Montag, 16. Juli 2012

Neustart gefordert

Für eine menschenwürdige, rationale und evidenz-basierte Drogenpolitik!

Wir könnten immer so weiter machen wie bisher: die Verkäufer und Konsumenten „alter illegaler Drogen“ strafrechtlich verfolgen, den Umgang mit „neuen“ Drogen (z.B. sog. Legal Highs) verbieten und unter strafrechtliche Kontrolle stellen und die Verkäufer und Konsumenten wieder verfolgen. Zu Ende gedacht: Würden wir die Strafverfolgung intensivieren, vielleicht – ähnlich wie in den USA – auch irgendwann (vielleicht in 20 Jahren?) mit (para-)militärischen Mitteln, und mit speziellen Anti-Drogeneinheiten, mit weitreichenden Befugnissen ausgestatten Sonderermitteln und mit Schnellgerichten aufnehmen? Vielleicht wäre das sogar ein Weg – wenn er denn wenigstens erfolgreich wäre!
Aber die hehren Vorsätze, die Milleniumsziele der UN-Organisationen, den Drogenkonsum zu halbieren und die Drogenmärkte zu verkleinern sind kläglich gescheitert.

Allein der „Drogenkrieg“ (eher „Drogenprohibitionskrieg“) in Mexiko hat seit 2006 über 50.000 Menschen das Leben gekostet

– viele andere Tote, Verletzte, Hinterbliebene, zerstörte Familien in anderen amerikanischen Ländern kommen hinzu. Und dieser Drogenkrieg ist nicht begrenzt auf Lateinamerika oder Mexiko – dieser Krieg hat sich bereits global ausgeweitet. Produktions-/Transit- und Konsumentenländer sind nicht mehr voneinander trennbar: Abhängige, Gewalt, Mafia-Händlerstrukturen wirken auf allen Ebenen – damit einhergehend Korruption bei den Strafverfolgungs- und Vollzugsbehörden, verdeckte Ermittlungen provozieren Straftaten, Aushöhlungen von Grund- und Menschenrechten, Erosion des Rechtsstaates und seiner tragenden Organe (Polizei, Gerichte) und Abbau demokratischer Strukturen (z.B. de-facto-Abbau der Pressefreiheit aus – berechtigter – Todesangst bei mafiakritischen Berichten) und schließlich Deformierungen professioneller Grundlagen.

Also wie wäre es, wenn wir so weitermachen würden wie bisher, konsequent zu Ende gedacht: Würden wir „amerikanische Verhältnisse“ bekommen? Würden wir mit stärkerer Aufrüstung der Polizei mehr Erfolge haben? Würden wir vielleicht am Ende sogar Militär einsetzen wollen? Mehr Grundrechte einschränken? Können wir noch mehr Drogenumgangsformen kriminalisieren? Verschärfte Grenzkontrollen einführen? Grenzen wieder schließen? Oder verurteilte Drogenhändler oder schon Abhängige obligatorisch mit Fußfesseln oder GPS-Sendern ausstatten? Fast eine Viertel Million Betäubungsmitteldelikte (die meisten davon sog. Konsumentendelikte!) werden jährlich von der Polizei erfasst – würde eine halbe oder eine ganze Million den „Erfolg der Prohibition“ beweisen? Können wir uns diese Drogenpolitik überhaupt leisten? NEIN! Schon jetzt wird deutlich, dass diese Politik enorm teuer ist, wenn wir uns die Ausgaben ansehen: Vergleicht man die Kosten für „Repression“ mit den Ausgaben für „Hilfen“, ergibt sich ein deutlich disparitätisches Verhältnis von 9:1. Noch deutlicher: „So weisen etwa 10 Prozent der gesamten Staatsausgaben für den Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einen Bezug zu illegalen Drogen auf.“ (Flöter & Pfeiffer-Gerschel 2012, S. 41)
Die Prohibition hat mehr Schäden angerichtet als sie zu verhindern vorgibt. Wir haben ein massives Drogenpolitikproblem – seit mehr als 100 Jahren! Man muss mehr Angst haben vor den Folgen der Prohibition als vor den Folgen der Drogen selbst! Sehenden Auges dulden wir die Existenz, die Gewalt, die Anarchie und die Dynamik des Drogenschwarzmarktes – Milliardenbeträge werden verdient – zu Lasten des Verbraucher- und Jugendschutzes, einer ausgewiesenen Drogenqualität und eines fairen und transparenten Preises.
Und selbst die Polizei glaubt nicht wirklich, dass sie eine Angebotsreduktion durchführen kann. Weit weniger als 5% der auf den Markt geworfenen Drogen konfisziert die Polizei. Unterbrochene Handelsrouten werden umgehend neu erfunden, drakonische Strafen, selbst Körper- und Todesstrafen (wie z.B. im Iran) schrecken nicht ab. Zu groß, zu verführerisch die Aussicht auf das prohibitionsbefeuerte „schnelle Geld“, das „große Ding“ – oder einfach nur das Überleben. Was denn noch?
Die internationalen Bemühungen, den weltweiten Drogenmarkt einzudämmen, sind – gemessen an den Zielvorstellungen der United Nations General Assembly Special Session (UNGASS) – wenig erfolgreich gewesen. Als Ergebnis einer jüngsten EU-Studie ließen sich keine Belege für eine Reduktion des weltweiten Drogenproblems in der Periode 1998-2007 finden: „Eine Debatte über den Sinn der gegenwärtigen Drogenpolitik und mögliche Alternativen ist zu wünschen.“ (Trautmann 2012, S. 59)

Es ist höchste Zeit, sich intelligente Modelle der Drogenkontrolle und -regulation zu überlegen.

Wir sollten wenigsten versuchen den Markt zu regulieren, anstatt so zu tun, als ob es irgendwann schon keine Nachfrage und kein Angebot an psychotropen Substanzen mehr geben würde. Die gegenwärtige Drogenpolitik unternimmt noch nicht einmal einen Versuch der Regulation: Strafandrohungen der Verfolgungsbehörden und Verhaltensappelle der Hilfeleister stellen nicht wirklich einen Versuch der Regulierung eines offenbar gewünschten Drogenangebots dar. Beide Instanzen sind lediglich Symbolträger eines Scheiterns, das nicht ausgesprochen werden darf, wie bei der Angst ein Tabu zu berühren.
Was sind intelligente Modelle der Regulation des Drogenmarktes? Wir fangen nicht bei Null an: Für legale Substanzen bekannte, eingeführte und bewährte Modelle können wir auf Regulierungen für jetzt noch illegale Drogen übertragen. Endlich Regulierungsversuche zu unternehmen, statt wie bisher einen Großteil der von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung präferierten psychotropen Substanzen dem Vertrieb der Mafia zu überlassen. In einer Gesellschaft hoher Regulierungsdichte erscheint diese Drogenpolitik immer stärker als eine anachronistische – symbolische – Ausnahmepolitik, die offenbar (noch) gebraucht wird, sozialpsychologisch (noch) ihre Funktion erfüllt, die aber bei Lichte betrachtet nicht effizient und nicht effektiv, sondern höchst kontraproduktiv für die Verbraucher und den Jugendschutz ist.
In Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – geben wir uns noch der Illusion hin, nur durch „gute Suchtkrankenhilfe/Suchtgefährdetenhilfe“ sei das Drogenproblem zu lösen. Dabei existieren Repression und Hilfe nicht friedlich nebeneinander: Beides gehört zusammen, beeinflusst und verformt sich gegenseitig, die rechtlich-gesundheitlich-sozialen Folgen der Strafverfolgung spürt jeder Konsument einer illegalisierten Droge – egal ob Cannabis, Heroin, Ecstasy oder Kokain. Vor allem die Abhängigen: Prostitution, Diebstahl, Gewalt, Gefängnis/Maßregelvollzug, Ausgrenzung, Psychiatrie, Therapie statt respektive als Strafe, Verlust des Arbeits- und Ausbildungsplatzes, Schulverweis, – all dies sind nur Schlaglichter der Dimensionen des Unglücks Betroffener und deren Angehöriger.

Wir brauchen also einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über alternative Wege, wie wir Kontrolle über einen völlig deregulierten, raubtierkapitalistischen Markt bekommen können.

Alte Wege (mit bekannten Kontrollgesetzgebungen), neue Wege mit noch zu schaffenden Kontroll- und Vertriebsmechanismen. Dies ist der erste Schritt für eine Drogenpolitik nach dem „Krieg gegen die Drogen“ – eine Art „Jalta-Konferenz“ des „War on Drugs“, die den sich abzeichnenden Kollaps als Startpunkt für eine Drogenpolitik nimmt, die den Gesundheitsschutz der Menschen in den Fokus nimmt, und nicht mit ausschließlich repressiven Mitteln vorgibt den Umgang mit den Substanzen reduzieren zu können.
Es ist ein Weg, der zudem auf evidenz-basierter Wissenschaft, und nicht auf Glauben und Moral gründet und eine Konsistenz der Drogenpolitik als Leitgedanken trägt. Die „Global Commission on Drug Policy (GCDP)” hat mit ihrem Bericht einen Meilenstein gesetzt, welche Schlüsse aus dem globalen Versagen der Begrenzung des weltweiten Drogenmarktes und seinen negativen Konsequenzen zu ziehen sind. Die Länder müssen ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen, und die können nur dahin gehen, Reformen in den Drogengesetzgebungen so anzugehen, dass sie ihren eigenen rechtlichen Strukturen und Kulturen folgen. Zukünftig wird die Drogenpolitik einen erheblich höheren Stellenwert in unserer Gesundheits-, Sozial-, Finanz-, aber auch in unserer Entwicklungshilfepolitik einnehmen müssen.
akzept e.V. (Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik) macht sich seit mehr als 20 Jahren stark für einen legalen, kontrollierten, regulierten Drogenmarkt stark. Wir wollen, dass die Entscheidung der Menschen für oder gegen Drogen geachtet wird und, solange Dritte nicht zu Schaden kommen (können) – wie etwa im Straßenverkehr – ein legaler Zugang ermöglicht werden muss. Die Suchtprobleme werden dadurch nicht geringer, aber die gesundheitlichen und sozialen Folgen werden „prohibitionsbereinigt“ und wir können endlich an den wirklichen Sucht-(gefährdungs-)Problemen der Menschen arbeiten (akzept 2012).

Literatur
Akzept e.V. (2012): Nach dem Krieg gegen die Drogen: Modelle für einen regulierten Umgang. Berlin (Selbstverlag)
Stephanie Flöter, Tim Pfeiffer-Gerschel (2012): Ökonomische Auswirkungen der Prohibition, in: Ralf Gerlach, Heino Stöver (Hrsg.): Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten – Legalisierung von Drogen. Fachhochschulverlag Frankfurt am Main, S. 33-48
Franz Trautmann (2012): Internationale Drogenpolitik – weltweiter Drogenmarkt, in: Ralf Gerlach, Heino Stöver (Hrsg.): Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten – Legalisierung von Drogen. Fachhochschulverlag Frankfurt am Main, S. 61-82

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