Mittwoch, 4. April 2012

Cannabis – Eine medizinische Zeitreise

Dies ist der zweite Teil der Pot-Story, der das unausweichliche Revival der Nutzpflanze Cannabis als Heil- und Genussmittel, sowie alle Details der Marihuana Prohibition nach 1941 beschreibt. Teil Eins erschien in der letzten Ausgabe des Hanf Journals – März 2012 -#142 und ist auch auf www.Hanfjournal.de zu finden.

REVIVAL

1969 erklärte der Oberste Gerichtshof in den USA (U.S. Supreme Court) den Marihuana Tax Act für verfassungswidrig, da er Menschen dazu zwänge, sich selbst zu belasten, wenn sie versuchten, Steuern zu zahlen. An seine Stelle trat der „Controlled Substances Act of 1970“, der Marihuana auf eine Liste von Drogen mit hohem Mißbrauchpotential setzte und Cannabis als „in den Vereinigten Staaten gegenwärtig nicht für den medizinischen Gebrauch zu akzeptieren“ klassifizierte.
Als der wieder erblühte Haschisch- und Marihuana-Konsum in den 1970ern explodierte, wurde auch das medizinische Potential wieder entdeckt. Anfangs von Menschen, die unter dem Glaukom oder den Nebeneffekten einer Chemotherapie litten:
Robert Randall, ein Glaukom Patient aus Washington, D.C., bemerkte, dass die Auren, die er um Straßen und Verkehrslichter sah – ein typisches Symptom für sein sich verschlechterndes Augenlicht – verschwanden, wenn er high war. Marihuana verringerte den Druck der Intraokularlinse, den die Krankheit verursachte. “Wenn ich Pot rauchte, sah ich viel klarer”, schrieb er in seiner Biographie. “Ich meine nicht Erleuchtung – ich spreche über Sehkraft.”
Randall wurde 1975 wegen Marihuanazüchtens angeklagt, gewann den Prozess jedoch mit der Begründung, er nutze es zu medizinischen Zwecken. Daraufhin prozessierte er gegen die U.S. Regierung und für das Recht auf den legalen Erhalt seiner Medizin. Das Ergebnis war das Compassionate Investigative New Drug (Compassionate IND) Program, in dessen Rahmen die Bundesregierung Büchsen mit vorgerollten Joints an autorisierte Patienten verteilte.
Dieses Programm beliefert heute noch immer sieben Patienten, darunter Elvy Musikka und Irvin Rosenfeld; allerdings ist das Gras, gezüchtet auf einer von der Bundesregierung geführten Farm in Mississippi, kratzig und kaum potent.
Die Beweisführung, Marihuana beuge Übelkeit und Brechreiz, ausgelöst durch Chemotherapien vor, ist klinisch sowie durch Einzelberichte bereits zu diesem Zeitpunkt ausreichend untermauert.

Frühe Studien

In den 1970ern und -80ern belegten kontrollierte Studien den Nutzen THC als effektives Heilmittel.
Dr. Lester Grinspoon’s Karriere als Anwalt und Verfechter für medizinisches Marihuana begann, als sein jugendlicher Sohn, der mit zehn Jahren an Leukämie erkrankt war, heraus fand, dass das Rauchen von Haschisch den heftigen Brechreizanfällen nach seiner Chemotherapie vorbeugte.
Der Biologe Stephen Jay Gould, einer der wenigen Überlebenden von Magen-Darmkrebs, erlebte eine ähnliche Linderung.
Nach einer Befragung von Onkologen der Harvard University 1990 sagten 44 % der Mediziner, sie hätten Marihuana mindestens einem Patienten empfohlen.
Nach dem juristischen Kampf der Krebspatientin Lynn Pierson erließ der Staat New Mexico 1978 ein Gesetz, das Forschungsprogramme zur Produktion von medizinischem Marihuana zuließ. Pierson starb mit 27 innerhalb weniger Monate, noch bevor das Programm in New Mexico gestartet wurde. Dieses, nach Pierson benannte Programm war in der Folgezeit sehr erfolgreich: Von 1979 bis 1986 bot es über 250 Krebs-Patienten entweder Marihuana oder synthetisches THC. Über 90 % befanden beide Medikamente als effektiv; im Allgemeinen bevorzugten sie jedoch die natürliche Variante, obschon einige das Programm verlassen hatten, da das Gras auf dem Schwarzmarkt besser war als das von der Regierung angebotene Cannabis.
Bis 1982 hatten sich 33 andere Staaten dem Programm angeschlossen, allerdings zerschlug die repressive Politik der Reagan Ära diese zarten Ansätze.
Um Patienten legal mit Cannabis versorgen zu können, mussten die einzelnen Bundesstaaten jetzt ihre eigenen IND- Programme bei der Food and Drug Administration beantragen. Einige Staaten wie Louisiana gaben auf und boten Patienten nur noch synthetisches THC im Rahmen des staatlichen Cannabis Programms an.

Die DEA mischt mit

1972 klagte die „National Organization for the Reform of Marijuana Laws“ (NORML) gegen die Aufnahme von Marihuana in Schedule I mit dem Argument, es habe nachgewiesene medizinische Wirkung. Nach fast 15 Jahren Rechtsstreit bekam NORML Recht:
1988 empfahl die DEA-Verwaltungsrichterin Francis Young, Ärzten die Möglichkeit zu geben, Marihuana zu verschreiben. Sie nannte es „eine der sichersten aller bekannten, therapeutisch eingesetzten Substanzen. Die Aktenlage beweist, dass Marihuana das Leid vieler kranker Menschen mit der Sicherheit medizinischer Begleitung lindern kann“, schrieb Young. Die DEA lehnte diese Empfehlungen ab. „Für eine medizinische Anwendung müsse ein Medikament überall erhältlich und von vielen Ärzten angewandt werden.“ Obwohl ein Berufungsgericht auf Bundesebene diese Forderung anfänglich „nicht nachvollziehbar“ einstufte, erging 1994 ein Beschluss zu Gunsten der DEA.
In den späten 1980ern hatte ein Graswurzel-Netzwerk von Patienten in den USA Kampagnen für das Recht auf medizinisches Marihuana gestartet. Vier von ihnen kamen aus Florida:
Glaukom Patient Elvy Musikka war 1988 wegen Gras verhaftet worden, wurde aber aufgrund der medizinischen Notwendigkeit, ihr Sehvermögen zu erhalten, freigesprochen.
Kenny Jenks, ein Bluter und seine Frau, Barbara, die beide an AIDS erkrankt waren, nachdem er den Virus durch eine verschmutzte Bluttransfusion übertragen bekommen hatte, gewannen 1991 ebenfalls ihren Einspruch gegen das Gesetz.
Der Börsenmakler Irvin Rosenfeld war so extrem von Tumor- und Abzessschmerzen geplagt, dass er 150 Dilaudid sowie 30 Quaalude Kapseln monatlich einnahm, bevor er Marihuana entdeckte. „Nach einer Weile wurde es immer klarer, dass mir selbst eine geringe Dosis eine nie gekannte Schmerzlinderung verschaffte“, berichtete Rosenfeld Dr. Grinspoon.
Die AIDS Epidemie dieser Zeit brachte noch mehr Nachfrage. Als der Virus San Franciscos Schwulengemeinde verwüstete, realisierten Patienten, dass das Kraut hilft, ihren Appetit zu stimulieren und die Symptome von Auszehrung und Verfall in Schach zu halten, die sie so extrem abmagern ließen.
Mary Rathbun, eine Kellnerin, die wegen selbst gebackenen Haschischkeksen verhaftet worden war, absolvierte ihre Gemeinschaftsarbeit auf der AIDS Station des San Francisco General Hospital, wo sie als „Brownie Mary” bekannt wurde, als sie ihre Kekse an Patienten verteilte. Sie inspirierte den AIDS Forscher Dr. Donald Abrams dazu, Cannabis als Mittel gegen den körperlichen Verfall bei einer HIV-Infektion zu untersuchen.
Dennis Peron, ein ehemaliger Grasdealer aus San Francisco und Langzeit-Aktivist in der Schwulenbewegung, war der politische Katalysator. Nachdem die Polizei eine Razzia in seinem Haus durchgeführt hatte, während sein Freund wegen AIDS im Sterben lag, und sie beide Anti-Schwulenwitze erzählend verhaftete, wurde er zum Vorkämpfer von Proposition P, einem Gesetzentwurf, der Ärzten in der Stadt erlauben sollte, Marihuana verschreiben. 1991 erhielt Proposition P 79 % der Stimmen.
Zwischenzeitlich hatten sich massenhaft AIDS Patienten, viele organisiert durch Robert Randall, für das Federal Compassionate IND Program beworben. Im Juni 1991 wurde es durch die Administration des Präsidenten George H.W. Bush außer Kraft gesetzt.
„Wenn die Öffentlichkeit sähe, dass der Public Health Service Leute mit Marihuana versorgt, könnte man denken, dass diese Substanz so schlecht nicht sein kann“, erklärte der Vorsitzende James O. Mason. „Allerdings gibt es keinen stichhaltigen Beweis, dass das Rauchen von Marihuana Personen mit AIDS tatsächlich hilft.“ 1992 beendete die PHS das Programm, und verweigerten 28 Patienten, deren Bewerbungen schon genehmigt worden waren, den Bezug.

Proposition 215

Der Wendepunkt kam 1996 in Kalifornien, als Peron und andere Aktivisten die Proposition 215 ins Leben riefen, eine Gesetzesinitiative, die den Gebrauch und Anbau von und für Patienten mit ärztlicher Empfehlung erlaubte. Nachdem Politiker, gefördert durch Milliardär George Soros die Kampagne unterstützten, gewann sie 56 % der Stimmen.
Eine Serie von Gerichtsurteilen in Kanada von 1997 bis 2002, hauptsächlich bekannt durch die Fälle des Epileptikers Terry Parker und den AIDS Patienten Jim Wakeford, hinderte die Regierung an der strafrechtlichen Verfolgung von Cannabis-Patienten und forderte den Gesetzgeber auf, Cannabis als Medizin anzuerkennen. Das nationale Gesundheitssystem Health Canada ist seitdem für die Versorgung der Patienten zuständig. Menschen können um die offizielle Erlaubnis ersuchen, Marihuana zu konsumieren, falls ein Arzt eine tödliche Krankheit, starke, chronische Schmerzen, multiple Sklerose, Krebs, HIV/AIDS, Arthritis, Verletzungen des Rückenmarks, Epilepsie oder eine andere Krankheit mit ähnlich schwerwiegenden Symptomen diagnostiziert.
Zugelassene Patienten können selbst Lizenzen zum Anbau erwerben, oder jemanden zum Anbau beauftragen. Außerdem besteht die Möglichkeit, auf dem Postweg einen 1-monatigen Bedarf für $5.- pro Gramm bei Prairie Plant Systems, einer Firma mit Sitz in Ottawa, zu bestellen. PPS züchtet in einem abgeschirmten, unterirdischen Gewächshaus in einem früheren Minenschacht Marihuana. Die Sicherheitsvorkehrungen in Flin Flon, Manitoba, sind strenger als die, die die Verwahrung des Ebola Virus gelten.

‘Medizinisch legal’

2003 wurden die Niederlande das erste Land, das Ärzte Marihuana wie andere Medikamente verschreiben ließ, obwohl der Preis in einer Apotheke im Vergleich zum Coffee-Shop mehr als doppelt so hoch ist. Israel hatte medizinisches Marihuana prinzipiell bereits 1999 legalisiert, führte allerdings im August 2011 formale Richtlinien für dessen Beschaffung ein. Im September hatte der tschechische Gesundheitsminister angekündigt, Cannabis könne bald durch Ärzte verschriben werden.
Der Oberste Gerichtshof in den Vereinigten Staaten hatte zweimal, 2001 und 2005, Klagen zurückgewiesen, legale Wege für medizinisches Marihuana auf Rezept zu ebnen. Doch die illegalisierte Medizin ist an den Wahlurnen und der Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten weiterhin auf dem Vormarsch. Sechzehn Staaten und der District of Columbia haben Cannabis als Medizin bereits legalisiert, doch die Bundesregierung weigert sich weiterhin, den medizinischen Nutzen von Cannabis anzuerkennen.

Die Originalversion dieses Artikels erschien bereits im kanadischen Magazin Skunk.

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