Montag, 16. Juli 2012

Helfen statt verbieten

Gedanken über die deutsche Drogenpolitik

Bei der öffentlichen Debatte zur Drogenpolitik werden oftmals pauschale Einteilungen in erlaubte (also weniger schädliche) und verbotene (also besonders gefährliche) Substanzen vorgenommen. Der Begriff „Droge“ wird hierbei ausschließlich für den illegalen Bereich verwendet, wie der allgemeine Sprachgebrauch verdeutlicht: „Ob der Fahrer unter Alkohol oder Drogen stand […]“, ist ein bekannter Satz aus den Unfallmeldungen. Gesundheitspolitisch ist diese Trennung jedoch nicht verantwortbar. Vielmehr bewirkt sie die Verharmlosung von legalen Substanzen wie Alkohol oder Nikotin. In Erinnerung sind mir Situationen während meines Polizeidienstes, als vollkommen alkoholisierte Jugendliche sagten „dieses illegale Zeug nicht genommen zu haben“, sondern „nur mit Alkohol ein wenig gefeiert zu haben.“ Nicht selten waren das Jugendliche, die ich in diesem Zustand Wochenende für Wochenende antraf ¨C ganz legal. Dieses Beispiel zeigt: Gesundheitspolitisch liegt das Hauptaugenmerk der Suchtbekämpfung bei Substanzen wie Alkohol und Nikotin. Sie richten den größten Schaden bei dem Einzelnen wie auch in der Gesellschaft an.
Illegalisierten Substanzen wird deutlich weniger durch gesundheitspolitische Maßnahmen entgegen gesetzt. Stattdessen sollen hier Verbote den Missbrauch verhindern. Politiker der Bundesregierung glauben an eine deutliche Eindämmung des Drogenkonsums, einer signifikanten Reduzierung der Verfügbarkeit von Drogen ¨C insbesondere für Jugendliche ¨C durch die Prohibition.

Fakt ist, dass es in Deutschland trotz der repressiven Drogenpolitik nicht weniger Drogenkonsumierende gibt als in Ländern mit einer vergleichsweise progressiven Drogenpolitik.

So wird in den Niederlanden seit Jahren der Verkauf von Cannabis toleriert, und trotzdem gibt es dort im Verhältnis zur Einwohnerzahl nicht mehr Cannabiskonsumierende als in Deutschland. Selbst innerhalb der Bundesrepublik bestätigt sich die Gleichung „mehr Repression ist gleich weniger Konsum“ nicht, wie ein Blick auf die föderalen Regelungen zur geringen Menge verdeutlicht: Nach Anhebungen der geringen Menge in Berlin unter Rot-Rot auf 15 Gramm war kein signifikanter Anstieg des Drogenkonsums zu verzeichnen. Die Repression hat auf die Zahl der Drogenkonsumierenden ¨C wenn überhaupt ¨C einen äußerst minimalen Einfluss.
Gerne verdeutliche ich diesen Befund auf Veranstaltungen mithilfe eines Versuches: Ich frage die anwesenden Personen nach dem wichtigsten Grund dafür, dass sie kein Heroin zu sich nehmen. Ausnahmslos spielte dabei die Sorge um die eigene Gesundheit die vordergründige Rolle. Ich habe es bisher nicht erlebt, dass jemand das Verbot als Grund für den Verzicht benannt hatte. Diesen Versuch habe ich mittlerweile sehr häufig gemacht und es besteht daher für mich die Logik, dass wir den Konsum gefährlicher Substanzen und damit verbundene Krankheits- oder Todesfälle nur vermindern können, indem der gesundheitspolitische dem repressiven Hebel vorgezogen wird.
Ein Verbot ist immer ein erheblicher Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Gerade deswegen muss das Verbot auch seinen Zweck erfüllen, um Legitimität beanspruchen zu können. Allerdings können durch diese Maßnahmen Nebeneffekte auftreten, die dem eigentlichen Anliegen sogar entgegen wirken. Dies ist bei der aktuellen Drogenpolitik der Fall.
Ein Heroinkonsumierender ist gestorben. Woran ist er gestorben? War es eine Überdosis? Heroin wird in Deutschland auf dem Schwarzmarkt gekauft, der keinerlei Regularien wie Verbraucher-, Gesundheits- oder Jugendschutz unterworfen ist. Ganz im Gegenteil: Auf dem Schwarzmarkt herrscht reiner Kapitalismus: Gewinnmaximierung ist das einzige Ziel. Heroinkonsumierende wissen daher nicht, in welcher Dosierung sie die Droge erhalten. Sie sind dem Dealer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie bekommen auch keine Information darüber, mit welchen Streckmitteln die Droge versetzt ist. Diese dienen nicht nur der Vermehrung der Substanz zur höheren Gewinnerzielung.
Oftmals bestehen sie regelrecht aus Chemikaliencocktails, die den Rauscheffekt und die Abhängigkeit verstärken sollen. Dieser Cocktail ist in vielen Fällen gefährlicher als die eigentliche Substanz. Auch beim Cannabis ist in den vergangenen Jahren die Problematik der Streckmittel immer mehr in den Vordergrund gerückt. Ich empfehle daher den Streckmittel-Melder auf der Internetpräsenz des Deutschen Hanfverbandes, um sich über mögliche Gefahren zu informieren.

Obwohl jährlich große Mengen von Rauschgiften beschlagnahmt werden, gibt die Bundesregierung an, keinerlei Informationen über die Verbreitung und der Zusammensetzung von Streckmitteln zu besitzen. Da dieses zusätzliche Risiko ausschließlich auf dem Schwarzmarkt entstehen kann, ist dies eindeutig eine Folgeerscheinung der Repression ¨C eine Folgeerscheinung, die ebenso wie die unklare Dosierung so schwerwiegend ist, dass sie bei der Entscheidung für oder gegen die Repression unbedingt beachtet werden muss.
Doch damit nicht genug: Die gesellschaftliche Ausgrenzung der Konsumierenden durch die Kriminalisierung, die gezwungene Bindung an den Schwarzmarkt ¨C all das hat Auswirkungen auf das soziale Leben. In den schlimmsten Fällen entstehen Kriminalitätskarrieren. Zudem wird die Ansteckungsgefahr für Infektionskrankheiten ohne funktionierendes soziales Umfeld begünstigt. Daher ist bei der Betrachtung des schrecklichen Phänomens der Drogentoten die Frage nach den hygienischen und sozialen Faktoren mit einzubeziehen. Erst dadurch wird deutlich, dass die Konsumierenden eher selten an der Substanz Heroin zu Grunde gehen, sondern stattdessen die Nebenwirkungen der Repression mögliche Todesfälle begünstigen.
Viele Ärztinnen und Ärzte im Suchtbereich klagen darüber, dass sie zu spät an die Suchtpatientinnen und -patienten illegalisierter Substanzen kommen. Tatsächlich nehmen Konsumierende mit Suchtproblemen professionelle Hilfe erst spät oder auf Druck der Strafverfolgungsbehörden in Anspruch. Frühe Hilfe, beispielsweise durch die Aufklärung über kritische Konsummuster, wäre hingegen deutlich effektiver. Leider ist es eine weitverbreitete Meinung in der Politik, dass schadensminimierende Maßnahmen zwar das vermeintliche Risiko von unerwünschten Nebenfolgen minimieren, dadurch aber die Hemmschwelle zum Konsum abgesenkt würde. Dabei sind es doch solche Maßnahmen wie das Drug-Checking, die den Konsumierenden die Möglichkeit geben, den eigenen Drogenkonsum zu reflektieren! Das haben Umfragen aus Österreich, wo Drug-Checking ganz selbstverständlich angeboten wird, ergeben. Doch in Deutschland hingegen behindert die Repression funktionierende gesundheitspolitische Maßnahmen.
Nach all dem Gesagten meine ich daher: Die Drogenprohibition in Deutschland muss neu bewertet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Strafverfolgung bei geringen Mengen Cannabis unverhältnismäßig ist. Damit sind die Vorbereitungshandlungen zum Konsum jedoch noch nicht straffrei. Die Höhe der geringen Menge wird per Verordnung durch die Bundesländer unterschiedlich festgelegt. Doch für die Konsumierenden entsteht durch den Flickenteppich aus 16 verschiedenen Länderregelungen lediglich Rechtsunsicherheit. Daher ist es richtig, als ersten Schritt einer progressiven Drogenpolitik die geringe Menge im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) festzuschreiben, und somit die Konsumierenden bundesweit einheitlich zu entkriminalisieren. Zu diesem Schritt sind viele Bundesbürger bereit.
Häufig fehlt jedoch die Bereitschaft, den Erwerb von Cannabis zu legalisieren. Dies ist jedoch unabdingbar: So steht neben der Entkriminalisierung der Konsumierenden als dringendste Aufgabe die Austrocknung des Schwarzmarktes auf der Tagesordnung. Verbotene Substanzen in eine legale Abgabe zu überführen würde bedeuten, wenigstens ansatzweise Gesundheits-, Verbraucher- und Jugendschutz durch Kontrollmaßnahmen zu verwirklichen und damit das Schlimmste zu verhindern. Das Scheitern des Verbots hat gezeigt, dass Drogen trotz ihrer unterschiedlichen Gefährlichkeit nicht aus der Gesellschaft zu verbannen sind. Bereits oben beschriebene Folgen bleiben bestehen.

Lasst uns also darüber diskutieren, ob wir bei einer Wende in der Drogenpolitik kleine oder große Schritte machen wollen ¨C ob wir dieses oder jenes Modell zur Entkriminalisierung wählen sollten. Die Notwendigkeit dieser Wende aber muss unstrittig sein.

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