Dienstag, 5. März 2013

Interview mit Bitty McLean

„Ganja ist Teil der Reggae-Tradition“

Bitty McLean kann wohl als einer der letzten Gentleman des Reggae bezeichnet werden. Seit nun schon fast 20 Jahren beglückt der in Birmingham geborene Sohn jamaikanischer Eltern seine Fans mit feinstem Lovers-Rock Reggae.

Dein letztes Album ist 2009 erschienen. Was hast du seitdem gemacht?

Ich bin viel getourt, habe neue Songs geschrieben und mich darauf konzentriert, ein guter Vater zu sein. Ich habe einfach mein Leben gelebt, wie jeder andere auch. Musiker zu sein, ist mein Beruf. Musik ist nicht mein Leben, sie ist ein Teil davon. Ich war in letzter Zeit auch viel unterwegs unter anderem mit Sly & Robbie. Wir arbeiten schon seit fünf oder sechs Jahren zusammen. 2012 sind wir zusammen mit Ernest Ranglin getourt und haben einige Shows mit Monty Alexander gespielt. Es war also eher ein Jazz-Reggae-Mix und hat großen Spaß gemacht.

Hast du vor ein neues Album aufzunehmen?

Ich hatte es nie eilig, Alben aufzunehmen und habe mir bisher für jedes Album viel Zeit genommen. Ich denke, langsam wäre es aber wohl wieder an der Zeit. Ich bin in den letzten Jahren immer wieder ins Studio gegangen, habe Lieder aufgenommen, sie mir immer wieder angehört und verbessert. 2010 war ich ein paar Wochen auf Jamaika, dort haben wir die Instrumentals eingespielt und aufgenommen. 2011 habe ich dann damit verbracht, die Songs zu schreiben. In der Zwischenzeit ist ein Song von mir und U-Roy auf seinem Album erschienen, außerdem habe ich einen Tune mit Josey Wales aufgenommen. Der Songs heißt ‘Running Over’ und ist Ende 2012 erschienen. Es ist also einiges in Arbeit. Ich denke dieses Jahr ist es soweit. Es ist Zeit für ein neues Album. (lacht)

Du hast eben Jamaika erwähnt, welche Beziehung hast du zu der Insel?

Nun, meine Eltern kommen aus Jamaika. Mein Vater kommt ursprünglich aus Montego Bay und meine Mutter aus Green Island, was im Nordwesten der Insel liegt. Ich selber habe aber nie auf Jamaika gelebt. Ich bin in Birmingham geboren und aufgewachsen. Das erste mal bin ich 1994 nach Jamaika gereist. Meine einzige Verbindung zu Jamaika sind meine Eltern und natürlich die Musik, die wir zu Hause während meiner Jugend gehört haben. Wir haben viel Reggae gehört und meine Eltern haben meinen Geschwistern und mir viel über die Geschichte des Landes und über die jamaikanischen Nationalhelden wie Marcus Garvey beigebracht.

Bist zu schon mal auf Jamaika aufgetreten?

Nein, ehrlich gesagt bis jetzt noch nicht. Vielleicht wird das eines Tages noch passieren. Ich sage immer, wenn Sly & Robbie auf Jamaika auftreten würden, würde ich es machen. Ich hatte schon einige Angebote, aber ohne die beiden, ohne Taxi Gang als Band, würde ich es nicht machen.

Waren es auch deine Eltern, die dich dazu veranlasst haben selber Musik zu machen?

Ja, hauptsächlich war es mein Vater. Als ich klein war, hatte er ein Sound System. Er kaufe damals Platten, noch bevor sie offiziell veröffentlicht wurden. Die ganze Familie kam dann zusammen, um sich die Scheiben anzuhören, damit hat es bei mir angefangen. Meine Karriere als Artist habe ich hinterm Mischpult begonnen. Ich habe schon immer gesungen, aber zuerst hatte ich einen Job als Soundingenieur in einem Aufnahmestudio. Dort habe ich angefangen, meine eigenen Demos aufzunehmen, das war im Jahr 1993. Der Rest ist Geschichte. Meine erste Single, die ich rausbrachte, war ein Hit und hat mich international bekannt gemacht. Das ist jetzt schon zwanzig Jahre her. Wenn ich daran denke, fühle ich mich fast alt. (lacht)

Du arbeitest also schon eine ganze Weile mit Sly & Robbie zusammen. Wie ist es für dich, mit diesen beiden Legenden jamaikanischer Musik im Studio zu sein?

Es macht wirklich Spaß. Sly & Robbie sind sehr bodenständige Musiker, die mich immer wieder auf‘s Neue inspirieren. Wir können professionell über unsere Musik reden, ohne dass uns dabei irgendjemandes Ego im Weg steht. Robbie war gerade erst in London und ich habe einige Songs für sein Album geschrieben. Wir haben einen guten Draht zueinander. Für mich ist es eine große Bereicherung, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die so viel Erfahrung haben. Sie nehmen ja nicht nur Reggae und Dancehall auf, sondern haben auch Lieder aus vielen anderen Genres produziert. Dadurch kann ich selbst auch viel Neues lernen.

Wo liegen für dich die Hauptunterschiede zwischen der Reggaeszene auf Jamaika und in Großbritannien?

Ich denke die Musik an sich ist nicht wesentlich anders und dem entsprechend ähneln sich auch die Musiker und ihre Arbeit. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Orten ist, dass Reggae auf Jamaika im Alltag 24 Stunden überall präsent ist, wohin gegen in Großbritannien die Szene relativ klein ist. Es gab lange David Rodigans Radioshow bei Kiss FM, aber die lief nur einmal die Woche. Außerdem haben wir ein paar Piratensender. Wenn man die Musik sucht, findet man sie auch, aber es gibt keine Sound Systems, die auf der Straße auflegen oder ähnliches. Man ist nicht ständig von Reggae umgeben. In England, speziell in London oder Birmingham, gibt es größere Communities von Migranten aus der Karibik. Sie haben viele Aspekte ihrer Kultur mit nach England gebracht und dem entsprechend ist der Einfluss von Reggae in diesen Gegenden stärker. Es kommt aber auch zur Vermischung mit der Kultur Englands, während man auf Jamaika man sozusagen die ‘pure’ Form der Musik bekommt. In England haben wir auch eine Vielzahl von guten Musikern, wie die Ruff Cut Band und auch eine Menge großartiger Sänger wie Maxi Priest, Macka B, Tippa Irie und viele mehr, die die Szene geprägt haben.

Welche Rolle spielt Gunjah in der UK Reggaeszene und findest du, dass es unter strengen Jugendschutzvorschriften legalisiert werden sollte?

Es gibt schon eine Menge Leute in der Szene, die Gras rauchen, aber es trifft keinesfalls auf jeden zu. Für mich ist es etwas schwer das zu beurteilen, da ich selber nicht rauche und auch nie großes Interesse daran hatte. Ich denke, Ganja ist auf jeden Fall Teil der Tradition von Reggaemusik und sollte auch als solcher anerkannt werden. Viele Artists singen darüber in ihren Songs. Peter Tosh, Barrington Levi mit seinem ‘Under mi Sensi’, die Liste ist lang. Ich persönlich verherrliche es in meinen Songs nicht, ich bin aber auch nicht dagegen. Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, was er macht oder auch nicht.

Vor einigen Jahren hast du in einem Interview gesagt, dass Reggaemusik in England sich nicht in einer guten Verfassung befindet. Hat sich daran inzwischen etwas geändert?

Es hat ich verändert durch Christopher Ellis und Gappy Ranks, die die allgemeine Begeisterung für Reggae & Dancehall wieder angefacht haben. Das kommt uns allen zugute. Auch unter den Sound Systems hat sich einiges getan. Sounds wie Luv Injection, Immortal, Fat Man und natürlich David Rodigan haben alles daran gesetzt, die Szene am Leben zu halten. Rodigan hat zwar vor einer Weile mit seiner Radio Show aufgehört, aber das ist im Prinzip auch nicht weiter schlimm, da er schon immer mehr ein Tour-DJ war und auch in Zukunft unterwegs sein wird, um Reggae-Musik zu promoten. Im normalen Radio hat Reggae noch nie eine große Rolle gespielt. Es waren schon immer die richtigen Fans, die David gefolgt sind und ihn unterstützt haben.

Und wie sieht es auf internationaler Ebene aus?

Es wurde schon immer versucht, Reggae klein zu halten, weil Reggae die Musik der armen Leute ist. Reggae war von Anfang an die Stimme der Armen und wird es wohl auch in Zukunft bleiben, auch wenn es Artists gibt, die die Mainstream Charts stürmen.
Sicherlich machen es Artists wie Tommy Lee, der mit seinem Dämonenimage und seinen gottlosen Texten das christliche Jamaika schockt, auch nicht gerade einfacher, die Musik zu verbreiten.
Ich habe prinzipiell nichts gegen diese ganze Dämonensache. Ich erinnere mich als Michael Jackson Thriller aufnahm und das Video dazu drehte, gab es einen großen Wirbel. Jeder hat die Moves geübt und allen hat das Video gefallen. Insofern kann ich Tommy Lees Strategie schon verstehen. Ich glaube allerdings, dass jetzt dafür nicht gerade der beste Zeitpunkt ist. Momentan passieren auf Jamaika so viele schreckliche Dinge. Kinder werden verletzt und Frauen vergewaltigt. Da hinterlässt diese Dämonengeschichte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, weil man sich gerade wohl eher auf positive Vibes konzentrieren sollte, aber ich würde nie einem Artist einen Vorwurf machen, weil er bestrebt ist sich ein unverwechselbares Image aufzubauen. Es ist einfach eine andere Zeit. Als ich ins Musikgeschäft eingestiegen bin, haben visuelle Darstellungen keine Rolle gespielt. Heute sind Musikvideos fast wichtiger als das Lied selbst. Jamaika wird stark von den USA beeinflusst. Gerade im Musikbusiness richtet man sich stark nach dem, was in den Staaten gerade angesagt ist. Natürlich wird es immer Künstler wie Beres Hammond geben, die Reggae in traditionellen Sinne machen, aber was Dancehall angeht, findet man zur Zeit nicht viel Jamaikanisches in der Musik. Ich will das nicht kritisieren. Ich denke einfach, dass es der falsche Zeitpunkt ist, um so ein Image als das Beste zu präsentieren, was Jamaika im Moment zu bieten hat.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.

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