Samstag, 9. Oktober 2004

Interview mit Gentleman

“…mit einer globalen Wahrheit darin.”

Im symbadischen Karlsruhe wird einmal im Jahr ein für ummeund draußen Festival veranstaltet. Einer der Main Acts sollte dieses MalGentleman sein. Etwa anderthalb Stunden vor seinem Gig wurde ich von seinemlocker und entspannt wirkenden Manager Arnim zu einer vernebelten,transportablen Blechbüchsenräumlichkeit geführt, wo mich ein etwas heißererTilmann Otto freundlich begrüßte. Nachdem das Fenster aufgerissen war, stand ermir lässig plaudernd zu allen meinen Fragen Rede und Antwort.

 Hanf Journal: Wie geht’s dir?

 Gentleman: Gut.

 Hanf Journal: Bist du nicht ziemlich im Stress? Immer aufTour?

 Gentleman: Ich glaube, Stress macht man sich selbst.Manchmal wünscht man sich schon mal die Zahnbürste ins Glas zu tun und nichtnur vom Koffer zu leben, aber es macht einfach so viel Spaß im Moment. Einangenehmer Stress.

Das Album ist jetzt fertig, es kommt am 30. August raus. Undein Album zu machen, heißt extrem viele schlaflose Nächte. Ich habe jetzt etwaein Jahr daran gearbeitet und deswegen bin ich im Moment eigentlich ziemlichentspannt.

 Hanf Journal: Wie sieht das Album musikalisch aus?

 Gentleman: Ich habe noch fokussierter gearbeitet als an denVorgängern. Es ist mehr Roots Reggae, kein Dance Hall-Track mehr.

 Hanf Journal: Glaubst du, das kommt mit dem Alter, dassdeine Entwicklung vom Dancehall zum Modern Roots führt? Oder ist das eineEntwicklung von dir?

 Gentleman: Ich habe mit Roots angefangen (gemeinsam mitSilly walks).

Das erste Album war Dance Hall-lastiger als das zweite. Imdritten findet man kaum noch Dance Hall. Wenn es um Long Player geht, dann willich, dass der long geplayed wird. Roots Reggae ist nun mal langlebiger. EinDennis Brown-Stück kann ich in zwanzig Jahren noch hören und bei Elephant Manbrauch ich morgen einen neuen Song von. Ich bin jetzt dreißig und merke auch,dass ich früher mehr Dance Hall hören konnte, und auch länger.

 Hanf Journal: Die Themen des Dance Hall sind ja oft kritischzu sehen und du distanzierst dich ganz klar von dieserHomophobie-/Slackness-Geschichte. Was mich interessiert ist: Du bist ein Kumpelvon Bounty Killer und Capleton und ihr macht Songs zusammen. Du bist mit 17 daserste Mal nach Jamaika gekommen, du kennst die Kultur sehr gut und nimmst dirdie besten Dinge aus dieser Kultur heraus. Aber wie sieht es da mit demAlltagsleben aus? Gibt es da vielleicht Diskussionsbedarf, z. B. zwischen dirund Bounty Killer, nachdem ihr den Track eingespielt habt?

 Gentleman: Nein, es gibt einfach eine Akzeptanz wegenverschiedenen Konditionierungen. Und es gibt einfach einen Punkt, wo du merkst,dass ist jetzt deine Einstellung und das ist jetzt meine Einstellung. Und dabeiwird es auch bleiben. Da kann man nichts dran ändern. Deswegen braucht man garnicht lang darüber zu diskutieren. Es ist einfach eine Sache, die kann man gutoder schlecht finden, aber das ist einfach seine Einstellung.

 Hanf Journal: Also du probierst da nicht daran zu rüttelnund . . .

 Gentleman:No way! Ich habe einfach Erfahrungen gemacht, wo ich merke, dass daseinfach keinen Sinn macht. Man kann vielleicht eine Perspektive ändern und mankann jemanden beschwichtigen. Aber das ist einfach ein ganz andererHintergrund. Ob das jetzt ein biblisches Ding ist, was da das Argument ist oderob das vielleicht auch eine Nicht-Akzeptanz von uns ist: „Wie kann der nurgegen Schwule sein!“ Das ist genauso ein Judgement. 

 Hanf Journal: Standest du jemals vor der Entscheidung, ob duvielleicht nach Jamaika gehst und zwar für länger?

 Gentleman: Nee, weil ich sowieso immer da bin. Ich habejetzt sechs Monate dort verbracht und ich gehe nächstes Jahr wieder für einpaar Monate dahin und daher stellt sich gar nicht die Frage, wo will ich jetztsein. Es war am Anfang so, dass ich mich immer hin- und hergerissen gefühlthabe. Und jedes Mal, wenn ich aus Jamaika zurückgekommen bin, bin ich hier inDeutschland erst mal in ein Loch gefallen und habe gedacht, ich bin ganzschnell wieder zurück. Mittlerweile sind die Grenzen aber einfach verflossen.Es wird auch immer weniger deine und meine Kultur, sondern immer mehr unsereKultur. Weil wir als ein circle of musicians auf der Erde überall unsere Musikmachen.

Ich bin zwei Wochen in Jamaika bei Luciano im Haus und wirverabschieden uns am Flughafen. Dann sehe ich ihn drei Wochen später auf einemWaldfestival in Italien und noch mal zwei Wochen später in einemDubplate-Studio in Frankreich. Es ist einfach völlig egal, wo du bist: wirmachen die Musik und teilen diese mit den Leuten.

 Hanf Journal: Die Texte deiner neuen Platte sind überwiegendreligiös geprägt. Siehst du dich als Prediger oder ist das einfach ein Teil vondir, den du kundtun musst?

 Gentleman: Sowohl als auch. Es ist auf jeden Fall ein Teilvon mir. Ich lerne jeden Tag dazu. Ich gehe nicht dogmatisch an die Sache ran.Ich würde jetzt nicht sagen, das ist deine Wahrheit, obwohl meine Richtlinieschon irgendwie klar ist.

 Hanf Journal: Du benutzt die Termini der Rastas.

 Gentleman: Ja, aber das ist irgendwie etwas, wo sich dieLeute mit identifizieren und das gleiche leben ,ohne dass sie irgendwas vonRasta gehört haben, in Indien oder in Afrika. Wo genau die gleiche Denkweiseist, genau die gleiche Philosophie, der gleiche Lifestyle. Rasta ist für micheinfach auch eine Lebenseinstellung, eine Philosophie. Mit einer globalenWahrheit darin.

 Hanf Journal: Du legst es schon darauf an, dass die Leutedas verstehen sollen und sich damit identifizieren sollen?

 Gentleman: Auf  jedenFall. Es muss sich nicht jeder damit identifizieren können. Aber es kommtmittlerweile einfach auch ein Feedback rüber, wo ich weiß es können sich vieledamit identifizieren, auch wenn es nur en Bruchteil ist. Ich merke auch alsKünstler, in dem Moment, wenn du ein paar Platten verkaufst und die Leute aufdein Konzert kommen, hast du irgendwie auch mehr Verantwortung, als nur dirselbst gegenüber. Ich will einfach Texte machen die ich auch in zwanzig Jahrennoch gut verstehen kann, die für mich auch dann noch Sinn machen. Viele sagen,sing doch mal was über deine Stadt, über Deutschland, über die hiesigenVerhältnisse. Aber ich bin jemand, der viel reist und internationale Musikmacht. Und ich merke, ob ich jetzt in Sierra Nevada auf einem Musikfestival inKalifornien bin, wo die Leute die Lyrics checken und sich damit identifizierenkönnen, oder ob das eben in Gambia ist oder Jamaika. Das ist einfach ein ganzuniverselles Ding.

 Hanf Journal: Du bist offiziell gerade auf Promo-Tour inDeutschland. Da musst du hundertmal über deine Musik sprechen, sieauseinandernehmen und erklären. Ändert sich da dein Gefühl zur  Musik?

 Gentleman: Das Gefühl zur Musik ändert sich nicht.

Das eine ist der „mind“ und das andere ist das Herz. Daseine ist der Spirit. Und in dem Moment, wenn man ein Interview gibt, versuchtman Worte zu finden für das, was man macht. Aber es verändert nichts an derLiebe zu der Musik.

 Hanf Journal: Du bekennst dich öffentlich alsMarijuana-Konsument. Was hältst du von der Legalisierung und engagierst du dichvielleicht aktiv dafür?

 Gentleman: Ja, ich singe auf der Bühne: „LegalizeMarihuana!“. Aber ich habe bis jetzt auch viel gelernt – gerade in den letztenzwei Jahren, was die ganze Debatte angeht. Auch was ich gerade eben nochangesprochen habe, dass ich nicht nur mir selbst gegenüber Verantwortung habe,spielt eine Rolle. Mit dreißig weiß ich irgendwie damit umgehen zu können. Ichhabe auch das Gras-Rauchen anders kennen gelernt als viele Kids heute. Wenn dasjetzt mit den Nyabinghis in Jamaika in einem Jam-Circle ist, um ein higherConscious zu erreichen und dort eine Chalice geraucht wird, ist das etwas ganzanderes, als hochgezüchtetes, genmanipuliertes Gras (welches esnachgewiesenermaßen nicht gibt; Anmerkung der Redaktion) zu rauchen und sicheinfach wegzubeamen. Ich denke, der Grund des Rauchens ist wichtig, und zwarals Erweiterung und nicht als Verdrängung.

 

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