Samstag, 9. Oktober 2004

Kalusha

Nicht zur Nachahmung empfolen
(ypsilon records/edel)

Die Geschichte zu diesem Album ereignetsich im Berliner Wedding nicht ineiner amerikanischen Großstadt und geht auf authentisch deutsche Weise an die Wurzeln derEntstehungsgeschichte von Rap. Aufgewachsen in Ghanain der Nähe von Accra, wird Forster Yeboah aka Kalusha mit sieben Jahren schwer krank und auf den letzten Drückernach Berlin verfrachtet. Hier rettet man sein Leben und heilt ihn von seinemschweren Herzfehler und der Malaria. Als Ausgleich für die Rettung verbringt erdie nächsten 15 Jahre seines Lebens in den Hinterhöfen von Wedding. Vonrechtsradikalem Bullshit bis hin zum Boss-of-the-Gang ist alles dabei, was einLeben in Deutschlands Großstadt No. 1 an Möglichkeiten bietet. Erste Stationder sich anbahnenden Odyssee ist die JVA Berlin-Tegel, nachdem er mit einemAraber einen Schlecker-Markt überfallen hat. Trotz einer bestehendenBewährungsstrafe wird er nicht abgeschoben und kommtauch raus aus Haus 3 (dem Haus der Lebenslänglichen) in den offenen Vollzug. 80von Kalushas handgeschriebenen Seiten mit autobiografischem Inhalt geben dafürden Ausschlag. Bei der Urteilsverkündung sagt der Richter: „Was Sie in Ihremnoch kurzen Leben erlebt haben, reicht für vier Leben.“ Seit der Einzelhaft weiß Kalusha, wie lang eine Sekundesein kann. Nach der Devise „Zeit ist Gold“ arbeitet Kalusha an den Beats undRaps seines ersten Albums, das innerhalb von sechs Monaten entsteht. Von denmonatlich zur Verfügung stehenden 48 Stunden in Freiheit verbringt er auchzurzeit 40 Stunden im Studio. Denn kommerziell erfolgreich zu sein, istseine einzige Chance, in Deutschland bei seiner Familie zu bleiben. „Nicht zur Nachahmung empfohlen“ ist der Zustandsberichteiner harten Jugend in einem der härtesten Bezirke Berlins und gibt einentiefen Einblick in die Sichtweisen eines bösen „Niggas“ schonungslosund wütend. Neben Knarren geht es um die ganz natürlichen Überlebensregeln indiesem sozialen Brennpunktsektor und natürlich um die Ladies. In einem Grossteil seiner Raps beschreibt derscharfsichtige Scharfschütze auf fast splatterhafte Art und Weise den Alltag,als seine Welt in Ordnung zu sein schien. Erst hinter Gittern wird er wachundbemerkt den verhängnisvollen Weg, den er im Begriff war einzuschlagen. Dasändert nichts an seiner Wut über die bestehenden Mechanismen, die den Starkenübervorteilen und dem Schwachen so viel wie möglich nehmen. Kalushaoffenbart hier, wie sehr er immer wieder versucht hat, sich eine Strukturaufzubauen. Doch Hautfarbe, familiäre Entwurzelung, Geldmangel, schlechterUmgang und das Leben in Berlin sind für ein Kind nunmal nicht die bestenVoraussetzungen. In seinen Ausführungen wird klar, dass Kalu ein mitdenkenderMensch ist, der das Leben an und für sich meistern kann, da er die Regelnversteht und bei jeder Gelegenheit Verantwortung zeigt. „Wenn icheines Tages wieder frei bin, wird es nichts mehr geben, was mich jemals wiederin diese Hölle (Gefängnis) bringen kann. (. . .) Ich fühle mich durch die vielenGaben, die mir der Allmächtige mit auf meinen Weg durch das Leben gab, zu etwasviel Besseren berufen und ich werde in Zukunft darauf hinausarbeiten. Ich habemir meine armen Finger viel zu oft verbrannt.“ Bei jeder Gelegenheit erwähnt Kaluseine Großmutter, die die einzige in seinem Leben war, die zuhören konnte. Dochich bin mir sicher, dass es nach diesem Album mehr sein werden.

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