Mittwoch, 25. August 2004

Feuerauf Caspers-Merk

Eine Risikodebatte zum Cannabis-Konsum ist nötig

Am
Freitag, dem 25. Juni 2004, erschien auf der Website des Bundesministeriums für
Gesundheit und Soziale Sicherung eine Pressemitteilung zum Weltdrogentag 2004
mit dem Titel “Zunahme bei den Behandlungen wegen problematischen
Cannabiskonsums”. In der Pressemitteilung heißt es u. a.:

“Über
9 Mio. Menschen haben Erfahrung mit Cannabis, fast 400.000 weisen einen
missbräuchlichen oder abhängigen Konsum auf. In der Altersgruppe der 18- bis
29-Jährigen hat die Verbreitung von Cannabis zwischen 1992 und 2002 auf das
2,7fache zugenommen. Zugleich hat sich die Behandlungsnachfrage durch Personen
mit Cannabis-bezogenen Störungen überproportional stark erhöht. Die heute
veröffentlichte Studie[i]
verzeichnet eine Zunahme in den erfassten ambulanten Beratungsstellen auf fast
das 6fache von 2.561 Fällen im Jahr 1992 auf 14.714 Fälle im Jahr 2001.”

 

Widersprüchliche
Zahlenangaben in der Studie

Die
typischen Cannabis-Klienten ambulanter Drogenberatungsstellen waren gemäß
dieser Pressemitteilung zwischen 18 und 24 Jahre alt. 27,4 Prozent der Klienten
fanden den Weg zur Beratungsstelle gemäß Tabelle 11 der Studie aufgrund von
Auflagen der Justizbehörden oder der sozialen Verwaltung – im Text vor der
Tabelle heißt es jedoch, der Zugang zu den Beratungsstellen durch Justiz und
Polizei habe sich in den letzten Jahren etwa verdoppelt. Die Autoren der Studie
scheinen wohl nicht in der Lage zu sein, Polizei und Justiz voneinander zu
unterscheiden. Jedenfalls entfiel auf diese Gruppe mehr als jeder vierte
Besucher einer Beratungsstelle wegen Cannabis, insgesamt waren dies über 4.000.
Gemäß Tabelle 50 der Studie ist das Ziel des Besuchs der Beratungsstelle
respektive der “Behandlung” in der Beratungsstelle bei mehr als der
Hälfte der Klienten (51 Prozent) das Erfüllen von Auflagen Dritter. 24,1
Prozent der Klienten gaben als Grund des Besuchs der Beratungsstelle
richterliche Auflagen an, 15,5 Prozent Auflagen im Zusammenhang mit dem
Straßenverkehr und 11,4 Prozent andere Auflagen.

In
der Studie werden zwar Datenvergleiche ab 1992 bis zum Jahr 2002 vorgenommen,
jedoch wird nicht auf die veränderten gesetzlichen Bestimmungen eingegangen.
Beispielsweise gab es 1992 noch kein Programm namens “FreD”
[Frühintervention für erstauffällige Drogenkonsumenten] und somit auch nicht
die damit verbundenen Auflagen seitens der Polizei zum Besuch einer Drogenberatungsstelle.
Auch die richterliche Praxis war 1992 anders geartet als dies im Jahr 2002 der
Fall war. Rechnet man nun aus den angegebenen Daten die durch veränderte
Umstände hinzugekommenen Cannabis-Klienten wieder heraus, dann kann man
feststellen, dass sich die Zahl nicht “überproportional stark erhöht
hat”, sondern ziemlich genau proportional zugenommen hat!

Ausgehend
vom Wert aus der Tabelle 50 der Studie von 51,0 Prozent für durch veränderte
Umstände hinzugekommenen Cannabis-Klienten, gelangt man zur Zahl von 7.504
Cannabis-Llienten, die durch veränderte Umstände neu zur potenziellen
Klientengruppe hinzugekommen ist. Der effektive vergleichbare Zuwachs gemäß
rechtlicher Bedingungen von 1992 stieg somit nur um das 2,8fache – in absoluten
Zahlen von 2.561 im Jahr 1992 auf 7.210 im Jahr 2002. Im gleichen Zeitraum
stieg die Zahl der Cannabis-Konsumenten im relevanten Alter für die
Klientengruppe um das 2,7fache. Es kann somit nicht von einem erhöhten Risiko
gegenüber 1992 gesprochen werden.

Auch
Professorin Dr. Soellner stellte in ihrem Bericht am 6. Juli 2004 vor dem
Amtsgericht in Bernau fest, dass bei der Zahl der Besucher, die zu einer
Drogenberatungsstelle wegen Problemen mit Cannabis kommen, nicht von 15.000,
wie es die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marion Caspers-Merk
behauptete, gesprochen werden könne, sondern wohl eher von 7.500, also gut der
Hälfte.[ii]

 

Risikodebatte
zum Cannabis-Konsum

In
einem von Marion Caspers-Merk im Suchtreport Nr.2, März/April 2002 unter dem
Titel “Eine Risikodebatte zum Cannabis-Konsum ist nötig”
veröffentlichtem Artikel heißt es:

“Glaubwürdige
Drogenpolitik sollte weder bagatellisieren noch dämonisieren, sondern über
Risiken informieren und diese vor dem Hintergrund des vorhandenen Wissens
beschreiben. “

Die
bereits erwähnte Pressemitteilung zum Weltdrogentag 2004 ist jedoch ein
Paradebeispiel einer unglaublichen Dämonisierung – es wird darin nicht über
Risiken vor dem Hintergrund des vorhandenen Wissens informiert. So wird darin
Caspers-Merk mit den Worten zitiert:

“Die
Studie zeigt eine besorgniserregenden Tendenz auf – immer mehr Menschen suchen
heute wegen Cannabis-bezogener Störungen eine Beratungsstelle auf. [. . .]
Gleichzeitig wächst aber der Anteil der Konsumenten, die durch einen
regelmäßigen oder starken Cannabis-Gebrauch unter ernsthaften Störungen bis hin
zur Abhängigkeit leiden.”

Somit
wird der Eindruck erweckt, Cannabis sei gefährlicher als bisher angenommen
wurde. Dass das Erwecken dieses Eindrucks ein Ziel der politischen Strategie
von Caspers-Merk ist, ist schon lange bekannt, doch glaubwürdig ist die Art und
Weise der Darstellung der Dinge nicht im Geringsten, denn hauptsächlich suchen
heute mehr Menschen Beratungsstellen wegen polizeilicher oder gerichtlicher
Auflagen im Zusammenhang mit Cannabis eine Beratungsstelle auf und nicht wegen “Cannabis-bezogener
Störungen”. Und wie bereits gezeigt wurde, ist “der Anteil
der Konsumenten, die durch einen regelmäßigen oder starken Cannabis-Gebrauch
unter ernsthaften Störungen bis hin zur Abhängigkeit leiden” und
deshalb eine Beratungsstelle aufsuchen, in Relation zur Zahl der
Cannabis-Konsumenten in den letzten zehn Jahren ziemlich stabil geblieben und
nicht gewachsen.

Die
Zahl der polizeilich erfassten Delikte im Zusammenhang mit Cannabis lag im Jahr
2003 bei 148.973 und somit mindestens zehnmal höher als die Zahl der
Cannabis-Konsumenten, die eine Beratungsstelle aufsuchten respektive aufsuchen
mussten. Somit ist die rechtliche Situation von der Logik her der primäre
Diskussionspunkt bei der Risikodebatte zum Cannabis-Konsum – doch um diesen
Punkt anzusprechen, dafür scheint der Drogenbeauftragten der Mut zu fehlen.
Nicht nur die Tatsache, dass die Drogenbeauftragte bis heute nie eine
Evaluierung der gesetzlichen Maßnahmen verlangte wie beispielsweise die Drogen-
und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit im Jahre 2002, ist
äußerst bedenklich, sondern vor allem auch, dass sie in ihren Meldungen stets
die negativen Konsequenzen aus den gesetzlichen Regelungen mit den Wirkungen
von Substanzen zu übertünchen versucht.

 



[i]Roland
Simon, Dilek Sonntag, Gerhard Bühringer, Ludwig Kraus: Cannabisbezogene
Störungen: Umfang, Behandlungsbedarf und Behandlungsangebot in Deutschland [Die
Studie wurde durch das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung
finanziell unterstützt (Az DS03-4918-8/17)]

[ii]Siehe: http://www.cannabislegal.de/neu/2004-07.htm#2004-07-07-be

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