

1857 verabreichte er es einem schwer depressiven 18-jährigen jungen Mann, „dessen einzige Äußerungen zwanghafter, paranoider Natur“ waren. Nach zwei Monaten hatten sich „seine Argumente komplett gedreht“, schrieb Moreau, allerdings war er sich unsicher, ob das Haschisch die Heilung verursacht habe.
(Dr. Moreau war außerdem Bezugsquelle für den Club der Hashischins, einer Gruppe von Schriftstellern, die Haschisch zum Genuss und zur literarischen Inspiration aßen.)

1850 erstmals in der U.S. Pharmacopeia verzeichnet

1860 deklarierte das Komitee der Ohio Medical Society, dass es wegen seiner geringeren Nebeneffekte im Vergleich zu Opium „sicherlich häufig zu präferieren“ sei, „obgleich nicht ebenbürtig in Dauer und Zuverlässigkeit“. Trotzdem wurde Cannabis wegen eben dieser Unzuverlässigkeit während des Bürgerkrieges weitaus weniger eingesetzt als Morphium, obwohl Ärzte feststellten, dass „es nicht im Stande zu sein scheint, durch Überdosis zum Tode zu führen“.

Zwischen 1880 und 1900 stellten einige der weltweit führenden pharmazeutischen Firmen, wie Merck in Deutschland, Burroughs-Wellcome in England, und Bristol-Myers Squibb, Parke-Davis, und Eli Lilly in den Vereinigten Staaten auf Cannabis basierende Medizin her. Die meisten waren oral einzunehmende Präparate, ungefähr ein Drittel Lotionen oder Wundsalben.

Bromidia, ein Schlafmittel, 1886 auf den Markt gebracht, wurde beworben als „das einzige Hypnotikum, das dem Test standgehalten hat…seit 30 Jahren, in allen Ländern der Welt“. Es beinhaltete Chloralhydrat, Kaliumbromid, Bilsenkraut und Cannabis-Indica Extrakt. Queen Victoria’s persönlicher Arzt, J. Russell Reynolds, verschrieb ihr Cannabistinktur gegen Menstrualkrämpfe. Außerdem wurde es häufig gegen Migräne-Anfälle verschrieben. Der britische Neurologe Sir William R. Gowers empfahl „Tinkturen von Cannabis und absolute Ruhe”.

1877 verwies der New Yorker Neurologe Dr. E.C. Seguin darauf, durch prophylaktischen Gebrauch Migräne vorzubeugen, indem man das Nervensystem über einen längeren Zeitraum unter ständigem, geringfügigem Einfluss von Cannabis halte.

1915 beschrieb es Dr. William Osler in einem der wegweisenden Fachbücher der modernen Medizin als das „wahrscheinlich zufriedenstellendste Heilmittel“.
Im späten 19. Jahrhundert begann der medizinische Gebrauch der Cannabispflanze abzunehmen. Die westliche Medizin wechselte von natürlichen zu synthetischen Arzneimitteln im Zuge der Entwicklung von Schmerz- und Beruhigungsmitteln wie Chloralhydrat, Schlaf- und Narkosemitteln und, 1899, Aspirin.
(Bayer, der Pharmakonzern, der Aspirin patentiert hatte, brachte außerdem ein Morphium Derivat auf den Markt, welches als effektiveres und weniger suchterzeugendes Schmerz-mittel beworben wurde- unter dem Markennamen Heroin.)

Synthetische Medikamente boten exaktere Dosen und gleichmäßigere Effekte als natürliche Heilstoffe, welche naturgemäß variable Potenzhaltigkeiten hatten und schal werden konnten.

Während Morphium wasserlöslich war und injiziert werden konnte, mussten Cannabispräparate oral eingenommen werden. Der Arzt musste dann mindestens eine Stunde warten, um zu sehen, ob die Dosis ungenügend, effektiv oder zu stark war- ein Problem, das jeder nachvollziehen kann, der jemals Haschisch gegessen hat. […] Dennoch waren um 1930 noch mindestens 28 cannabishaltige Medikamente auf dem U.S.-amerikanischen Markt wie Arzneien gegen Kolik, Beruhigungsmittel und Getreide-Heilsalben. Die Prohibition hat diese eliminiert.

Der Marihuana Tax Act verhängte 1937 einen Steuerbetrag für Marihuana – über $100 (heute über $1.000) pro Unze (in etwa 30 Gramm), erhob aber nur $1 pro Unze für medizinisches Cannabis. Aber der lästige Papierkram und die Regularien mit denen Ärzte sich auseinandersetzten mussten, um es verschreiben zu dürfen, schreckten sie ab.

1941 von der U.S. Pharmacopeia gestrichen

„Am Ende war Cannabis für die westliche Medizin verloren, nicht etwa wegen seines pharmakologischen Versagens, vielmehr durch schwache Qualitätskontrolle und letztendlich durch politisch motivierte Legislativermächtigung“, so der Neurologe Dr. Ethan Russo im Journal of Cannabis Therapeutics 2002.

Den zweiten Teil der Pot-Story, das unausweichliche Revival der Nutzpflanze Cannabis als Heil- und Genussmittel, sowie alle Details der Marihuana Prohibition nach 1937 bekommen reguläre Leser im nächsten Hanf Journal – Ausgabe #143 – im April geboten.
Die Originalversion dieses Artikels erschien bereits im kanadischen Magazin Skunk.

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