Montag, 8. Oktober 2012

Im Westen nichts Neues

Vor vierzig Jahren erklärte der US-amerikanische Präsident Richard Nixon den Drogen offiziell den Krieg. Seitdem herrscht auch in Sachen Hanf weltweites Kriegsrecht, und Polizei und Justiz dürfen mit Kanonen auf Spatzen schießen. Der „War on Drugs“ ist längst deutsche Staatsräson, die selbst unmoralische und rechtswidrige Mittel erlaubt.

Machen wir uns nichts vor: Das Hanfverbot ist wie das „Amen in der Kirche“ und der schreckliche Beweis dafür, dass Deutschland den USA als treuer Vasall im Anti-Drogenkrieg zur Seite steht – und das bis zum bitteren Ende, wenn es denn die Staatsräson erfordert. In diesem Sinne folgt die Diskriminierung, Stigmatisierung und Strafverfolgung von Cannabiskonsumenten ausschließlich dem Interessenkalkül des Staates, der aus seinem Selbstverständnis heraus alle Mittel anwenden darf, um sein Gewaltmonopol durchzusetzen.

Dazu zählt auch, drohendem Autoritätsverlust mit Willkür und Gewalt zu begegnen, sofern sich das Volk nicht anders zur Räson bringen lässt. Der Staat und seine Diener sind die Wächter unserer Gesellschaft, die im Auftrag aller – vertreten durch einige wenige – über uns herrschen und den Bürgern vorgeben, an welchen Prinzipien, Tugenden und Lebensmaximen sie sich zu orientieren haben.

Grundsätzlich ist daran nichts auszusetzen, zum Beispiel, wenn die Staatsräson dem Kiffer verbieten würde, die Tüte mit einem Nazi zu teilen. Nur leider ist in diesem unserem Vaterland nicht der Nazi, sondern der Joint verboten. Im Klartext heißt das, dass sich der Staat nicht durch rechtsextreme Antidemokraten nachhaltig bedroht fühlt, sehr wohl aber durch Kiffer und Cannabispatienten. Die blonden Jungs der braunen Schlägertrupps dürfen also unter den Augen der blauäugigen Staatsdiener dreist Hackfresse zeigen, verfassungsfeindliche Hetze betreiben und ungestraft morden. Die bösen Haschrebellen hingegen müssen sich ein Leben lang wegducken, um nicht von der Repressionskeule erschlagen zu werden.

Jeder einigermaßen vernunftbegabte Mensch weiß um das himmelschreiende Unrecht, das Vater Staat seinen kiffenden Bürgern angedeihen lässt, und ganze Berufs- und Wissenschaftszweige tüfteln an der Moral und Unmoral der Hanfprohibition, um wenigstens in diesem Fall einen konsensfähigen Rückzug aus dem War on Drugs zu finden. Doch alle Versuche, das Hanfverbot über Anhörungen, Petitionen, Verfassungsklagen, Bürgerdialoge, kleine und große Parlamentsanfragen auszuhebeln, sind allenfalls Sisyphusarbeit, die nur vortäuscht, sie führe ans Ziel.

Der Staat darf und kann es nämlich nicht dulden, dass steter Tropfen den Stein höhlt, der womöglich noch ins Rollen kommt und mit einem Schlag die transatlantischen Werte umwertet, die eben diesen unseren Staat zusammenhalten. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb muss der Staat alle Vernunft negieren, wenn ihm die Argumente ausgehen. Und was bietet sich da besser an, als in die Trickkiste zu greifen und den hypothetischen Imperativ aus dem Hut zu zaubern? „Du sollst nicht kiffen, und basta!“

So lautet der Befehl, der keinen Widerspruch duldet. Das sind dann die armseligen Momente unserer Demokratie, wenn die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP) wider besseres Wissen alle Erkenntnisse verwirft und den Evergreen anstimmt, dass der Genuss von Cannabis nicht in unserer germanischen Kultur verwurzelt ist und somit bis zum jüngsten Tag verboten bleibt.

Und da hat sie natürlich recht, wenn man die völlig überalterte Hanfkultur mit der frisch verwurzelten Nazi-Ideologie vergleicht, die sich wie ein Gen-Defekt von einer Germanengeneration auf die nächste vererbt und mit der liebevoll gepflegten Tradition der deutschen Saufkultur bestens harmoniert. Böse Zungen behaupten gar, die Duldung des unsäglichen Nazikults durch den Staat sei systemrelevant, um den Machtanspruch derer zu gewährleisten, die sich übers Volk stellen und den ganz eigenen, exklusiven Rechtsstatus für sich beanspruchen.
So makaber es klingt, aber unser Rechtsstaat läuft an der Krücke der Staatsräson, die im Bedarfsfall schon mal fünfe gerade sein lässt, wenn in der Propagandaschlacht die Parolen ausgehen.

Dann kann man wie im Fußballsport auch schon mal das Bein stehen lassen oder die Hand Gottes zu Hilfe nehmen. Wie im Fall der deutschen Geheim- und Polizeidienste, die den Kontrollausschuss des Deutschen Bundestages dreist belügen und die Verstrickung in die Naziszene ungestraft verschleiern – und das stets und immer zum Wohle des deutschen Volkes, versteht sich. Egal, wohin man blickt, die Staatsräson ist die Betriebsanleitung unserer drei Gewalten, die jede für sich daraus das Prinzip ableitet, ungestraft Lügen und Desinformation zu streuen, wenn es denn dem Erhalt des Staatsgebildes dienlich ist.

Doch was wäre all dieser Schmu ohne die Beihilfe der vierten Gewalt im Staate – den „freien Medien“? Während der Staatsbüttel einen Eid auf die Verfassung ablegt, der ihn zum Schweigen über die im Dienst begangenen Verfehlungen verdonnert, muss der Journalist, der mangels Rückgrat im Axel-Springer-Verlag seinem Berufsstand schaden will, vorab schwören, dass er sich entgegen aller Gewissensfreiheit immer den vier goldenen Regeln des Gründungsvaters unterwirft.

Dazu zählen u.a. die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wie von selbst wird aus einem kleinen Schreiberling ein Söldner im Anti-Drogen-Krieg, ein Hassprediger gegen fremde Kulturen und Maulkorbträger in eigener Sache. Selbstverständlich muss in jedem Artikel auch die freie (a)soziale Marktwirtschaft verteidigt werden, die immer von denselben Spitzbuben bedroht wird – und das sind nicht unsere gierigen Geldproleten, die Schwarzgelder in Liechtenstein weißwaschen, sondern fiese Sozialbetrüger, rote Socken und talibanesische Großfamilien. Wer seine Seele der staatstragenden Bildzeitung verkauft, degradiert sich selbst zum Kalfaktor eines gemeingefährlichen Tendenzjournalismus, der die Leser dahingehend manipuliert, brav über das hingehaltene Stöckchen zu springen und als verblödeter Untertan zu funktionieren.

Die Springer-Doktrin sind allemal deutsche Staatsräson und gültiger denn je. Gratis-U-Boote für Israel, Menschen- und Völkerrechtsverletzungen in Afghanistan, Irak und Guantanamo, der zerstörerische Finanzmarktkapitalismus – all das und viel mehr ist schon okay und in der gleichgeschalteten deutschen Presse keine große Widerrede wert. Die wirkliche Achse des Bösen wird nicht benannt. Stattdessen wird den Menschen in der westlichen Welt vorgegaukelt, sie befänden sich auf der höchsten Stufe der menschlichen Zivilisationsphase – Made in USA.

In letzter Konsequenz bedeutet das, dass die Entscheidung über eine Hanf-Legalisierung zu Rauschzwecken nicht bei den Deutschen liegt, sondern bei den US-Amerikanern, die den War on Drugs angezettelt haben. Eine bürgerliche deutsche Regierung hat nicht die Macht, nicht den Mumm, ohne grünes Licht aus Washington einen Paradigmenwechsel in Sachen Hanf einzuleiten. Bündnistreue gepaart mit Kadavergehorsam ist unsere Staatsräson, auf die sich noch jede US-amerikanische Administration verlassen kann.

Eine Fahnenflucht Deutschlands aus dem Anti-Drogenkrieg ist illusorisch, auch dank unserer vier Staatsgewalten, die in aller Eintracht tadellose Arbeit abliefern und als Schreibtischtäter ihren Großvätern in nichts, aber auch gar nichts nachstehen.

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