Samstag, 9. Oktober 2004

Die Maulhalde

Die Jeschichte vom Aquariumkopp

ÜberArbeitsnachweise

 
Paultrug Pantoffeln, als er den Kinosaal betrat. Die Tage schlurften dahin undbekamen eine merkwürdige Ähnlichkeit mit diesen gewürfelten Filzpantoffeln,vielleicht weil sie dicht unter seinem Blickfeld ruhten, wenn er fernsah. Manbeginnt wunderlich zu werden, so ganz ohne Arbeit.

Ein Gong ertönte, das Licht wurde gelöscht, derVorhang geöffnet und auf der Bühne erschien ein Conférencier. Er trug einenZylinder, weiße Handschuhe und einen sehr schmalen Oberlippenbart. „Na, alle da?“fragte er mit weicher Stimme in den Saal.

„Jaa!“ tönte es zurück.

„Wie bitte, ich habe nichts verstanden.“ Erhielt die Hand hinter die Ohrmuschel. „Ich fragte: seid ihr alle da?“

„Jaaaaaaahaa“, tönte es aus dem Publikum, nunvernehmlich lauter.

„Hm, schon besser“, sagte der Conférencier undrieb sich die Hände, „dann können wirja beginnen.

Heute sehen Sie Paul Renner, 46 Jahre alt,ausgebildeter Bohrwerksdreher, arbeitslos seit . . . Augenblick . . .“ – und er zaubertein Karteikärtchen aus seinem Zylinder hervor -„. . . hoppla, seit nunmehr sechs Jahren. Herr Renner, darf ich Sie bitten?“

Ein Scheinwerfer richtete sich auf Paul, derverwundert seine Kopfbedeckung abnahm und sich zur Bühne bewegte. DerConférencier bat um freundlichen Applaus und das Publikum applaudiertefreundlich.

„So, lieber Herr Renner, nun gehen Sie uns allenmit gutem Beispiel voran und geben Sie Ihr Vermögen ab!“

„Ich habe doch schon alles abgegeben“ sagte Paulleise und blickte zu Boden.

„Sie sagen also, Sie haben bereits alleVermögenswerte über dem Freigrenzenbetrag abgeführt?

„Genau so ist es. Sogar den Flachbildfernseher!“beteuerte Paul „Fragen Sie doch meinen Arbeitsberater von der Jobagentur.“

Ihm schien plötzlich, als setzte einTrommelwirbel ein und der Conférencier zauberte mit federleichten BewegungenBanknoten aus seinem Ohrgehäuse hervor. Mit jedem Geldschein schlug die Trommel– insgesamt zwölfmal. Dann wandte der Conférencier sich ans Publikum: „DiesesVermögen – im Ganzen sind es 600 Euro -haben wir bei Herrn Renner in einer Socke im Flusensieb der Waschmaschinegefunden.“ Das Publikum applaudierte.

„Bravo!“ rief ein arbeitsloser Handwerksmeister.

„Bravo!“ sagte derConférencier. Er trat einen Schritt zum Bühnenrand. „Ihr seidalle Tunichtgute, Fachleute sozusagen und nun frage ich euch: 600 Euro in einemFlusensieb der Gemeinschaft vorzuenthalten, wo sie doch zerfuseln nach einigerZeit und ganz unbrauchbar werden, ist das solidarisch?“

„Wir sind keine Tunichtgute“ riefen einigegekränkt, „aber solidarisch ist das nicht!“

„Sehen Sie“ sagte der Conférencier zu Paul: „Esist in Ihrem eigenen Interesse, Ich bitte Sie inständig: Tun Sie, was alle hierim Saal früher oder später taten oder noch tun werden: Geben Sie Ihr Vermögenab!“

„Genau. Er soll es abgeben. Wir wollen nachHause!“ rief jemand in der zweiten Reihe.

„Aber ich . . .“, stammelte Paul, „ich habe dochnichts.“

„Er hat nichts, er hat nichts!!“ rief eineaufgebrachte Frau „Ich kann es nicht mehr hören. Jeden Abend dasselbe.“

„Er hat ja noch nicht mal vernünftigesSchuhwerk!“ sagte eine andere.

„Schimpfen Sie nicht mit ihm“, ermahnte derConférencier, „ich bin sicher, er wird bereuen.“ Augenblicklich wurde es ruhigim Saal.

„Nun, es ist doch so, ich dachte,ich könntedoch wieder arbeiten gehen! Ich würde jede zumutbare Arbeit annehmen!“ sagtePaul verlegen.

Ein entlassener Hausmeister sprang aus seinemSessel. „Wieda arbeitn jehen! Er will wieda arbeitn jehen, der Witzbold. WelcheArbeet darf’s denn sein, da Herr? Ne Hausmeesterstelle mit dreizehntem Monatsjehalt?Er soll abgeben. Mensch, ick will nar Hause. Jedet Mal dit selbe Theata.“

„Sie machen mir Kummer, Herr Renner“, sagte derConférencier und strich nachdenklich über seinen Bart. „Kehren Sie jetzt aufIhren Platz zurück und denken Sie über unsere kleine Enthüllung nach. Undvielleicht auch über die Münzsammlung, die unter der zweiten Diele im Flurverborgen liegt. Die Nummer ist für heute Abend geplatzt.“

Dann tönte der Gong, und der Conférencierverkündete: „Das wär’s für heute, ihr Faulenzer! Wir sehen uns morgen!“

 

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