Montag, 2. April 2012

„Nein“ sagen macht stark

Nicht süchtig, nicht faul und nicht verantwortungslos

Die Drogenpolitik ist seit über 40 Jahren durch das Verbreiten von Unwahrheiten gekennzeichnet, die vergleichbar mit den einstigen Lügen über und Vorurteilen gegen Schwule und Lesben sind. Diese sind der Grund dafür, dass Homosexualität als Straftatbestand erst seit wenigen Jahren aus den meisten europäischen Strafgesetzbüchern gestrichen wurde. Ähnlich unzeitgemäß wie damals agieren die Verantwortlichen derzeit in der Drogenpolitik, wenn sie auf eine angebliche Wandlungsfähigkeit hinweisen, die durch die Entkriminalisierung der Konsumenten seit vielen Jahren deutlich werde. Das Problem dabei, nur weil der Konsum oder der Besitz einer Geringen Menge nicht mehr zwangsläufig vor Gericht endet, heißt das nicht etwa, dass man sanktionsfrei konsumieren könnte. „Entkriminalisierung“ in Deutschland bedeutet, dass Konsumenten illegalisierter Stoffe jetzt per se als krank und/oder süchtig angesehen werden, was ähnliche Konsequenzen hat wie eine Kriminalisierung
Das beste Beispiel hierfür ist die reihenweise Ersatz-Bestrafung von Fahrerlaubnisinhabern, die nicht unter Drogeneinfluss am Straßenverkehr teilgenommen haben, jedoch aufgrund willkürlich festgelegter oder gar fehlender Grenzwerte ihren Führerschein verlieren. Weiterhin gibt es unzählige Fälle, die aufgrund eines nicht problematischen Konsummusters den Job, ihre Kinder oder gar beides los sind. Es wird mittlerweile sogar von einem Großteil der Cannabis konsumierenden Bevölkerung akzeptiert, dass ihr gelegentlicher Konsum in allen Lebensbereichen verheimlicht werden muss: Ein Hobbysportler könnte seine Startberechtigung verlieren, das Ehrenamt könnte flöten gehen, das Jugendamt könnte wegen der Kinder nachbohren, ein Schüler von der Schule fliegen oder zumindest eine Sonderbehandlung erfahren; die Szenarien sind, je nach Repressionsgrad und Bundesland, vielfältig.
Das alles liegt daran, dass unsere Bundesregierung nur unfreiwillig, auf internationalem (EU) und nationalem (Bundesverfassungsgericht-Urteil zur Konsumenten-Entkriminalisierung) Druck hin bereit war, die Drogenpolitik der 1980- und frühen 1990er Jahre aufzugeben und durch eine „moderne“ zu ersetzen. Sobald die Gerichte Mitte der 1990er Jahre Konsumenten nicht mehr verfolgten, ging man jedoch zuerst in Süddeutschland und bald darauf auch bundesweit dazu über, einfachen Konsumenten an die Führerscheinbehörden zu melden. Besonders für junge Erwachsene ist der Unterschied zur Strafbarkeit heute kaum nachvollziehbar: Wer mit Cannabis erwischt wird, muss jetzt zur Beratungsstelle und zudem wie damals schon zur Jugendgerichtshilfe. Die paar Sozialstunden, die es vor 20 Jahren als Strafe für ein kleines Stück Hasch gab, sind nichts im Vergleich zu den Sanktionen, die Heranwachsenden heutzutage blühen, wenn sie mit einem Joint im Park erwischt werden.
Obwohl schon längst bewiesen und in anderen Ländern, in denen die Strategie zur Konsumenten-Entkriminalisierung umgesetzt wird (Portugal, Tschechien, Niederlande, Spanien), gibt es in Deutschland offiziell keine unproblematischen Konsummuster von Cannabis oder anderen Drogen. Denn trotz offizieller Konsumenten-Entkriminalisierung sehen alle Bundesregierungen seit Schröder jeden Drogengebrauch als Mißbrauch. Deshalb stellt der Gesetzgeber auch Ratschläge zur Entwicklung unproblematischer Konsummuster, zum Beispiel für Jugendiche, als „Anstiftung“ unter Strafe, Stichwort „Safer Use“. Wie soll eine Entkriminalisierung funktionieren, in deren Rahmen der Umgang mit den betreffenden Substanzen nicht öffentlich diskutiert und vor spezifischen Gefahren gewarnt werden darf?
Wer in der Jugend mal probiert, ist arm dran aber noch zu retten. Wer mit 30 noch gerne einen Joint raucht, ist wenigstens süchtig und auf jeden Fall suspekt. Wer mit 40 die Finger immer noch nicht von lässt, ist ein unbelehrbarer Idiot, der entweder therapiert oder bestraft gehört.
Eine auf dieser Grundlage basierende Politik ist zum Scheitern verurteilt, entmündigt sie doch die eigentliche Zielgruppe: Erwachsene, mündige Konsumenten illegalisierter Drogen, die mit ihrem Konsum der Gesellschaft keinen Schaden zufügen. Deshalb ist es an der Zeit, „Nein!“ zu sagen, wenn man im Alltag mit den modernen Märchen über Drogen konfrontiert wird, die verantwortlich für den hohen Grad der Fehlinformationen zum Thema sind. Also ruhig mal ausschalten, wenn das Fernsehen über Cannabistote (siehe Kasten) berichtet, das schadet der Quote. Noch besser ist eine Zuschauermail oder einen Leserbrief zu verfassen. Man könnte auch einfach die in Sachen Drogen verlogene Lokalzeitung abbestellen oder der/dem eigenen Abgeordneten mitteilen, weshalb man sie/ihn nicht mehr wählt. Das sind leider viel zu selten genutzte Mittel, nicht weil Kiffer fauler sind als der Rest, sondern weil die Meisten Angst haben, schon durch ein solch vergleichsweise kleinen Schritt, öffentlich stigmatisiert zu werden. Das ist einerseits nachvollziehbar, doch auf der anderen Seite muss man sich langsam fragen, wie weit es noch kommen muss, damit sich wenigstens die Betroffenen gegen ihnen widerfahrenes Unrecht wehren? Ist die Angst vor Repression mittlerweile so groß, dass das BtMG als Instrument zur Bürgerüberwachung umgeschrieben werden kann, ohne dass sich die Betroffenen zu Wort melden? Immerhin wurde der Bundestrojaner in Bayern meist aufgrund dieses Gesetzes eingesetzt, einmal sogar nur aufgrund des Verdachts von Besitz und Konsum, ohne Handel.
Menschen, die weitaus schädlicheren Leidenschaften wie dem Alkohol- oder dem Tabakmißbrauch frönen hingegen, können sich auf Vater Staat vollends verlassen: Er gibt Vorgaben, wie, wieviel und wo sie zu konsumieren haben, so dass sich die Auswirkungen halbwegs im Rahmen halten. Das klappt zwar auch nur bedingt, wird aber als gesellschaftlicher Konsens nicht in Frage gestellt.
Solange es eine ähnliche Regelung für Cannabiskonsumiernde nicht gibt, werden weiterhin harmlose Bürger/innen diskriminiert und so in kriminelle Ecken gedrängt, in denen sie nichts zu suchen haben. Um sich auf dem Niveau zu bewegen, was uns eigentlich gebührt, müssen wir lernen, auch mal laut „Nein!“ zu sagen, anstatt nur leise zu meckern.

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